Perry Rhodan: Andromeda (Sammelband). Uwe Anton
sein.«
Raye wurde klar, dass er nicht die Wahrheit sagte. Zumindest nicht die ganze. Natürlich konnte er in ein paar Sekunden an Bord seines Schiffes sein. Aber das würde auch nichts ändern. Ob mit oder ohne ihn ... die Flotte von fünfzig Raumern hatte gegen einen Angriff der Schädlinge keine Chance. Ihre einzige Hoffnung war, dass die Invasoren Cyrdan nicht angriffen.
»Gern«, sagte sie. »Wenn ich mir keine Gewissensbisse machen muss, dich von deiner Pflicht abzuhalten, trinke ich gern noch einen Ripperger mit dir.«
Admiral Kethmero lächelte. Er versuchte es zumindest. Raye fragte sich, ob es ihm überhaupt noch einmal gelingen würde, ein echtes Lächeln zu zeigen.
Und sie fragte sich, wo die JOURNEE gerade war.
Nein ... eigentlich fragte sie sich, wo Zim gerade war.
»Die JOURNEE ist soeben in den Überlichtflug eingetreten«, sagte Kethmero, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Hier hält uns also nichts mehr. Mein Gleiter steht da vorn. Und ich kenne ein ausgezeichnetes Restaurant in Athreel ...«
»Gern«, sagte Raye. Sie liebte die schwimmende Stadt. »Ich freue mich. Was für ein Restaurant schlägst ...«
Sie konnte den Satz nicht vollenden, denn in diesem Augenblick ging hoch oben am Himmel über dem Elvulryl-Raumhafen eine neue Sonne auf.
Es war noch heller Tag, und die Explosion am Zenit machte ihn noch heller, schier unerträglich hell, verbreitete zuerst Licht, dann strahlenden Schimmer, dann Wärme, dann eine Hitze, die ihre Haare versengte.
Bevor sie noch irgendetwas sagen oder reagieren konnte, wirbelte Admiral Kethmero herum und rannte los, lief, was seine Muskeln und Lungen hergaben, zu dem nächsten Terminal mit einem Transmitter.
Er muss an Bord seines Flaggschiffs, dachte Raye, er muss die Verteidigung unseres Heimatplaneten organisieren, er hat keine Wahl, er muss sich mit seinen fünfzig armseligen Schiffen der sechsunddreißigsten Außenrandflotte der entscheidenden Schlacht stellen, und wenn einer uns retten kann, dann er ...
Aber ein anderer Teil von ihr dachte etwas anderes. So viel bedeute ich ihm also. Er lässt mich einfach zurück. Er lässt mich einfach hier stehen wie ein Stück Vieh.
Zim hatte ihr wenigstens versprochen, zu ihr zurückzukehren. Einerseits glaubte sie nicht daran. Ja, der Emotionaut hatte sich in sie verliebt, das war ihr klar, vielleicht sogar heillos, Hals über Kopf, in sie verschossen, aber das war nur eine harmlose Schwärmerei, er war Terraner, er kam aus einer anderen Galaxis ...
Und was, wenn er es doch ernst meint?
Das spielte keine Rolle mehr. Raye wusste, die Flotte von Cyrdan hatte keine Chance. Kethmero konnte vielleicht noch ein paar Minuten herausholen, aber dann würde Cyrdan im Intervallfeuer der Invasoren untergehen, und mit dem Planeten all seine Bewohner ...
Aber wenn sie überlebte. Und dann ... wenn doch?
Dann hatte sie ernsthafte Schwierigkeiten.
Aber auch in der Milchstraße wurden gute Mediker gebraucht.
Ein Komet, ein Meteorit, eine Sternschnuppe, was auch immer, sauste mit einem hohen Pfeifen heran und schlug in das Terminal ein, in dem Kethmero gerade verschwunden war. Das Gebäude explodierte. Mit einem Mal regnete es nicht nur Feuer und Trümmerstücke vom Himmel, nein, der Boden von Cyrdan spuckte Lava empor, glutflüssige reine Hitze, die Kilometer entfernt an die Oberfläche schnellte und trotzdem ihre Haare versengte.
Raye sah sich um und rannte los. Normalerweise wurden Tausende von Raumschiffen hier be- oder entladen, gewartet, repariert oder auch nur lackiert, aber seit den Angriffen der Invasoren war die Raumfahrt geradezu zum Erliegen gekommen. Elvulryl konnte sich zurzeit ganzer zehn Schiffe rühmen, die hier auf ihren Start warteten.
Acht Frachter und zwei Passagier-Luxusliner.
