Wantlek - Die Briefe. Rudolf Nedzit
so verschieden sein, wie es nur geht. Und auch das Exemplar hier hatte die Hose unten. Und pfiff sich seinen Lebenssinn zurecht. Ich schmunzelte und überließ ihn seinem Geschäfte. Auf meinem Rückweg begleitete mich dieses Bild, und was es mir aufzeigte, ist schnell gesagt: Der Sachen gibt es viel, die der Mensch zu tun hat, und wenn er sich nur recht wohl bei ihrer Erledigung fühlt, ist alles so gut wie gelungen – und sollte es Sch... sein.
Brief 5
Konnt’ dich mein letzter Brief erheitern? Ich wünsche es. Mich hat die kleine Begebenheit angerührt, und noch vor Kurzem hätte ich sie dir überhaupt nicht oder doch nur mit gewisser Abscheu geschildert. Aber das zeigt mir auf, welchen Einfluss die geruhsame Gelassenheit der letzten Wochen auf mein Gemüt genommen hat. Sie öffnet mir den Blick für kleine Dinge, lenkt mich ab von schweren Gedanken und unnützen Konstruktionen. Das ist vielleicht die Gesslov’sche Intention: mich in der Anfangszeit mir selbst zu überlassen, ohne Einwirkung von außen, keinerlei Zwängen unterworfen. Und die mag geraten sein, wenn sie mich denn von mir selbst entfernt. So wurden aus einem Spaziergang zwei und drei und jeder zieht mich näher zur Natur, und ich erkenne meine Existenz als deren Bestandteil. Verbunden mit Fauna und Flora taum’le ich wie ein Blatt im Winde, der mich liegen lässt, wann und wo er will. Fast wage ich zu denken, auch ich sei noch zu retten. Doch da regt sich auch das Gefühl der Einsamkeit in mir. Ich bin alleine und gut so. Aber ich vermisse auch die vertrauten und mir ans Herz gewachsenen Menschen, die Hügel und Täler, zwischen denen ich aufwuchs und lebte. Ich frage dich, ich frage dich aus tiefstem Grunde meiner Seele: Wenn man nicht bleiben kann und auch nicht gehen? Wo soll man dann noch hin?
Die Zeit wird’s zeigen. Lasse mich über die Zeit plaudern, lieber Freund. Manchmal ist mir, dass es sie nicht gäbe. Versteh’ mich recht. Ich rede allgemein. Als sei die Zeit zerstückelte Natur, geteilter Raum und künstlich nur von Menschenhand vollzogen, da dies Geschöpf, Naturgewalten und allerlei Ungemach unterworfen, in ängstlicher Verkrampfung sich festhalten muss, damit es nicht strauch’le. Und da kommt ein Vehikel gerade recht, auf das es sich schwingen und den Menschen in rasender Fahrt ausrufen lässt: Lass’ zu, wart’ ab! Die Zeiten werden besser. Genau soll’s sein, wenn man die Hoffnung rechnet. Das Jahr in Monat ist noch viel, so lasst uns Tage zählen, selbst die sind oft zu lang, auf denn, es gibt auch Stunden und so weiter. Das geht also bis ins kleinste Detail hinein und mir scheint, dabei geht alles verloren, um was es gehen sollte: nämlich Tag und Nacht; die sind zu sehen und zu spüren. Was braucht’s noch mehr?
Das sind wohl Töne von deinem Wilhelm! Will den Lauf der Welt erklären, wo er sich selbst nicht kennt. Na und? Jeder mache sich sein Bett so, wie es ihm am besten behagt und meines ist noch lange nicht bequem. Ich denke nur und sprech’ es aus. Nur, ob das alles stimmt, wer weiß. Das aber weiß ich: dass in meiner früheren Schreibstube, in dieser verfluchten Stätte meiner Gefangenschaft, mir solcher Firlefanz nicht in den Kopf kommen konnte. Da hieß es buckeln und ducken, durchaus eines Schreiberlings würdig, das gesteh’ ich gerne zu, nur ob das alles auch einem Menschen zu Gesichte steht, der denken kann und fühlen und niemandem Böses will, das räum’ ich ohne Weiteres nicht ein. Da galt es nicht, zu denken. Da hieß es Ja und Dankeschön und Nichts für ungut, bester Herr. Wer das nur einen Tag erträgt – ich tat es Jahr um Jahr um Jahr. Was ist daraus geworden! Ein krummer Mensch vom Buckeln, ein kleiner obendrein vom Ducken. Da sollt’ der Teufel dreinschlagen mitsamt seiner ganzen Sippschaft! Verfluchtes, geknechtetes Dasein! – ... Ich ereiferte mich, verzeih’! – Nein, verzeih’ nicht! Wenn ich mir nicht verzeihen kann, warum und wie dann du?! Ich komme in Fahrt, Hans! Das Herz quillt mir über. Würde jetzt der so ehrenwerte Herr Amtsleiter vor mir stehen, er würde den Durchlauf einer Sanduhr nicht erleben! ... Aber – immer muss es doch ein Aber geben!, bin nicht ich es, der zu strafen wäre? Der ich mich nicht wehrte? Und habe ich die Strafe nicht bereits zu Recht erhalten, durch das Leben, das ich führen musste? Oh, möge der Boden sich unter mir auftun und mich verschlingen oder der Himmel auf mich hinabstürzen, das ist mir gleich, und alles Elend hätte ein Ende und dein Wilhelm wär’ nicht mehr!
So befreit hatte dieser Brief begonnen. Nur um beengt zu enden. Doch wie war die Rede? Die Zeiten werden besser.
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