Robust!. Gerald Moser
um ein stabiles, ein robustes System. Robust und überlebensfähig ist das gesamte System aber unter anderem deshalb, weil immer wieder einzelne Teilnehmer des Systems scheitern oder aus anderen Gründen das System verlassen.
Ein wertvolles System
Große Unternehmen verdienen im Durchschnitt zwar ein wenig besser als die »Kleinen« und könnten damit mehr Steuern bezahlen. Das kommt uns allen zugute. Das ist aber nur in der Theorie so. Wir alle wissen, wie tüchtig, gewieft und ehrgeizig große Unternehmen sind, wenn es darum geht, Steuern zu sparen. Dabei machen sie nichts Illegales. Sie nutzen nur ihre internationale Vernetzung, die zahlreichen Lücken in der Gesetzgebung und nationale Egoismen. Nun haben große Unternehmen aber einen Nachteil, wenn man sie aus systemischer Sicht betrachtet. Wenn ein großes Unternehmen in Schwierigkeiten kommt, dann ist der Schaden wesentlich höher, als wenn ein kleines Unternehmen ins Wanken gerät oder gar scheitert. Es muss nicht einmal der Konkurs eines großen Unternehmens sein. Es reicht die Entscheidung eines internationalen Konzerns, einen Standort in Deutschland, der Schweiz oder in Österreich zu schließen. Die Folgen für Arbeitsplätze und Steuern sind enorm. Deshalb lösen eine Werksschließung oder ein Konkurs eines großen Unternehmens immer einen so großen medialen und politischen »Wirbel« aus. Das ist dann nämlich höchst »systemrelevant«.
Warum es manchmal Sinn macht, anderen den Vortritt zu lassen
Schließt dagegen ein Kleinunternehmer sein Unternehmen oder geht es in Konkurs, dann ist das weit weg von systemrelevant. Das Verschwinden eines kleinen Unternehmens ist bestenfalls eine statistische Größe. Damit das System der Kleinst‐ und Kleinunternehmer robust ist und dauerhaft überleben kann, braucht es also laufend Teilnehmer, die scheitern, die »sterben«, die Platz machen für Neues und die vor allem anderen Unternehmerinnen und Unternehmern zeigen, was nicht funktioniert. Das System Kleinst‐ und Kleinunternehmen braucht eine gewisse Menge an »statistischen Größen«.
Die geschlossenen oder gescheiterten Unternehmen leisten damit einen wichtigen Beitrag zum Überleben des gesamten Systems. Süffisant könnte man sagen, dass sie einen Heldentod sterben. Sie nehmen den eigenen Tod in Kauf, um der Gesamtheit zu helfen. Jetzt ist es aber so, dass diese »gescheiterten« Unternehmer keinen Preis dafür bekommen. Sie bekommen keine Medaille, kein Ehrengrab, keine Entschädigung, nichts, gar nichts erhalten sie. Ganz im Gegenteil, die Kultur des Scheiterns ist in unseren Gefilden eher unterentwickelt. Die Bank möchte das Haus oder die Wohnung des Unternehmers haben, um ihren Schaden gering zu halten. Die Familie ist entsetzt, weil die wirtschaftliche Existenzgrundlage verloren gegangen ist. Die enttäuschten Mitarbeiter haben ihren Arbeitsplatz verloren. Dem Unternehmer geht es höchstwahrscheinlich schlecht, weil er bis zum Konkurs schon viel Ärger hatte und die Abwicklung des Konkurses noch einmal jede Menge Probleme bedeutet. Dazu kommen die schlechte Presse und die üble Nachrede im Ort. Und dann startet die ganze Arbeit für den Unternehmer von vorne. Jetzt darf er nämlich damit beginnen, eine neue Existenz aufzubauen. Und das alles deshalb, weil dieser Unternehmer den Heldentod gestorben ist! Ich frage Sie: Wollen Sie ein Held sein? Wollen Sie wirklich den Heldentod sterben? Wohl hoffentlich eher nicht! Die Helden mögen bitte die anderen sein! Seien Sie in dieser Hinsicht egoistisch und lassen Sie anderen in puncto Konkurs den Vortritt! Ihre Familie, Ihre Mitarbeiter, Ihre Bank und einige andere Menschen in Ihrem Umfeld werden es Ihnen danken.
Und für den Fall, dass Sie sich nicht angesprochen fühlen, da Ihr Unternehmen beste Umsätze macht, gut verdient und Sie als Unternehmer wirtschaftlich sicher dastehen? Vielleicht sollten Sie trotzdem weiterlesen, zumindest bis zu der Geschichte mit dem Truthahn.
