Abara Da Kabar. Emil Bobi

Abara Da Kabar - Emil Bobi


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      »Das ist eine sehr gute Frage«, sagte ich, »nur eine kaputte Sprache kann überhaupt das Bedürfnis nach Literatur erzeugen. Eine Sprache, die Literatur hervorbringt, kann nicht funktionieren.«

      Ich gestikulierte und meine Hände schaufelten durch die Luft, als würden sie Aufräumungsarbeiten durchführen. »Literatur ist Symptom und Beweis, dass die Sprache nicht funktioniert.«

      Sie schmunzelte abwartend.

      »Ja sicher«, unterstrich ich. Literatur versuche sich am Unbeschreiblichen, schreibe gegen die Grenzen der Sprache an. Literatur sei die Not des Nichtausdrückbaren. Sei die versuchte Behebung dieser Not. Literatur sei Kunstfertigkeit im Umgang mit dem untauglichen Werkzeug, sie sei Folge der Kaputtheit von Sprache. Literatur sei ein Selbstheilungsversuch.

      »Danke für diese Frage«, sagte ich, »ich mag es, so direkt verstanden zu werden. Literatur ist eine Erscheinungsform dessen, wovon ich die ganze Zeit rede. Sie ist eine Kunst des Umganges mit dem Nichtfunktionierenden. Ist doch sonnenklar: Wenn jeder problemlos ausdrücken könnte, was er sagen möchte, gäbe es keine Literatur. Wozu auch?«

      Sie fand das wohl verrückt, aber ihr Lächeln war nicht ganz dasselbe, wie wenn ich Witze machte. Sie fand das irgendwie erstaunlich.

      »Hätten wir eine funktionierende Sprache, würde sie das Bedürfnis nach Sprache löschen«, setzte ich nach. »Funktionierende Sprache würde Kommunikation beenden, sie würde Kommunikation erfolgreich abschließen und ihre Wiederholung überflüssig machen. Funktionierende Sprache würde sich selbst überflüssig machen. Sie würde etwas sagen, damit es gesagt ist und also nicht mehr gesagt werden muss.« Ich hielt inne, achtete auf ihre Reaktion, aber sie hörte nur zu. »Ursprünglich sollte Sprache ein Gegenmittel sein«, redete ich weiter, »ein Mittel gegen Unklarheiten. Und wenn die Unklarheiten beseitigt sind, wird sie überflüssig. Sie macht sich selbst obsolet wie eine Hilfsorganisation im Krisengebiet, die mit vollem Einsatz und größtmöglicher Kompetenz und Professionalität daran arbeitet, sich überflüssig zu machen. Die sich in höchste Gefahr begibt, nur, um sich obsolet zu machen. Die Sprache, ich meine, eine echte, funktionierende Sprache, wäre da, um das Sprachbedürfnis zu löschen. Aber weil unsere Sprache nicht funktioniert, muss sie immer neue Anläufe nehmen, das Sprachbedürfnis zu beseitigen, produziert aber immer mehr Sprachbedürfnis. Und das geht endlos weiter.«

      Michaela Halbmond nahm einfach, was ich sagte und ließ es einmal, wohin ich es gestellt hatte.

      »Ist das nicht die Wahrheit?«, fragte ich, »Sag du. Du bist die Expertin. Ich spüre nur etwas. Ich sehe nur etwas.«

      »Da gleich?«, fragte sie und deutete auf einen kleinen Gastgarten, der kein Gastgarten war, sondern aus vier kleinen, auf den Gehsteig gedrängten Tischen bestand, die mit einem stilisierten Plastik-Gartenzaun der Marke »Knusperhäuschen« eingegrenzt und symbolisch von der Fahrbahn getrennt war. An einem der Tische saß ein älterer Mann vor seinem Glas und war intensiv mit sich selbst beschäftigt, suchte ruhelos in den Taschen seines Mantels, den er trotz der Hitze trug, rupfte an seinen schweißverklebten Haarresten, rutschte auf dem Sessel hin und her und verlagerte sein Gewicht, um sich Zugang zu weiteren Innentaschen zu verschaffen, in denen er ebenso wenig fand, wie in den anderen.

      »Gibt’s da was?«, fragte ich, »ok, passt.«

      Rechts neben dem Eingang hing eine blecherne, bunt emaillierte Werbetafel aus den Sechzigerjahren, aus der ein riesiges, überschäumendes Krügel Bier heraus kippte. Perspektivisch im Hintergrund lachte eine glückliche Hausfrau mit toupierten Haaren und roten Lippen. Drüber stand in geschwungenen Lettern: »Trinken Sie Bier!« Darunter hing eine schwarze Tafel, auf der mit Kreide das Angebot der Küche vermerkt war: Saures Rindfleisch mit steirischem Kernöl. Dann: Thunfisch-Carpaccio an Avocado-Sesam-Limetten-Teriyaki. Und ganz unten: Heidelbeer-Muffins auf Vanille-Schaum. Aber das Lokal schien verlassen, es war weit und breit kein Kellner zu sehen und es kam auch keiner.

