Abara Da Kabar. Emil Bobi

Abara Da Kabar - Emil Bobi


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das, obwohl es heller Tag war, aus den Neonröhren von der Decke starrte wie eine synthetische Behauptung von Licht. Und fast völlig lautlos war es auf einmal geworden, sodass ich meinte, das Knistern der elektronischen Geräte zu hören, die nach einem Stromausfall abkühlten und nun nach Strom und schwarzem Kunststoff stanken.

      Ich schloss die Augen. Sie war kaputt. Unsere schöne Sprachmaschine warf schadhafte Produkte aus, die nicht nur wertlos waren, sondern auch hochgiftig. Man hatte immer schon gesehen, dass ihre Produkte seltsam unpassend waren und man drehte und wendete sie ratlos, als hätte man in der Anwendung etwas falsch gemacht, ohne dahinterzukommen, was. Aber es war nur ein diffuser Verdacht, und so lebte man mit diesen Ergebnissen und hielt das Falsche für richtig, weil man weder das Falsche noch das Richtige je gesehen hatte, sondern immer nur dachte, es zu sehen. Nie war jemand auf die Idee gekommen, die Maschine zu hinterfragen. Sie lief ja.

      Die Sprache war defekt und das bedeutete Unermessliches. Die Geschichte der Menschheit war eine Geschichte der Missverständnisse. Sie war eine Geschichte des Suchens nach den richtigen Wörtern und den Konsequenzen dafür, sie nicht gefunden zu haben. Der Gesamtzustand der Welt war das Abbild einer gescheiterten Sprache, das Sittenbild einer an der Sprache gescheiterten Menschheit. Funktionierende Sprachkommunikation war pure Illusion.

      Das war doch der Grund, warum auf der Welt ständig Dinge passierten, die niemand wollte, dachte ich. Wenn ein Friedensabkommen nicht hielt, was hielt da nicht? Doch nicht der Friedenswille, sondern das Abkommen. Und ein Abkommen war das Ergebnis eines Tauschhandels mit Wörtern. Was nicht hielt, waren natürlich verhandlungsstrategisch in Stellung gebrachte Wortkombinationen. Es war doch sonnenklar: Konflikte eskalierten, weil die richtigen Worte nicht gefunden wurden und keiner wusste, dass es die gesuchten Wörter gar nicht gab. Kriege brachen aus, nicht weil die Menschen so gerne Krieg führten, sondern weil die Sprach-Kommunikation nicht ausreichte, sie zu verhindern. Es ging hier nicht um österreichische Innenpolitik, sondern um den Zustand, in dem sich die Welt befand. Dieser Zustand war insgesamt das Ergebnis erfolgloser Kommunikation. Die Geschichte der Menschheit war eine Geschichte der sprechenden Fäuste, die in Aktion traten, wenn die Wörter ausgingen. Dieses Prinzip reichte von der Sandkiste über den Kaffeehaus-Tratsch bis zur Paar-Therapie und bis ins weltpolitische Gipfeltreffen. Dieses Prinzip war allgegenwärtig.

      Keine von Menschen gemachte Aussage hatte jemals die Wirklichkeit abgebildet. Und das war nur das eine. Das andere war, dass auch nichts zutreffend sein konnte, was Menschen mit ihren Gedanken im Kopf machten, denn selbstverständlich bestanden auch Gedanken aus sprachlichen Begriffen. Was der Mensch dachte, konnte nur falsch sein. Er hatte alle seine Wahrnehmungen falsch verpackt, in eine Sprache gehüllt, die den Packungsinhalt nicht wiedergab. Er lebte in einer Scheinwelt, die von einer Scheinsprache projiziert wurde. Ok, dachte ich, na lustig: Die Welt, wie ich sie sehe, gibt es nicht. Sie ist ein Produkt der kollektiven Einbildung, wir würden uns verständigen. So war das. Vorausgesetzt, ich war nicht wahnsinnig geworden. Und das war ich nicht. Ich war nicht wahnsinniger als davor.

       3

      Als ich das Haus verließ, war die Konferenz noch nicht zu Ende, aber ich war schon in die Gegenrichtung unterwegs. Das war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst, aber im Rückblick kommt mir vor, dass ich da mein Ziel bereits gepeilt hatte. Ich griff nach einem Notizblock und zwei oder drei Bleistiften mittlerer Härte, hielt inne, ließ beides wieder fallen, wollte mich zum Gehen abwenden, nahm das Schreibzeug dann doch an mich und ging. Richtung Anfang.

