Primary Nursing in der ambulanten Langzeitpflege. Christine Bretbacher

Primary Nursing in der ambulanten Langzeitpflege - Christine Bretbacher


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Betrachtung des Settings und der Zielgruppe mit deren soziodemografischen, sozioökonomischen Aspekten und gesundheitsspezifischen Merkmalen und Risiken, die genaue Beschreibung des Interventionsprogrammes und deren Implementierung sowie die Darstellung der gesundheitsbezogenen Outcomes inklusive Kosten und Wirkungen (Tappenden et al. 2012).

      1.4 Begriffliche Klärungen

      Erläutert werden an dieser Stelle die Begriffe Pflegesystem, Primary Nursing und Mobile Langzeitpflege als Untersuchungsfeld, in dem die Studie durchgeführt wurde.

      Pflegesystem

      Der Begriff Pflegesystem ist in der Literatur nicht einheitlich definiert. Im Fachbereich Pflege beschreibt ein Pflegesystem innerhalb der professionellen Gesundheits- und Kranken- sowie der Altenpflege die planmäßige, systematische und methodische Strukturierung der Arbeitsabläufe. Die Systeme werden pflegewissenschaftlich erforscht und sind ein Teilbereich des arbeitsorganisatorischen Pflegemanagements. Die Pflegesysteme können hinsichtlich ihrer grundlegenden Orientierung in patienten- oder aufgabenbezogene Pflegesysteme unterteilt werden. Die Wahl der Pflegeeinrichtung hinsichtlich der Form der Arbeitsorganisation wirkt sich direkt auf die Pflegequalität und die Zufriedenheit der Pflegebedürftigen und der Pflegekräfte aus. Häufig wird die Entscheidung einer Pflegeeinrichtung für ein bestimmtes System im Pflege- oder Unternehmensleitbild festgeschrieben (Kellnhauser et al. 2004).

      In der Pflegepraxis wird bei Pflegesystemen häufig auch von Pflegeorganisationssystemen gesprochen, wobei vier Grundformen unterschieden werden, die in zahlreichen Abstufungen und Mischformen vorhanden sind. Als aufgabenorientiertes Pflegeorganisationssystem gilt die sogenannte Funktionspflege, deren hoch arbeitsteiliges Konzept eigentlich der industriellen Produktion entstammt. Als Nutzen versprach man sich in der Pflege eine hohe Wirtschaftlichkeit, indem man das Pflegepersonal primär der Qualifikation entsprechend einsetzte und sich außerdem durch die entstehende Routine eine Zeitersparnis erhoffte. Weniger bedacht wurde der große Koordinationsbedarf durch hohe Arbeitsteiligkeit und die mit der Konzentration auf die Einzeltätigkeit verbundene Unzufriedenheit der Pflegepersonen und der Pflegebedürftigen (Menche 2014).

      Die Gruppen- oder Bereichspflege orientiert sich mehr am Bedürfnis der Pflegebedürftigen nach einer Beziehungsperson sowie dem Bedürfnis der Pflegepersonen selber nach Beziehungsaufbau, verbunden mit einer höheren Berufszufriedenheit. Anders als in der Funktionspflege erledigt eine Pflegeperson üblicherweise alle anfallenden Pflegetätigkeiten im Rahmen ihrer Schicht an einer pflegebedürftigen Person, meist in Form von Gruppen-, Bereichs- oder Zimmerpflege. Damit entsteht für alle Beteiligten ein höherer Tätigkeits- und Entscheidungsspielraum, der es ermöglicht, die individuellen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen im Tagesablauf mehr zu berücksichtigen. Eine Weiterentwicklung der Gruppen- oder Bereichspflege stellt Primary Nursing dar.

      Aus gesellschaftlicher oder volkswirtschaftlicher Perspektive wird unter Pflegesystem ein System der staatlichen Pflegevorsorge verstanden, nämlich jener Teil, der neben dem Medizinsystem gesundheitliche Lebensrisiken absichern soll. Während in Deutschland die Pflegeversicherung als fünfte Säule der Pflichtversicherungen im Sozialgesetzbuch verankert und primär beitragsfinanziert ist, wird das Pflegesystem in Österreich in erster Linie aus Steuermitteln finanziert (Mühlberger et al. 2008). Wenn in dieser wissenschaftlichen Arbeit von Pflegesystem gesprochen wird, ist ausschließlich die systematische und methodische Strukturierung der Arbeitsabläufe in der Pflege gemeint.

      Primary Nursing

      Dieses ursprünglich aus dem angloamerikanischen Raum stammende Pflegesystem ist gekennzeichnet durch eine primärpflegende DGKP, die über den gesamten Zeitraum, »von der Aufnahme bis zur Entlassung« (Manthey 2011a, S. 106) einer pflegebedürftigen Person für deren gesamte Pflege verantwortlich ist, auch wenn sie nicht im Dienst ist. Die dadurch entstehende höhere Kontinuität der pflegerischen Versorgung lässt eine bessere Wirksamkeit der Pflege sowie mehr Transparenz und Zufriedenheit für die Beteiligten erwarten (Menche 2014; Manthey 2011). Näher erläutert wird dieses Pflegesystem im Kapitel 2.2.

