Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern. Johannes Cassianus

Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern - Johannes Cassianus


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Männer durch eine Schrift Etwas zu verewigen. Denn der schwache Kahn des Geistes muß hiebei um so mehr wie durch eine gefahrvolle Fahrt in tiefen Gewässern umhergeworfen werden, je mehr das Einsiedlerleben über das klösterliche, und die Beschauung Gottes, der jene unschätzbaren Männer immer obliegen, über das thätige Leben, welches in den Congregationen geübt wird, an Größe und Hoheit hinausragt. Es ist daher an Euch, unsern Versuch mit frommen Gebeten zu unterstützen, damit nicht entweder ein so heiliger Gegenstand, der, wenn auch mit unerfahrener, so doch mit wahrheitsliebender Rede vorgebracht werden will, durch uns Schaden leide oder auf der anderen Seite unsere Unbeholfenheit nicht in den Abgründen dieses Gegenstandes zu Grunde gehe.

      So laßt uns also von den äussern und sichtbaren Gebräuchen der Mönche, die wir in den frühern Büchern auseinandergesetzt haben, zu der unsichtbaren Verfassung des innern Menschen übergehen, und es möge die Rede aufsteigen von der Weise der kanonischen Gebete zu jener vom Apostel verlangten Beständigkeit des immerwährenden Gebetes, damit, wer immer durch die Lektüre des vorigen Werkes schon den Namen jenes Jakob 2 in geistiger Beziehung verdient hat durch Niederwerfung der fleischlichen Laster, nun auch, nicht sowohl meine als der Väter Grundsätze hinnehmend beim Aufsteigen zu dem Verdienste und sozusagen der Würde Israels 3 durch Anschauung der göttlichen Reinheit — gleichfalls unterrichtet werde, was er auf diesem Gipfel der Vollkommenheit zu beobachten habe. Mögen also euere Gebete erlangen von Demjenigen, der uns für würdig hielt, jene Männer zu sehen, ihre Schüler und Genossen zu sein, — daß er uns die volle Erinnerung an jene Lehren und eine redegewandte Darstellung geben möge, damit wir sie so heilig und vollständig, als wir sie von Jenen empfangen haben, darlegen und Euch so jene Männer gleichsam in ihren Anweisungen verkörpert und sogar in lateinischer Sprache disputirend vorstellen können. Daran aber will ich vor Allem den Leser sowohl dieser Collationen als auch der früheren Bände gemahnt haben, daß, wenn er vielleicht Etwas von diesen Dingen nach der Beschaffenheit seines Standes und Lebenszieles, oder nach dem gewöhnlichen Brauch und Wandel für unmöglich oder für zu hart halten möchte, er Dieß doch nicht nach dem geringen Maße seiner Fähigkeit, sondern nach der Würde und Vollkommenheit der Sprechenden bemessen möge, deren Streben und Vorhaben er zuerst erfassen soll. Sie sind durch dasselbe wahrhaft diesem irdischen Wandel abgestorben und durch keine Neigungen zu den leiblichen Verwandten, durch keine Verpflichtungen, zu weltlichen Handlungen gebunden. — Dann möge der Leser auch die Beschaffenheit der Gegenden, in welchen sie wohnen, erwägen. In der ödesten Einsamkeit weilend und von allem Umgänge mit Menschen getrennt, besitzen sie erleuchtete Sinne und betrachten und reden Dinge, welche den Unerfahrenen und Ungebildeten nach ihrer gewohnten Lage und Mittelmäßigkeit vielleicht unmöglich scheinen werden. Wenn jedoch Jemand hierüber ein wahres Urtheil sprechen will und zu erfahren wünscht, ob derlei sich verwirklichen lasse, der mache sich nur gleich daran, zuerst die Aufgabe, welche sich Jene gesteckt, mit gleichem Eifer und gleicher Lebensweise auf sich zu nehmen, und dann erst wird er finden, daß Das, was ihm die menschlichen Kräfte zu übersteigen schien, nicht nur möglich, sondern auch sehr lieblich sei. — Nun aber wollen wir sogleich an ihre Unterredungen und Anweisungen gehen.

      Erste Unterredung

      

       gehalten mit Abt Moyses über Absicht und Endzweck des Mönches.

       1. Über die scythische Ansiedlung und den Grundsatz des Abtes Moyses.