      Auf der Straße bemerkte ich, dass es auch etwas wie Wetter gab. Es hatte geregnet und mittlerweile schon wieder aufgehört. Die Luft war warm und nass wie in den Tropen und es wurde langsam dunkel. Im Westen war die Wolkendecke aufgerissen, aber die untergehende Sonne hatte es zum Glück nicht mehr geschafft, noch einmal in die wohlige Regendüsternis zu leuchten und sie kaputtzumachen mit ihren letzten, dünnen Strahlen, die ohnehin schon zu schwach waren, den Tag noch einmal zurückzubringen. Jetzt begann es von Osten her erneut zuzuziehen. Fettiges, hochschwangeres Gewölk kroch heran und hielt knapp über der Stadt. Über den Kanten der Häuserschluchten stand eine vulgäre Decken-Freske aus schwarzen Bäuchen wie regloser Rauch. Die Mariahilfer Straße war wie ein in schwarzen Fels getriebener Stollen hinunter zur Zweierlinie, in dem es donnerte und hupte und rot vor Bremslichtern flackerte, als würde eine angelaufene Evakuierung nicht funktionieren. In der U-Bahn roch es nach feuchten Menschen und dem nassen Moder von Altkleidern. Am Stephansplatz lagen die Pflastersteine im Widerglanz bunter Leuchtreklamen und ein obdachloser Zeitungsverkäufer lächelte ermutigend. Die Dame in Louis Vuitton schleppte alleingelassen ihre Einkaufstaschen und warf tapfer ihre Mähne in den Nacken. Im Stravinsky war alles voll.

      Im Stravinsky war immer alles voll. Es war einfach zu klein, um nicht voll zu sein. Schon nachmittags kehrte hier die tägliche Feierlichkeit ein und heizte die Kneipe auf Betriebstemperatur. Wer das Stravinsky betrat, der erschien wie auf einer Bühne. Er lächelte bescheiden nickend, als bedanke er sich für den Applaus. Die Luft war erfüllt mit gelassenem Lachen, verziert mit dem dünnen Klirren von Sektflöten und zerhackt von schwer aneinander gerammten Krügeln. Glühende Augen wanderten. Grauberger von der Innenpolitik des Wiener Boten lehnte an der Theke und war in die druckfrische Abendausgabe seiner Zeitung vertieft. Er las seine eigene Geschichte, die er wenige Stunden zuvor abgegeben hatte. An einer Textstelle lachte er schallend auf, nickte anerkennend und legte das Blatt zur Seite. Er bestellte ein neues Bier, dazu einen Schnaps, rauchte sich eine Zigarette an und lächelte nickend in sich hinein.

      Ich ging manchmal ins Stravinsky, weil ich den Gestank dort mochte. Alle pafften eine nach der anderen und durch den stehenden grauen Nebel wanden sich blaue Rauchschwaden. Es roch sauer nach altem Bier und schaumig nach neuem. Zwischen Duftfäden aus Moschus oder sowas stank das Holz modrig nach Alter. Die Wandverkleidungen, die Sitzbänke, die Theke, die hinterspiegelten Regale, alles vor mehr als 100 Jahren wie aus einem Stück Holz geschnitzt und geschwärzt von den tausend Nächten und den tausend Geschichten.

      Da entdeckte ich Paul. Er stand da, sein Schnauzer hing ihm zerfranst über die Unterlippe und wie eh und je schmunzelte er wissend, als wäre er nie weggewesen. Paul, das war alte Schule. Um Leute wie ihn zu treffen, kam ich manchmal hier her.

      »Und?«, sagte er, »was schreibst?«

      »Was weiß ich«, sagte ich abwehrend, »etwas über Sprache.«

      Paul zog die Brauen hoch und wartete.

      »Na schau«, sagte ich, »die Story lautet: Die Sprache ist an allem schuld. Nicht der Mensch ist böse, sondern die Sprache. Sie ist sehr, sehr böse. Sie macht alles kaputt, weil sie selbst kaputt ist.«

      Paul schmunzelte: »Sprachkrise. Eh gut. Wann kommt das?«

      »Ich habe erst angefangen. Ich muss einmal jemanden finden, der mir so etwas zumindest entfernt bestätigt, oder wenigstens ansatzweise nicht dementiert. Bisher habe ich nur bemerkt, dass Sprache ein endlos riesiges Gebiet ist. Seit Jahrtausenden sagen alle gescheiten und weniger gescheiten Menschen etwas über sie. Und sie alle umschreiben mit schönen, intelligenten, oder anderswie interessanten Sätzen, dass sie keine Ahnung haben, was Sprache überhaupt sein soll.«

      Er nickte. »Ich bin froh, dass ich in Pension bin.«

      Grauberger hob den Kopf und grinste. Der lange Kellner mit der Glatze und der sicherheitshalber vornübergebeugten Körperhaltung fischte den vollen Aschenbecher von der Theke und ließ den Inhalt mit der Fingerfertigkeit eines Trick-Magiers im Abfallkübel verschwinden.

      »Aber wen willst du wirklich damit zitieren?«, fragte Paul, »du kannst ja nicht daherkommen und sagen, ich, liebe Leute, sage euch hiermit, eure Sprache hat einen Totalschaden. Die werden sagen, lieber Herr Reporter, vielleicht sind doch sie selbst es, der einen Totalschaden hat.«

      »Weiß nicht«, sagte ich, »ausgegangen bin ich von einer harmlosen Geschichte über Wahlkampf-Sprache, weißt eh, qua, qua, über tiefenpsychologisch und manipulativ sein wollendes Spitzenkandidaten-Gestammel und so weiter. Aber wenn man auch nur ein bisschen genauer hinschaut, wird die Sache gleich höchst gescheit und dann drängen sich Fragen auf, die die Sprache selbst betreffen und alles, was da dranhängt und dahintersteckt. Und weißt du, was da


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