      Mobile Pflege und Betreuung, Hauskrankenpflege

      Die Sicherstellung der pflegerischen Langzeitversorgung ist in Österreich Ländersache. Den Richtlinien der Länder zufolge soll den hilfe- und betreuungsbedürftigen Menschen möglich sein, ein […] »flächendeckendes, wirksames und wirtschaftliches Angebot an professionellen mobilen sozialen Diensten bei Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit bzw. einem erkennbaren Vorstadium durch Inanspruchnahme einer fachlichen, situationsgerechten und individuellen Hilfe eine selbständige Lebensführung aufrecht zu halten oder (wieder) zu erlangen, um dadurch solange wie möglich im eigenen Haushalt – und somit in der gewohnten Umgebung bleiben zu können […]« (Amt der OÖ Landesregierung 2006, S. 2). »Das Gesamtbetreuungs- und Pflegesystem [Anm: staatliche Pflegevorsorge] muss sich am Grundsatz der Subsidiarität ausrichten. Das heißt insbesondere, dass vorweg alle Möglichkeiten abzuklären sind, inwieweit Angehörige, Nachbarn sowie ehrenamtliche Dienste in diese individuelle Betreuung und Hilfe eingebunden werden können« (Amt der OÖ Landesregierung 2006, S. 3).

      Das System der mobilen Pflege und Betreuung wird von den regionalen Trägern Sozialer Hilfe als notwendiger Bestandteil eines sozialen Vorsorgesystems betrachtet, das nach diversen Leitideen und Prinzipien arbeiten soll. Dies sind unter anderem die Wertschätzung des Alters, die Selbstbestimmung und Individualität, die Förderung der Selbsthilfefähigkeit und die Gewährleistung der Versorgungssicherheit, der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit, die Kundenorientierung und Familienbezogenheit sowie die begleitende Unterstützung pflegender Angehöriger als wichtiger Bestandteil des Pflegesystems (Amt der OÖ Landesregierung 2006).

      Als Rechtsgrundlage für mobile Dienste sowie der sozialen Hauskrankenpflege beruft sich das Amt der OÖ Landesregierung auf das OÖ Sozialhilfegesetz, wo dieses im Sinne des § 31 Abs. 8 in der gültigen Fassung von 1998 das Einvernehmen mit dem Land OÖ mehrere Sozialsprengel festzulegen hat. Kontakt- und Anlaufstellen für das Angebot sind unter anderem Gemeindeämter, Sozialberatungsstellen oder die Pflegeleistungsanbieter direkt (Amt der OÖ Landesregierung, 2006).

      Die mobile Pflege und Betreuung ist im OÖ Roten Kreuz in der Sparte der Gesundheits- und Sozialdienste angesiedelt und umfasst zum Studienzeitpunkt 779 Pflegepersonen, davon 229 DGKP und 550 Personen der Berufsgruppen Fachsozialbetreuung und Heimhilfe. 2017 wurden 6.671 pflegebedürftige Personen aller Pflegegeldstufen zu Hause in unterschiedlichen Leistungsumfängen betreut.

      Das jährlich von den regionalen Trägern Sozialer Hilfe beauftragte Leistungsvolumen umfasste 2016 bis 2017 598.000 Leistungsstunden. Damit ist das OÖ Rote Kreuz knapp der größte Pflegedienstleistungsanbieter im Non-Profit-Sektor, gefolgt von Caritas, OÖ Hilfswerk, Volkshilfe OÖ und einigen kleinen privaten Initiativen. Dem Spartenleiter des Gesundheits- und Sozialdienstes unterstellt ist die Pflegedienstleitung der mobilen Pflege und Betreuung mit Gesamtverantwortung für den kaufmännischen und den pflegerischen Bereich. Angegliedert ist die Stabsstelle Fachentwicklung Pflege sowie die Verwaltung der Pflegedienste. Die Organisation des Pflegedienstes in den Bezirken erfolgt relativ autonom durch 16 Bezirkspflegedienstleitungen nach den Vorgaben des Qualitätsmanagements. Die Einrichtung ist qualitätszertifiziert nach DIN ISO 9001:2008.

      Derzeit ist das praktizierte Pflegesystem im Pilotprojekt als Bezirks- oder Tourensystem mit Gebietspflegepersonen und sogenannten Springern – ähnlich einem Gruppenpflegesystem organisiert, allerdings mit überwiegend tätigkeitsorientiertem Paradigma (Bretbacher 2015, unveröffentlicht). Bei Personen, die ausschließlich grundpflegerische Versorgung benötigen, wird jeweils von einer DGKP die Pflegediagnostik und die Pflegeplanung inklusive halbjährlicher Pflegeplanevaluation durchgeführt. Die Unterstützung oder Übernahme von Pflegetätigkeiten erfolgt in der Regel ausschließlich von Fachsozialbetreuerinnen und Fachsozialbetreuern, Pflegeassistenzberufen und Heimhilfen.

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