      In der scythischen Wüste, 4 wo die bewährtesten Väter der Mönche und die Vollkommensten aller Heiligen weilten, suchte ich den Abt Moyses auf, der unter diesen herrlichen Blüthen lieblicher leuchtete, nicht nur durch die Vollkommenheit im thätigen, sondern auch im beschaulichen Leben, und wünschte, durch seine Unterweisung einen festen Grund zu bekommen. Zugleich mit mir war der heilige 5

      Vater Germanus, mit dem ich von der Lehrzeit an und seit den ersten Anfängen des geistlichen Kriegsdienstes eine so untrennbare Genossenschaft pflegte sowohl im Kloster als in der Wüste, daß Alle zur Bezeichnung unserer Freundschaft und der Gleichheit unseres Strebens sagten, es sei ein Geist und eine Seele in zwei Körpern. In gleicher Weise verlangten wir nun von eben jenem Vater Moyses mit strömenden Thränen, daß er zu unserer Erbauung rede. Wir kannten nämlich gar wohl die Strenge seines Gemüthes, daß er sich nicht herbeiläßt, die Thüre der Vollkommenheit zu öffnen, wenn man nicht in Wahrheit sich sehnt und mit aller Zerknirschung des Herzens darnach sucht; damit er nemlich nicht entweder den Fehler der Prahlerei oder das Verbrechen des Verrathes zu begehen scheine, wenn er sie durchgehends entweder den Nichtwollenden oder den lau Verlangenden zugänglich mache und also die hiebei unvermeidlichen Dinge, die nur den nach Vollkommenheit Verlangenden bekannt sein dürfen, unter Unwürdigen verbreite unter Solchen, die sie mit Langeweile hinnehmen. Endlich begann er, durch unsere Bitten ermüdet, also:

       2. Von der Frage des Abtes Moyses, der untersucht, welche Bestimmung und welches Ziel der Mönch habe.

      Alle Künste und Wissenschaften, sagte er, haben einen σκοπός, das ist eine Bestimmung, und ein τέλος, das ist ein eigenes Ziel; darauf hinblickend erträgt Jeder, der eine Kunst eifrig anstrebt, gleichmüthig und gerne alle Mühen und Gefahren und allen Aufwand. Denn auch der Landmann scheut weder die sengenden Strahlen der Sonne noch Reif und Eis und durchfurcht unermüdlich die Erde und zwingt die unbewältigten Schollen wieder und wieder unter die Pflugschar, indem er seine Absicht festhält, die von allen Dornen gereinigte und allem Unkraut befreite Erde durch diese Bearbeitung wie zerreiblichen Sand zu verkleinern. Er glaubt sicher, daß er nur durch seine Mühe und seinen Schweiß den Endzweck erreichen könne, nemlich die Ernte reicher Früchte und voller Ähren, wodurch er fürderhin sorglos zu leben oder sein Vermögen zu vermehren im Stande sei. Ebenso nimmt er, wenn die Scheune von Früchten voll ist, gerne davon und vertraut sie den lockern Furchen an mit eiliger Mühe, ohne Betrübniß über die gegenwärtige Verminderung wegen der Aussicht auf zukünftige Ernte. Auch Die, welche Handel treiben, fürchten nicht die unsichern Zufälle der Meerfahrt und scheuen keine Gefahr, da sie die Hoffnung auf Lohn und der Endzweck des Erwerbes reizt. Ferner Jene, welche von weltlichem militärischem Ehrgeiz brennen, haben kein Gefühl für die todbringenden Gefahren der Märsche, da sie auf den Endzweck der Ehre und Macht schauen, und sie werden nicht gebeugt durch die gegenwärtigen Mühen und Kämpfe, da sie das vorgesteckte Ziel hoher Würden zu erreichen streben. 6 Es hat also auch unser Stand eine eigene Bestimmung und seinen Endzweck, in Rücksicht auf welchen wir alle Anstrengungen nicht nur unermüdet, sondern auch gerne aufwenden, so daß uns der Hunger des Fastens nicht ermattet, die Müdigkeit des Nachtwachens uns ergötzt, die beständige Lesung und Betrachtung der hl. Schriften uns nicht sättigt, auch die unaufhörliche Arbeit, die Blöße und der Mangel an Allem, ja selbst diese schaurige, ödeste Wüsteneinsamkeit uns nicht abschreckt. Wegen dieses Zieles habt ohne Zweifel auch ihr die Neigung zu den Angehörigen verachtet, den heimathlichen Boden und die Freuden der Welt bei der Wanderung durch so viele Gegenden gering geschätzt, um zu uns ungebildeten und unwissenden Menschen zu kommen, die wir in dieser rauhen Wüste leben. Antwortet mir deßhalb, sagte er, welches die Absicht oder der Zweck sei, der euch antrieb, all Dieß so gerne zu übernehmen.

       3. Unsere Antwort.

      Da er nun darauf bestand, uns unsere Meinung über diesen Fragepunkt zu entlocken, so antworteten wir, daß man all Dieß um des Himmelreiches willen ertrage.

       4. Untersuchung des Moyses über den vorgenannten Satz.

      Darauf sagte Jener: Gut und klug habt ihr über den Endzweck gesprochen; nun müßt ihr aber vor Allem wissen, welches unser σκοπός d. i. unsere nächste Absicht sein muß, der wir beständig anhängen müssen, um so das Endziel erreichen zu können. Da wir nun unsere Unwissenheit einfach bekannt hatten, fügte er bei: In jeder Kunst und Wissenschaft geht, wie ich sagte, ein gewisser σκοπός voraus, d. i. eine Bestimmung des Gemüthes oder eine unaufhörliche Absicht des Geistes, ohne deren mit allem Fleiß und aller Beharrlichkeit festgehaltene Beachtung Einer auch


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