Leirichs Zögern. Rudolf Habringer

Leirichs Zögern - Rudolf Habringer


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      Rudolf Habringer

       Leirichs Zögern

      Roman

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       Gewidmet allen meinen Geschwistern.

      Die Drucklegung dieses Buches wurde gefördert

      durch die Kulturabteilungen des Landes Oberösterreich

      sowie von Stadt und Land Salzburg.

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       www.omvs.at

      ISBN 978-3-7013-1284-9

      eISBN 978-3-7013-6284-4

      © 2021 OTTO MÜLLER VERLAG SALZBURG-WIEN

      Alle Rechte vorbehalten

      Satz: Media Design: Rizner.at

      Covergestaltung: Leo Fellinger

       Leidenssituationen, deren Grund dem Kind verheimlicht wird, laufen wie eine ständige Frage neben seinem eigenen Leben her und zehren an seiner Substanz. Gelegentlich beschließt das Kind, später der Erwachsene, diese nie beantwortete Frage zum Mittelpunkt seines eigenen Lebens zu machen.

      Serge Tisseron, Die verbotene Tür

      Inhalt

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       Kapitel 7

       Kapitel 8

       Kapitel 9

       Kapitel 10

       Kapitel 11

       Kapitel 12

       Kapitel 13

       Kapitel 14

       Kapitel 15

       Kapitel 16

       Kapitel 17

       Kapitel 18

       Kapitel 19

       Kapitel 20

       Kapitel 21

       Kapitel 22

       Kapitel 23

       Kapitel 24

       Kapitel 25

      1

      Sonntags gegen halb zwei, eine halbe Stunde vor dem Ende meiner Dienstzeit bei Brunch mit Musik, betrat eine Gruppe von Gästen das Lokal. Die Leute kamen aus dem Casino, das sich gleich oberhalb befindet. Ich spielte gerade Beautiful Love, eine Nummer von Victor Young aus den dreißiger Jahren. Über die Struktur des einfach klingenden Songs, der aber so raffiniert aufgebaut ist wie ein Fugenthema von Bach, hatte ich mir früher ausführlich den Kopf zerbrochen. Woody Allen hat die Komposition in seinem Film Verbrechen und andere Kleinigkeiten eingebaut. Ein Mann in beigem Anzug und einer Krawatte, die nicht mehr korrekt saß, kam auf mich zu und deutete mit dem Finger auf mich. Er wollte mit mir sprechen. Kein Musiker mag es, während des Spielens gestört zu werden, als wäre sein Spiel eine beiläufige Angelegenheit, neben der man locker Gespräche führen konnte. Der Mann lehnte sich gegen den Flügel, seine Augen blitzten feucht, im nächsten Moment nahm ich wahr, dass er nach Alkohol roch. Ich merkte sofort, dass seine Ansprache an mich als Auftritt für seine Begleitung im Hintergrund gedacht war. Zwei Paare und eine Frau nahmen eben an einem Tisch Platz. Gleich stand der Aushilfskellner Wieser bei ihnen und nahm die Bestellung auf.

      Sag einmal, sagte der Gast, du hast doch sicher auch noch was anderes drauf. Er duzte mich mit der Selbstsicherheit eines Chefs. Wir waren einander vorher noch nie begegnet. Vielleicht war er ein Autohändler oder ein Wurstfabrikant.

      Zweimal im Monat spielte ich in dem Café Klavier. Für manche der Besucher war ich vielleicht ein Dienstleister knapp über dem Status Gegenstand, eine Art lebender Wurlitzer, dem bloß ein Knopf fehlte, auf den man drücken konnte. Mir war das egal. Ich spielte vor allem zu meinem eigenen Vergnügen. Kennst du Du hast mich tausendmal belogen, fragte der Mann. Ich zog den Schluss des Songs in die Länge, hörte aber nicht zu spielen auf. Andrea Berg, sagte der Mann, die kennst du doch. Ich zog die Brauen hoch. Jetzt mach aber keinen Schmäh, sagte der Unbekannte. Andrea Berg, Du hast mich tausendmal belogen, du hast mich tausendmal verletzt, sagte er. Jetzt summte er undeutlich ein paar Phrasen, ich bin mit dir so hoch geflogen, doch der Himmel war besetzt, Andrea Berg, wiederholte er. Nix bekannt, sagte er resignierend und schüttelte den Kopf. Ich zuckte mit den Schultern. Jetzt war er frustriert. Im Abgehen rächte er sich. Ich habe geglaubt, ihr könnt was, sagte er. Er drückte sich vom Flügel weg. Noch einmal drehte er sich nach mir um und hob seinen Zeigefinger. Üben, sagte er. Üben.

      Am Abend beschloss ich, endlich die Unterlagen für das neue Semester aus dem Vorjahr durchzusehen. Das Einführungsproseminar Was ist Geschichte? hielt ich seit zwölf Jahren im Wechsel mit einem Kollegen. Eigentlich handelte es sich um einen Routinevorgang, eine gedankliche Auffrischung. Ich wollte die Blätter für das Proseminar nur kurz ordnen, mehr nicht. Der Gedanke an den Beginn des Studienjahres hatte mich schon die ganze letzte Woche leise irritiert, ohne dass ich wusste, warum.

      Der nächste Tag begann nicht wunschgemäß. Nach dem Aufstehen bemerkte ich, dass ich bis auf ein übrig gebliebenes Stück hartes Brot nichts im Haus hatte, um mir ein Standardfrühstück mit Brot, Butter und Marmelade oder eines mit Joghurt und Früchten zuzubereiten. Ohne Unterlage ging ich aus der Wohnung. Unten an der Haustür bemerkte ich, dass ich die Pfandflaschen im Vorzimmer vergessen hatte. Ich musste in den dritten Stock zurück. Vorsatzgemäß verzichtete ich auf den Lift und ging zu Fuß.

      Beinahe hätte ich


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