Sie lief weiter, zu dem nächsten Schiff, einem 600 Meter durchmessenden Handelsraumer, einem alten Seelenverkäufer, der schon viel bessere Tage gesehen hatte. Und plötzlich bemerkte sie, dass sie nicht die Einzige war. Sie wusste nicht, wie viele Tefroder hier auf dem Raumhafen arbeiteten, aber es waren Zehn-, wenn nicht sogar Hunderttausende, die aus den Gebäuden stürmten und zu den zehn Raumschiffen liefen, die ihre Triebwerke hochfuhren, aber noch nicht starteten, als wüssten ihre Besatzungen, dass sie die letzte Hoffnung dieser Verzweifelten waren.
Oder schon tot und verloren. Ob sie nun hier auf Cyrdan untergingen oder in der Umlaufbahn von den Kastun-Schiffen abgeschossen wurden.
Raye wusste mit dem Gedanken, der ihr plötzlich kam, nichts anzufangen, und sie beachtete ihn auch nicht weiter. Aber falls sie diesen Angriff wider Erwarten überleben sollte, würde sie darüber nachdenken müssen.
Zim, es tut mir Leid, so Leid für dich.
Sie rannte, obwohl die Luft in ihren Lungen brannte. Sie rannte, obwohl ihre Muskeln schmerzten und sie sich am liebsten fallen gelassen hätte, liegen geblieben wäre, tödliche Giftgase eingeatmet hätte, die ihr ein kurzes, schmerzloses Ende bereiteten. Sie rannte und rannte, und Trümmerstücke schossen pfeifend und jaulend hinab und verfehlten sie nur um Meter, und die Luft war keine Luft mehr, sondern brennende Hitze, und eine dritte Sonne ging am Himmel auf, ein weiteres der fünfzig Schiffe, die Cyrdan verteidigen wollten, und sie fragte sich, wie viele schon weit draußen im All vernichtet worden waren, deren Trümmer sich nun durch den leeren Raum ausbreiteten und langsam erkalteten, während hier auf ihrer Heimatwelt ein brennendes Inferno seinen Siegeszug hielt.
Ein brennendes Inferno.
Brennende Schiffe.
Es war genau wie auf Rakusa.
Nein, dachte sie, nein. Nicht zweimal. Ich habe es einmal überlebt, ich habe es einmal überstanden, aber bitte kein zweites Mal.
Das ist nicht fair. Das ist, als würde ich den Mann, das Glück meines Lebens finden, und nach wenigen Jahren stirbt er, und ich brauche Jahre, um ein zweites Glück, einen zweiten Mann zu finden, und nach wenigen Jahren stirbt er auch, und woher soll ich die Kraft nehmen, es ein drittes Mal zu versuchen? Ich bin einundzwanzig Jahre alt, und Zim fliegt in die Milchstraße zurück, und sein Versprechen war eine harmlose Schwärmerei, und ich werde ihn nie wieder sehen ...
»Das ist nicht fair«, flüsterte sie. »Das ist nicht fair.«
Es war nicht fair, aber sie konnte nichts daran ändern. Es war nicht fair, dass das kosmische Trümmerstück sie traf, der Splitter einer Toilettenschüssel in irgendeiner Kabine eines Raumschiffs, in dem gerade 2000 Tefroder gestorben waren.
Es war wirklich nicht fair, und sie konnte wirklich nichts daran ändern.
Sie flog meterweit durch die Luft, und sie hatte den Eindruck, dass jemand sie auffing, aber das war reines Wunschdenken, und solch ein Glück hatte man nicht, und sie war nicht einmal traurig, dass es vorbei war. Ganz im Gegenteil, sie wünschte sich, dass es endlich erledigt war. Sie hatte den Mann ihres Lebens noch nicht gefunden, und sie würde keine Trauer empfinden, wenn sie ihn verlor.
Niemand würde sie verstehen, und sie verstand sich selbst nicht, aber der Verlust war schlimmer als alles andere. Lieber sterbe ich, dachte sie, als dass ich erlebe, wie jemand stirbt, den ich liebe.
Sie spürte, wie starke Arme sie packten, und sie fragte sich, ob sie sie in den Himmel oder in die Hölle trugen.
Aber das war ihr eigentlich gleichgültig. Es gab weder das eine noch das andere. Es gab nur eine endlose Leere, ein unendliches Nichts.
Zim, dachte sie, Zim, und tatsächlich bedauerte sie nur wegen Zim November, dass diese Leere, dieses Nichts, sie umfing und willkommen hieß.
Eher unfreiwillig ging sie darin auf.
Kapitel 10
Ein Tropfen in einem reißenden Fluss
JOURNEE,