Weshalb Sie sich nicht am Durchschnitt orientieren sollten
Die KMUs, also jene Unternehmen, die zwischen einem und 249 Mitarbeitern beschäftigen, sind, wie wir schon wissen, das Rückgrat der Wirtschaft. Eine besonders wichtige Rolle spielen dabei die Kleinst‐ und Kleinunternehmen, also jene Unternehmen, die zwischen einem und 50 Mitarbeitern beschäftigen. Rund 95 Prozent +/‐ aller Unternehmen quer durch Europa sind Kleinst‐ und Kleinunternehmen, also fast alle. Diese Gruppe von Unternehmen beschäftigt etwa die Hälfte aller unselbstständig Beschäftigten. Die anderen 50 Prozent der unselbstständig Beschäftigten sind in den mittelgroßen und großen Unternehmen zu finden.. Jetzt kommt es aber!
Nur rund 35 Prozent +/‐ des gesamten Umsatzes in allen Wirtschaftsunternehmen wird von den Kleinst‐ und Kleinunternehmen erwirtschaftet! Der Umsatz, der pro Mitarbeiter erzielt wird, ist also in den kleinen Unternehmen deutlich niedriger als in den mittleren und in den großen. Das ist jetzt noch nicht so beunruhigend. Schließlich geht es ja nicht um den Umsatz. Viel wichtiger als der Umsatz ist der Gewinn. Die primäre Aufgabe eines Unternehmens ist es nun aber nicht, Gewinn zu erzielen. Die Aufgabe eines Unternehmens ist eine völlig andere. Damit werden wir uns später noch beschäftigen. Aber ein Unternehmen braucht die Gewinne, damit es seine Aufgaben erfüllen kann.
Nun fragen Sie sich vielleicht, wie hoch der Gewinn sein soll. Das ist auf jeden Fall eine gute Frage! Die Antwort hängt von vielen Faktoren ab, aber als Faustregel würde ich sagen, im Durchschnitt 7 Prozent, mit einer Bandbreite von +/‐ 3 Prozent. Gemeint ist damit der Gewinn vor Steuern in Prozent vom Umsatz (nach Abzug des Unternehmerlohns). Der Gewinn sollte also im Laufe der Jahre zwischen 4 Prozent und 10 Prozent pendeln. Mehr ist natürlich besser, weniger schlechter – und das alles hängt natürlich auch von der Branche ab.
In Europa liegt die durchschnittliche Gewinnmarge der Kleinst‐ und Kleinbetriebe zwischen 4 und 6 Prozent. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit. Zwischen 10 und 25 Prozent der Betriebe, abhängig von Land und Branche, macht Verluste und etwa die gleiche Anzahl der Unternehmen liegt unter 4 Prozent Umsatzrendite. Das muss man sich einmal vorstellen. Zwischen einem Drittel und beinahe der Hälfte der Unternehmen verdienen also nicht genug, um ihre Aufgaben dauerhaft erfüllen zu können. Sie sind eigentlich in erster Linie mit dem eigenen Überleben beschäftigt.
Eine Frage der Robustheit:
Wo auf dieser Skala der Umsatzrentabilität liegen Sie mit Ihrem Unternehmen?
– 10% ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐ + 4% ‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐‐ >+ 10%?
Wenn Sie nun links der + 4‐Prozent‐Marke liegen, dann haben Sie die Gewissheit, dass Sie nicht alleine sind. Wenn Sie rechts davon liegen, können Sie trotzdem weiterlesen.
Aus dem (Unternehmer)Leben
Nach meinem eigenen Konkurs ging es mir gar nicht gut. Ich hatte nicht nur selbst viel Geld verloren. Ich hatte auch das Geld von Investoren, Banken und Förderstellen verloren. Hinter diesen Institutionen standen Menschen, die mir vertrauten und auf mich gesetzt haben. Ich hatte das Gefühl, dass ich der einzige Idiot auf Erden bin, der mit seinem Unternehmen gescheitert ist. Als ich dann langsam wieder Tritt fasste, wagte ich es auch, meine Geschichte zu erzählen. Und siehe da! Eine überraschend große Anzahl an Unternehmern pflichtete mir bei: »Ja, wissen Sie, jetzt, wo Sie das erzählen, kann ich Ihnen ja auch anvertrauen, dass es mir ebenfalls schon einmal genauso ergangen ist« oder eine Variante davon: »… mir wäre es fast genauso gegangen, aber ich hatte Glück, weil …« Das hat meinen Gemütszustand nicht unbedingt verbessert, aber es hat mich schon ein wenig erleichtert. Mein Eindruck, dass wesentlich mehr Unternehmen kämpfen, als ich jemals gedacht hatte, verstärkte sich, als ich begann, mir die Jahresabschlüsse von unterschiedlichsten Unternehmen näher anzusehen. Bei Kapitalgesellschaften ist das relativ einfach möglich. Dadurch wurde mir erst so richtig klar, wie viele Unternehmen links der 4‐Prozent‐Schwelle liegen müssen. Die endgültige Bestätigung erhielt ich dann, als ich die EU‐Statistiken über die wirtschaftliche Lage der Kleinst‐ und Kleiunternehmen las. Danach war eindeutig klar, dass zwischen einem Drittel und der Hälfte der Kleinst‐ und Kleinunternehmen vor sich hin wursteln. Das sind auf jeden Fall wesentlich mehr, als man jemals vermuten würde.
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