Funkensommer. Michaela Holzinger

Funkensommer - Michaela Holzinger


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mit seinen dämlichen Bauernkalendersprüchen auf den Geist zu gehen.

      Dann biegen wir in den Waldweg ein. Das ist meine Lieblingsreitstrecke. Kilometerweit ist hier nichts zu sehen. Da kann ich Lanzelot laufen lassen. Ich verlagere mein Gewicht nach vorne. Lanzelot ist kaum noch zu bremsen. Papa hatte wohl recht. Mit dem Hafer, meine ich. Mit donnernden Hufen prescht er über den Boden.

      Da-damm, Da-damm, Da-damm … Schon klatscht mir die Brise ins Gesicht. Sie presst sich auf meine Nase und lässt mich nach Luft schnappen, so wie sie es versprochen hat. Pferdegeruch und der Duft des Waldes vermischen sich und beruhigen meine heißen Wangen. Wie der Blitz brettern wir über den Waldweg. Nichts wird uns in diesem Moment aufhalten können, denke ich mir, und da riecht die Luft auf einmal wirklich anders.

      Als wir an dem kleinen Wasserfall vorbeireiten, zügle ich Lanzelot. Ich bin vollkommen aus der Puste. Bis zur großen Eiche ist es nicht mehr weit. Mist. Ich sehe zum Kotzen aus. Es gibt nur eine Eiche, die gemeint sein kann. Und ich bin überrascht, dass Finn den alten Baum kennt.

      «Morgen bei der alten Eiche. 16 Uhr. F.», hat auf dem Zettel gestanden. Mehr nicht. Ich hab das Briefchen in meiner Jackentasche gefunden. Gestern nach der Schule. Er muss es mir in der Pause zugesteckt haben. Wenn ich daran denke, schlägt mein Herz wie verrückt. Zum Glück gibt Lanzelot jetzt Ruhe. Das Laufen hat ihm gut getan. Mir auch.

      Da liegt auf einmal ein Knacksen in der Luft. Der Sommerwendwind hat es zu mir hergetragen. Hinter der uralten Eiche bewegt sich etwas. Ein blonder Haarschopf kommt zum Vorschein, dann der Rest. Blaue Augen, langer Körper. Vielleicht ein bisschen dürr, mir gefällt das aber.

      «Hey», sagt Finn und seine blauen Augen blinzeln neckisch. Er lächelt schief, die Hände baumeln in den Hosentaschen. «Ich war mir nicht sicher, ob du kommen würdest.»

      «Doch», murmle ich und wickle die Zügel um einen Ast. Wir stehen uns gegenüber. Weil ich so schwitze, lasse ich meine Reitkappe lieber auf dem Kopf.

      «Kommst du heute zum Fest?», fragt er.

      «Ja, aber erst später.» Dass ich davor die Stallarbeit für meine Eltern erledigen muss, sage ich nicht. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht, weil seine Eltern keinen Bauernhof haben?

      «Gut, dann warte ich auf dich», flüstert er. Sein Gesicht kommt meinem ganz nah. Anscheinend will er mir einen Kuss geben. Aber das blöde Schild der Reitkappe ist im Weg und Finn kracht mit seiner Stirn dagegen. Wie peinlich! Am liebsten würde ich im Erdboden versinken. Zum Glück fängt in diesem Moment Finns Handy zu läuten an.

      «Ich muss ohnehin los», stammle ich und schwinge mich, so elegant es nur geht, in den Sattel. «Bis später», rufe ich ihm noch zu, dann treibe ich Lanzelot an. Finns Lächeln begleitet mich nach Hause.

      Mist. Mist. Mist. Nicht jetzt. Bitte.

      Mama und Papa sind zum Feuerwehrfest gefahren. Mein doofer Bruder auch. Ich habe die Schweine versorgt und die Ställe sauber gemacht. Wie besprochen. Und jetzt das. Das war nicht abgemacht. Warum muss dieses blöde Schwein ausgerechnet jetzt Junge bekommen? Es scheint tatsächlich Wehen zu haben. Im Abferkelstall hört man die lang gezogenen Atemgeräusche ziemlich deutlich. Es hat auch das Futter nicht aufgefressen. Der Trog ist noch halb voll. Zum Glück finde ich in der Futterkammer den Geburtenplan. Gleich neben dem Computer. Den nennen wir Papas Stallknecht, weil er dafür sorgt, dass jeden Tag die Schweine vollautomatisch gefüttert werden. Also suche ich neben Papas Stallknecht auf der Tabelle nach der Ohren-Marken-Nummer. Noch mal Mist. Da steht es. Das Kürzel, das Mama neben dem voraussichtlichen Geburtstermin hingekritzelt hat, haut mich um. JS, steht da. Das steht für Jungsau und bedeutet, dass dieses Schwein zum ersten Mal Junge bekommt. Jetzt kann ich das Fest garantiert vergessen.

      Denn: Jungsau + Geburt = Risiko.

      Papa würde ziemlich sauer sein, wenn ich mich jetzt aus dem Staub mache.