      Wir warteten. Ich fragte: »Tratschen deine Jowulu-Freunde gern? Ich meine, was reden sie und warum reden sie? Reden sie viel, oder nur dann, wenn es was zu sagen gibt?«

      Sie entspannte sich im Sessel. Sie schien sich wohl zu fühlen und nahm sich eine Sekunde, um einzulenken. Bis dahin war sie im Small-Talk-Modus gewesen, hatte spielerisch über Hunger geklagt und beobachtend gelächelt. Jetzt senkte sich Konzentriertheit wie aufziehendes Gewölk auf ihren Blick. Sie biss sich auf die Unterlippe, die wie zerknittertes Seidenpapier Fältchen und Plättchen warf und sie fixierte mich mit dem unverwandten Interesse einer Ärztin, die ein Symptom entdeckt hatte. Wenn sie sprach, spürte ich das große Wissen, das nur leicht angezapft hinter ihren Worten bereit lag.

      Eigentlich seien diese Jowulu-Leute sehr gesellig und gar nicht so asketisch und wortkarg, wie man das bei Völkern der Sahara gewöhnlich beobachte. Sie machten Witze, in der Nacht werde gefeiert und wenn Bier da sei, tranken sie es aus. Und wenn dann jemand stolpere, dann lachten sie. Sie seien uns Europäern viel ähnlicher, als ihr Äußeres nahelegen würde.

      »Und was passiert, wenn es Streitereien gibt? Wie werden Missverständnisse ausgeräumt?«, fragte ich, »wie oft hörst du sie sagen: ›Du verstehst mich nicht‹? Ich meine, gibt es Diskussionen über sprachliche Unwegsamkeiten, die klären sollen, was jemand nun genau gesagt oder nicht gesagt hat, oder doch gesagt, aber nicht so gemeint hat?«

      »Nur, wenn sie betrunken sind«, lachte sie, »und das ist gar nicht so selten.« Auch die Frauen, besonders die alten, langten ganz schön zu und zogen dazu gierig an Tabakpfeifen.

      Michaela Halbmond blickte über die Schulter, um nach einer Bedienung Ausschau zu halten, aber da war nur der einsame Gast, der unverändert in seinen Taschen wühlte. Sie wandte sich wieder mir zu. Jetzt stach ihr Blick nicht mehr an mir vorbei in ein fernes Gedankenarchiv. Jetzt blickte sie mich offen und geduldig an, als wäre sie endlich bei mir angekommen. Sie hatte es nicht eilig, etwas zu sagen.

      »Es geht mir um die Kluft«, sagte ich, »um diese Kluft, die überall ist, wo Menschen sprechen. Die mitten durch jeden Satz verläuft, den Menschen aussprechen und mitten durch jeden Satz verlaufen ist, den Menschen jemals ausgesprochen haben. Die Kluft, die alles aufspaltet in das, was sie sagen und das, was sie meinen.«

      Sie hatte längst verstanden. Sie lächelte ernst und nickte langsam. Wenn sie »Ja« sagte, sank ihr Ton in einem Bogen nach unten und nahm etwas zärtlich Zusicherndes an, fast etwas Tröstendes. »Ja«, sagte sie, »ich mag diese Leidenschaft in deinen Gedanken. Sie sind bestechend und unbescheiden, wie es sich gehört, wenn du bereit bist für die Revolution. Käme jemand in meinem Fach mit sowas daher, würden alle den Kopf schütteln, obwohl wir, genau betrachtet, eigentlich dasselbe sagen.«

      Sie nahm mich ernst. Ich war erleichtert.

      »Gibt es einen Weg zurück?«, fragte ich. Sie wusste ansatzlos, was ich meinte, das hatte sie bei der Buchpräsentation schon verstanden. Sie zuckte mit den Schultern, dann schüttelte sie den Kopf. Einen Weg zurück zum Anfang? Das sei es doch, was die gesamte Forschung suche. Einen Weg zurück zum Anfang gebe es nicht, aber einen Anfang, das schon.

      »Ja?«

      »Ja. Der Zaun im Zoo. Dort ist der Anfang. Das ist die Grenze.«

      »Gehst du mit mir in den Zoo?«

      »Ja, wenn du möchtest«, schmunzelte sie, »gehe ich mit dir in den Zoo.«

      Am Zaun im Zoo sei das Ende und der Anfang, da, wo das Tierreich ende und das Menschenreich beginne. »Ich bin nur eine Erbsenzählerin«, sagte sie, »eine I-Tüpfchen-Reiterin. Wir sagen, ›Okay, der eine sagt Muh, der andere Mäh, hochinteressant, das müssen wir analysieren‹. Aber wir verstehen wenig über die großen Hintergründe. Es gibt kein Sprachmuseum mit Fossilien, es gibt keine Verbindung in die ältere Geschichte, von der man etwas über die Gegenwart lernen könnte.«

      »Aber das Menschsein beginnt mit der Sprache«, fragte ich dazwischen, »das sagst auch du, oder?«

      »Natürlich. Das Menschsein beginnt mit dem bewussten Denken, das Denken beginnt mit dem Begreifen und Begreifen heißt nichts anderes als Begriff geben. Versprachlichen. Einen diffusen Bedeutungsinhalt in die Form


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