Die Elixiere des Teufels. Nachgelassene Papiere des Bruders Medardus eines Kapuziners. E. T. A. Hoffmann
ihr, sie schirmend und schützend und Trotz bietend der Macht des Feindes. Ein Schauer bebte dann durch meine Glieder, in dem mein böser Vorsatz erkaltete. Endlich fiel ich darauf, mit ihr zu beten: denn im Gebet strömt feuriger die Glut der Andacht, und die geheimsten Regungen werden wach und erheben sich wie auf brausenden Wellen und strecken ihre Polypenarme aus, um das Unbekannte zu fahen, das die unnennbare Sehnsucht stillen soll, von der die Brust zerrissen. Dann mag das Irdische, sich wie Himmlisches verkündend, keck dem aufgeregten Gemüt entgegentreten und im höchsten Genuss schon hienieden die Erfüllung des Überschwänglichen verheißen; die bewusstlose Leidenschaft wird getäuscht, und das Streben nach dem Heiligen, Überirdischen wird gebrochen in dem namenlosen, nie gekannten Entzücken irdischer Begierde. – Selbst darin, dass sie von mir verfasste Gebete nachsprechen sollte, glaubte ich Vorteile für meine verräterische Absichten zu finden. – Es war dem so! – Denn neben mir kniend, mit zum Himmel gewandtem Blick meine Gebete nachsprechend, färbten höher sich ihre Wangen, und ihr Busen wallte auf und nieder. – Da nahm ich wie im Eifer des Gebets ihre Hände und drückte sie an meine Brust, ich war ihr so nahe, dass ich die Wärme ihres Körpers fühlte, ihre losgelösten Locken hingen über meine Schulter; ich war außer mir vor rasender Begierde, ich umschlang sie mit [100]wildem Verlangen, schon brannten meine Küsse auf ihrem Munde, auf ihrem Busen, da wand sie sich mit einem durchdringenden Schrei aus meinen Armen; ich hatte nicht Kraft, sie zu halten, es war, als strahle ein Blitz herab, mich zerschmetternd! – Sie entfloh rasch in das Nebenzimmer, die Türe öffnete sich, und Hermogen zeigte sich in derselben, er blieb stehen, mich mit dem furchtbaren, entsetzlichen Blick des wilden Wahnsinns anstarrend. Da raffte ich alle meine Kraft zusammen, ich trat keck auf ihn zu und rief mit trotziger, gebietender Stimme: »Was willst du hier? Hebe dich weg, Wahnsinniger!« Aber Hermogen streckte mir die rechte Hand entgegen und sprach dumpf und schaurig: »Ich wollte mit dir kämpfen, aber ich habe kein Schwert, und du bist der Mord, denn Blutstropfen quillen aus deinen Augen und kleben in deinem Barte!«
Er verschwand, die Türe heftig zuschlagend, und ließ mich allein, knirschend vor Wut über mich selbst, der ich mich hatte hinreißen lassen von der Gewalt des Moments, so dass nun der Verrat mir Verderben drohte. Niemand ließ sich sehen, ich hatte Zeit genug, mich ganz zu ermannen, und der mir inwohnende Geist gab mir bald die Anschläge ein, jeder üblen Folge des bösen Beginnens auszuweichen.
Sobald es tunlich war, eilte ich zu Euphemien, und mit keckem Übermut erzählte ich ihr die ganze Begebenheit mit Aurelien. Euphemie schien die Sache nicht so leicht zu nehmen, als ich es gewünscht hatte, und es war mir begreiflich, dass, ihrer gerühmten Geistesstärke, ihrer hohen Ansicht der Dinge unerachtet, wohl kleinliche Eifersucht in ihr wohnen, sie aber überdem noch befürchten könne, dass Aurelie über mich klagen, so der Nimbus meiner Heiligkeit verlöschen und unser Geheimnis in Gefahr geraten werde; [101]aus einer mir selbst unerklärlichen Scheu verschwieg ich Hermogens Hinzutreten und seine entsetzlichen, mich durchbohrenden Worte.
Euphemie hatte einige Minuten geschwiegen und schien, mich seltsamlich anstarrend, in tiefes Nachdenken versunken.
»Solltest du nicht, Viktorin!« sprach sie endlich, »erraten, welche herrliche Gedanken, meines Geistes würdig, mich durchströmen? – Aber du kannst es nicht, doch rüttle frisch die Schwingen, um dem kühnen Fluge zu folgen, den ich zu beginnen bereit bin. Dass du, der du mit voller Herrschaft über alle Erscheinungen des Lebens schweben solltest, nicht neben einem leidlich schönen Mädchen knien kannst, ohne sie zu umarmen und zu küssen, nimmt mich wunder, so wenig ich dir das Verlangen verarge, das in dir aufstieg. So wie ich Aurelien kenne, wird sie voller Scham über die Begebenheit schweigen und sich höchstens nur unter irgendeinem Vorwande deinem zu leidenschaftlichen Unterrichte entziehen. Ich befürchte daher nicht im mindesten die verdrießlichen Folgen, die dein Leichtsinn, deine ungezähmte Begierde hätte herbeiführen können. – Ich hasse sie nicht, diese Aurelie, aber ihre Anspruchlosigkeit, ihr stilles Frommtun, hinter dem sich ein unleidlicher Stolz versteckt, ärgert mich. Nie habe ich, unerachtet ich es nicht verschmähte, mit ihr zu spielen, ihr Zutrauen gewinnen können, sie blieb scheu und verschlossen. Diese Abgeneigtheit, sich mir zu schmiegen, ja diese stolze Art, mir auszuweichen, erregt in mir die widrigsten Gefühle. – Es ist ein sublimer Gedanke, die Blume, die auf den Prunk ihrer glänzenden Farben so stolz tut, gebrochen und dahinwelken zu sehen! – Ich gönne es dir, diesen sublimen [102]Gedanken auszuführen, und es soll nicht an Mitteln fehlen, den Zweck leicht und sicher zu erreichen. – Auf Hermogens Haupt soll die Schuld fallen und ihn vernichten!« – Euphemie sprach noch mehr über ihren Plan und wurde mir mit jedem Worte verhasster, denn nur das gemeine verbrecherische Weib sah ich in ihr, und sosehr ich nach Aureliens Verderben dürstete, da ich nur dadurch Befreiung von der grenzenlosen Qual wahnsinniger Liebe, die meine Brust zerfleischte, hoffen konnte, so war mir doch Euphemiens Mitwirkung verächtlich. Ich wies daher zu ihrem nicht geringen Erstaunen ihren Anschlag von der Hand, indem ich im Innern fest entschlossen war, das durch eigne Macht zu vollführen, wozu Euphemie mir ihre Beihilfe aufdringen wollte.
