Nur der See sah zu. Herbert Dutzler

Nur der See sah zu - Herbert Dutzler


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strampelt mit Armen und Beinen.

      Die Gruppe merkt nichts.

      Bei den drei aneinandergelehnten Steinen, die ein bisserl an Stonehenge erinnern, hole ich die anderen ein. Im Faltblatt steht für diese Station: Unser Weg ist nun zu Ende. Wir durften die Herrlichkeit der Schöpfung schauen.

      Der Schöpfung und der Vergänglichkeit, denke ich.

      „Schreit da nicht wer?“, fragt die hagere Lehrerin.

      „Ist das mein Herrmann?“, fragt die Numismatikergattin.

      Wir legen alle die Köpfe schräg und lauschen.

      Ja, definitiv, da schreit wer. Der stylische Rucksackler muss sich mein Halstuch aus dem Mund gezogen haben.

      „Das ist der berühmte Karwendeljodler“, improvisiere ich kühn. „Die Einheimischen jodeln aus purer Lebenslust und alter Tradition immer um …“ Ich schaue auf meine Uhr. „… um zwanzig nach elf.“

      „Ich finde, das klingt nicht nach Jodeln“, sagt mein Pastellhemdträger, der dem Akzent nach offenbar aus der Schweiz kommt. „Das ist doch eine völlig falsche Atemtechnik.“

      „Bei Ihnen mag man anders jodeln“, erkläre ich streng, „aber jeder darf doch wohl bitte schön jodeln, wie er mag, da wollen wir doch tolerant sein.“

      „Natürlich“, sagt er rasch, weil er gut erzogen und Gast in diesem Lande ist.

      „Weitergehen!“, befehle ich, was meine Schäfchen auch hurtig tun. Bis auf die Lehrerin.

      „Machen Sie sich nichts draus, dass so viele abspringen“, raunt sie mir zu, allerdings in Bühnenflüstern, weswegen es alle hören. „Sie lernen schon noch, wie man eine Gruppe fesselt.“

      „Ich finde, sie macht das sehr ordentlich“, erklärt eines der Blumenmädchen.

      Das muss das Stockholm-Syndrom sein. Wenn man lange genug jemandem ausgeliefert ist – und aufgrund der Umstände keine Chance zur Flucht hat –, dann stellt sich Zuneigung ein. Man kennt das von Entführungsopfern. Und jetzt von meiner Besinnungswegwandergruppe.

      „Danke“, sage ich gerührt und rufe: „Und wir gehen weiter!“

      Und dann haben wir es geschafft. Vorbei an dem knallroten Rodlhütten-Transfer-Bus erreichen wir die Hütte. In weiser Voraussicht habe ich nur einen einzigen Tisch direkt vor der Hütte reservieren lassen, mit Blick auf den See. Der reicht lässig für uns paar Hansel. „Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, es war sehr nett mit Ihnen. Jetzt können Sie noch ein wenig die Seele baumeln lassen. Es ist mir ein Vergnügen, Sie auf ein Getränk einzuladen. Holunder-Prosecco für die Damen, ein Bier für die Herren? Gern!“

      Meine stark dezimierte Schafherde setzt sich und genießt die Aussicht. Dieser Friede hier oben, diese Stille. Man hört nichts als den Wind, der mit der Fahne spielt, Vogelgezwitscher, das Knirschen von Kies unter den Rädern der Mountainbiker, die vorbeifahren, ein Schiffshorn von unten am See, den Zwölf-Uhr-Alarm und das Ave-Maria und das Schnaufen der Flachländer, die den breiten Weg aus Pertisau heraufkommen.

      Ich mustere meine Gruppe. Es ist nichts Persönliches. Wir haben sie nicht mit Bedacht ausgewählt. Es war einfach Zufall. An diesem Samstag gab es diese Führung hier auf dem Besinnungsweg, und da kamen wir auf die Idee, uns gegenseitig Arbeitsproben zu zeigen, und ich habe, wie gesagt, beim Streichholzziehen verloren, und die richtige Besinnungswegführerin liegt seit zwei Stunden tot in meinem Kofferraum auf dem Parkplatz unten.

      Ja, genau, wir sind Auftragsmörder: Adewale und Ilija aus der Karwendelbahn, Sandy und Mandy, die sächsischen Killerzwillinge, Augusto, der Professor und ich, um nur einige zu nennen. Wir morden normalerweise nur im Auftrag und für viel Geld. Aber einmal im Jahr treffen wir uns immer rein privat an verschiedenen Locations in aller Welt – im Waldorf Astoria in New York, im Peninsula in Hongkong und dieses Jahr eben im Posthotel in Achenkirch – zum netten Beisammensein unter Gleichgesinnten und zu Fachvorträgen wie beispielsweise zum Thema „Handarbeit“, also Würge- und Drosseltechniken. Höhepunkt unserer Auftragskillerjahrestreffen ist immer eine Exkursion ins Hinterland, wo wir uns – wie damals in Kolumbien – Spontanschießereien mit einheimischen Kriminellen liefern. Oder eben wo wir uns – wenn es zu wenig Kriminelle vor Ort gibt, wie heuer auf dem Besinnungsweg – gegenseitig voller Stolz unsere schönsten Mordmethoden zeigen. Ich wette, die schwerhörige Alte wurde von Madame Li aus Hongkong mit einem vergifteten Blasrohrpfeil ermordet und liegt jetzt mit Schaum vor dem Mund quer über der Holzbank in der Pension Dienmut. Es gab noch eine kleine Missstimmung, als es darum ging, ob wir die Leichen einfach liegen lassen oder ob wir sie – dafür stimmte vor allem Augusto, der immer sehr auf Ökologie und Nachhaltigkeit bedacht ist – mit Gewichten an den Beinen im Achensee versenken. Na, dieses Problem habe ich zumindest nicht.

      Meine Gruppe sitzt ahnungslos am Tisch und zeigt sich gegenseitig die frisch geschossenen Handyfotos. Die Jungs und Mädels sind mir fast ein bisschen ans Herz gewachsen. Ich seufze sentimental. In der Hütte ist Selbstbedienung, deswegen gehe ich hinein und bestelle. Nein, ich schütte kein geheimnisvolles südamerikanisches Gift in die Gläser, das man bei Obduktionen nicht nachweisen kann. Ich serviere einwandfreien Prosecco und leckeres Bier. Das gehört sich so beim letzten Getränk. Dann sage ich: „Ich muss nur kurz telefonieren. Prost schon mal!“

      Ich drehe mich um und kehre auf den Dien-Mut-Weg zurück. Runter wird es schnell gehen, in einer halben Stunde werde ich am Auto sein. Meinen Rucksack habe ich unter dem reservierten Tisch zurückgelassen.

      Bei den drei Stonehenge-Steinen bleibe ich stehen und hole tief Luft. Hach, diese herrliche Bergluft. So belebend! Oder auch nicht.

      Ich zücke mein Handy und gebe den Code ein – und da hört man außer Vogelgezwitscher, Kiesknirschen und Schiffshupen auch schon ein lautes BUMMMMMMMMMMMMMMMMMM!

      Dann … Totenstille.

      Lebt wohl, meine Schäfchen. So viele auf einen Streich! Den diesjährigen Jahrestreffen-Bodycount-Rekord werde definitiv ich einfahren …

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