      Mir ist zum Heulen. Hässliche Bilder ziehen an mir vorüber. Finn, umringt von meinen Freundinnen, die sich für diesen Abend total aufgedonnert haben. Jelly in ihrem knallengen Jeans-Minirock und Lena mit ihren weizenblonden Löckchen. Die ist ja schon immer auf ihn scharf gewesen. Und das nur, weil seine Eltern das neue Elektrocenter besitzen. Pah!

      Mir kriecht die Wut in den Bauch, wenn ich daran denke. Alle meine Freundinnen sind auf dem Feuerwehrfest. Alle. Ich hätte mit Finn einen total romantischen Abend verbringen können. Wir hätten uns heimliche Blicke zugeworfen und hinter dem Klowagen geknutscht. Na ja, das vielleicht nicht gerade, aber schön wäre es trotzdem gewesen. Weil wir uns auch noch nie so richtig geküsst haben. Und wer noch nie miteinander so richtig geküsst hat, ist auch nicht fest zusammen, sagt Jelly immer. Und die muss es schließlich wissen. Immerhin hat sie schon Jungs geküsst.

      Panisch fische ich mein Handy aus dem Overall. Drei Anrufe in Abwesenheit. Finn. Ich kann ihn unmöglich zurückrufen. Was soll ich ihm sagen – dass ich Schweine hüten muss? Wie blöd ist das?! Ich meine, wer interessiert sich schon für so etwas?

      Dafür wähle ich Papas Handynummer und lasse läuten. Ewig. Nichts! Verdammter Mist. Tränen schießen mir in die Augen. Ich komme mir wie Aschenputtel vor und wische mir wütend übers Gesicht. Als ich zurück zur Stallbox komme, hat das Mutterschwein inzwischen drei Babys bekommen. Das dritte gerade eben. Mit Stroh rubble ich das Ferkel sauber, bis die Haut schön rosig ist. Dann lege ich es unter die Wärmelampe ins Ferkelnest.

      Wieder probiere ich es bei Papa auf dem Handy. Nichts. Eine halbe Stunde vergeht. Bei der Muttersau tut sich nichts. Sie presst und presst, aber es kommt kein Ferkel raus. Ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit. Irgendetwas stimmt da nicht. Ein Ferkel scheint sich im Mutterbauch verkeilt zu haben. Wenn ich jetzt nicht reagiere, stirbt nicht nur das Junge, sondern auch die Mutter. Schnell laufe ich ins Haus und hole einen Eimer mit warmem Wasser, Seife, Öl und ein Handtuch. Mir bleibt nichts anderes übrig, als das Ferkel mit der Hand herauszuziehen. Das habe ich schon öfters gemacht, weil ich die kleinste Hand von uns allen habe und so ein Geburtskanal ziemlich eng ist. Aber – noch nie alleine! Bis jetzt war Mama immer dabei und hat mir gesagt, was ich tun soll …

      Da macht mein Herz auf einmal einen Paukenschlag!

      «Hallo», höre ich Finns Stimme hinter mir. «Was ist los? Warum bist du nicht zum Fest gekommen?» Er schaut zuerst auf den Eimer, dann mir ins Gesicht. Am liebsten würde ich ihm um den Hals fallen. Keine Jelly, Lena oder sonst eine Tussi. Sondern nur ich. Aber … was wird Finn denken? Er wird danach nie wieder mit mir Händchen halten wollen. Stattdessen wird er sagen: «Bitte, bloß nicht die Schweinehand!»

      Verständlich. Ist ja auch nicht so toll. Aber was sein muss, muss sein. Deshalb sage ich: «Schwere Geburt. Ein Schwein braucht Hilfe.»

      «Okay», sagt Finn nur und schon marschiert er in Richtung Stallgebäude. Wow, denke ich.

      Als ich die Tür zum Abferkelstall öffne, merke ich sofort, dass es höchste Zeit ist einzugreifen. Oder eben hineinzugreifen. Finn setzt sich neben das Ferkelnest ins Stroh und beobachtet mich.

      «Was hast du vor?», fragt er, als ich meine Hand einzuseifen beginne.

      «Ein Ferkel steckt fest. Ich muss es holen», sage ich und seife wie eine Verrückte. Dann träufle ich mir Öl auf die Hand und den Arm, damit es schön flutscht. Ich kann Finn gar nicht in die Augen schauen, so peinlich ist mir das. Aber mittlerweile habe ich Mitleid mit der Schweinemama und bin ihr gar nicht mehr böse. Finn ist ja hier, und das ist wunderschön. Trotz Schweinegestank und Mistfliegen. Deshalb mache ich meine Hand ganz schmal und beginne vorsichtig denGeburtskanal abzutasten. Das Mutterschwein grunzt. Aber es hilft nichts. Das muss jetzt sein. Zum Glück ist die Sau in einem Abferkelgitter eingeschlossen. Da gibt sie Ruhe.

      Furchtbar eng ist es da drinnen. Und schleimig. Und warm. Und weich zugleich. Bis zum Ellenbogen stecke ich mit meiner Hand mittlerweile im Geburtskanal. Igitt!

      Aber da – jetzt spüre ich etwas. Vorsichtig schiebe ich meine Finger um den Hals des Ferkels. Ich ziehe. Nichts. Noch einmal. Wieder nichts. Das Mutterschwein grunzt vor Schmerzen. Das Ferkel scheint festzustecken. Panik kommt in mir auf.

      Da


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