So wie die Baronesse es vermutet, blieb Aurelie in ihrem Zimmer, sich mit einer Unpässlichkeit entschuldigend und so sich meinem Unterricht für die nächsten Tage entziehend. Hermogen war wider seine Gewohnheit jetzt viel in der Gesellschaft Reinholds und des Barons, er schien weniger in sich gekehrt, aber wilder, zorniger. Man hörte ihn oft laut und nachdrücklich sprechen, und ich bemerkte, dass er mich mit Blicken des verhaltenen Grimms ansah, sooft der Zufall mich ihm in den Weg führte; das Betragen des Barons und Reinholds veränderte sich in einigen Tagen auf ganz seltsame Weise. Ohne im Äußerlichen im mindesten von der Aufmerksamkeit und Hochachtung, die sie mir sonst bezeigt, nachzulassen, schien es, als wenn sie, gedrückt von einem wunderbaren ahnenden Gefühl, nicht jenen gemütlichen Ton finden konnten, der sonst unsre Unterhaltung belebte. Alles, was sie mit mir sprachen, war so gezwungen, so frostig, dass ich mich ernstlich mühen [103]musste, von allerlei Vermutungen ergriffen, wenigstens unbefangen zu scheinen.
Euphemiens Blicke, die ich immer richtig zu deuten wusste, sagten mir, dass irgendetwas vorgegangen, wovon sie sich besonders aufgeregt fühlte, doch war es den ganzen Tag unmöglich, uns unbemerkt zu sprechen.
In tiefer Nacht, als alles im Schlosse längst schlief, öffnete sich eine Tapetentüre in meinem Zimmer, die ich selbst noch nicht bemerkt, und Euphemie trat herein mit einem zerstörten Wesen, wie ich sie noch niemals gesehen. »Viktorin«, sprach sie, »es droht uns Verrat, Hermogen, der wahnsinnige Hermogen ist es, der, durch seltsame Ahnungen auf die Spur geleitet, unser Geheimnis entdeckt hat. In allerlei Andeutungen, die gleich schauerlichen, entsetzlichen Sprüchen einer dunklen Macht, die über uns waltet, lauten, hat er dem Baron einen Verdacht eingeflößt, der, ohne deutlich ausgesprochen zu sein, mich doch auf quälende Weise verfolgt. – Wer du bist, dass unter diesem heiligen Kleide Graf Viktorin verborgen, das scheint Hermogen durchaus verschlossen geblieben; dagegen behauptet er, aller Verrat, alle Arglist, alles Verderben, das über uns einbrechen werde, ruhe in dir, ja wie der Widersacher selbst sei der Mönch in das Haus getreten, der, von teuflischer Macht beseelt, verdammten Verrat brüte. – Es kann so nicht bleiben, ich bin es müde, diesen Zwang zu tragen, den mir der kindische Alte auferlegt, der nun mit kränkelnder Eifersucht, wie es scheint, ängstlich meine Schritte bewachen wird. Ich will dies Spielzeug, das mir langweilig worden, wegwerfen, und du, Viktorin, wirst dich umso williger meinem Begehren fügen, als du auf einmal selbst der Gefahr entgehst, endlich ertappt zu werden und so das [104]geniale Verhältnis, das unser Geist ausbrütete, in eine gemeine verbrauchte Mummerei, in eine abgeschmackte Ehestandsgeschichte herabsinken zu sehen! Der lästige Alte muss fort, und wie das am besten ins Werk zu richten ist, darüber lass uns zu Rate gehen, höre aber erst meine Meinung. Du weißt, dass der Baron jeden Morgen, wenn Reinhold beschäftigt, allein hinausgeht in das Gebürge, um sich an den Gegenden nach seiner Art zu erlaben. – Schleiche dich früher hinaus und suche, ihm am Ausgange des Parks zu begegnen. Nicht weit von hier gibt es eine wilde, schauerliche Felsengruppe; wenn man sie erstiegen, gähnt dem Wandrer auf der einen Seite ein schwarzer, bodenloser Abgrund entgegen, dort ist, oben über den Abgrund herüberragend, der sogenannte Teufelssitz. Man fabelt, dass giftige Dünste aus dem Abgrunde steigen, die den, der vermessen hinabschaut, um zu erforschen, was drunten verborgen, betäuben und rettungslos in den Tod hinabziehen. Der Baron, dieses Märchen verlachend, stand schon oft auf jenem Felsstück über dem Abgrund, um die Aussicht, die sich dort öffnet, zu genießen. Es wird