Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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Au­gen in ei­nem Lehn­stuhl, wäh­rend die Män­ner un­ter sich fort­plau­der­ten, weil sie wuss­ten, dass ihm das an­ge­nehm war. Der Glas­schnei­der Leh­mann und sein Schü­ler Ge­org Schwan­hard wa­ren da­mit be­schäf­tigt, eine An­sicht der Stadt Nürn­berg in einen Po­kal zu schnei­den, ob­wohl die fei­ne Ar­beit beim Ker­zen­lich­te für ihre Au­gen an­stren­gend sein moch­te, ei­ner kne­te­te und misch­te Wachs an ei­ner Flam­me, und ein an­de­rer sor­tier­te einen Hau­fen Edel­stei­ne. Eine Toch­ter des Kai­sers, ein üp­pi­ges blon­des Mäd­chen, saß auf ei­nem Sche­mel ne­ben dem Ofen des Gold­ma­chers und starr­te ver­träumt in die Pfan­ne, wo sein blan­kes Ge­men­ge bro­del­te. Durch ein of­fe­nes Fens­ter ström­ten die Düf­te des Som­mers und der un­end­li­che Ge­sang ei­ner in den di­cken Ge­bü­schen des Burg­gra­bens ver­bor­ge­nen Nach­ti­gall. Meis­ter Via­nen, der dem Fens­ter zu­nächst saß, er­zähl­te halb­laut, dass er sich lan­ge be­müht habe, eine künst­li­che Nach­ti­gall her­zu­stel­len, dass das Vög­lein aus Sil­ber und Schmelz ihm auch nett ge­lun­gen sei, dass aber die Flö­te, die er hin­ein­ge­setzt habe, dem süß­schmet­tern­den Ton des wirk­li­chen Tie­res nicht gleich­ge­kom­men sei, was ihm jetzt be­son­ders auf­fal­le, da er es höre. »Du wä­rest der Herr­gott«, sag­te Kas­par Leh­mann, »wenn du eine le­ben­di­ge Stim­me ma­chen könn­test, die aus ei­nem le­ben­di­gen Her­zen kommt.« Gera­de jetzt wur­de der wohl­lau­ten­de Ge­sang durch ein schril­les Glo­cken­zei­chen un­ter­bro­chen, das den Kai­ser zu­sam­men­fah­ren mach­te; Mat­kow­sky er­klär­te, es kom­me aus dem Ka­pu­zi­ner­klos­ter, das un­ter­halb des Schlos­ses neu er­rich­tet wor­den sei. Zu vie­le Maul­wurfs­hü­gel scha­de­ten dem Fel­de, sag­te Leh­mann lei­se la­chend; aber wenn die Ka­pu­zi­ner auch Bett­ler und Mü­ßig­gän­ger wä­ren, so gin­gen sie doch we­nigs­tens nicht mit Gift und Dolch um wie die Je­sui­ten.

      So un­ge­fähr­lich wä­ren die Ka­pu­zi­ner auch nicht, sag­te Mat­kow­sky, er habe von sei­nem Va­ter gräu­li­che Ge­schich­ten dar­über er­zäh­len hö­ren. Zu der Zeit, als in Znaim ein Ka­pu­zi­ner­klos­ter ge­grün­det wor­den sei, habe es sich be­ge­ben, dass der Sohn ei­nes evan­ge­li­schen Rats­herrn, der die­se Grün­dung be­kämpft ge­habt habe, von ei­ner son­der­ba­ren Krank­heit be­fal­len wor­den sei, ge­gen die kein Arzt et­was habe aus­rich­ten kön­nen. All­mäh­lich sei es al­len auf­ge­fal­len, dass der Kran­ke im­mer zu der Zeit von den Krämp­fen heim­ge­sucht wor­den sei, wenn der Chor­ge­sang im neu­en Ka­pu­zi­ner­klos­ter be­gon­nen habe, das dem Hau­se des Rats­herrn be­nach­bart ge­we­sen sei. Die­ser, ein be­herz­ter Mann, habe sich denn ein­mal zur Nacht­zeit in das Klos­ter ge­schli­chen und sei un­ge­se­hen durch den dunklen Kreuz­gang bis an das Chor der Kir­che ge­kom­men. Da wä­ren die Mön­che beim trü­ben Licht ei­nes Lämp­chens un­ter dem Al­tar um ein Wachs­bild ge­hockt und hät­ten mit hoh­ler Stim­me Be­schwö­run­gen ge­sun­gen, und bei ge­wis­sen Stel­len hät­ten sich alle er­ho­ben und mit lan­gen Na­deln in die Fi­gur hin­ein­ge­sto­chen. Nach und nach hät­ten sich die Au­gen des Rats­herrn an die Dun­kel­heit ge­wöhnt, und da hät­te er er­kannt, dass das wäch­ser­ne Bild ihn selbst dar­stel­le, wor­auf ihn an­fäng­lich das Ent­set­zen so ge­lähmt hät­te, dass er sich nicht von der Stel­le hät­te be­we­gen kön­nen, ob­wohl ihm von der An­stren­gung der Schweiß in Bä­chen über die Stir­ne ge­ron­nen sei. End­lich habe ihn ein Stoß­ge­bet frei­ge­macht, so­dass er sich habe ret­ten kön­nen, aber im Lau­fen habe er die höl­li­schen Ka­pu­zi­ner hin­ter sich her klap­pern hö­ren, und zu Hau­se an­ge­kom­men, sei er in Krämp­fe ver­fal­len und stracks ge­stor­ben, nach­dem er noch habe er­zäh­len kön­nen, was ihm be­geg­net sei.

      Wäh­rend des Ge­sprächs, das die Er­zäh­lung an­ge­regt hat­te, stand der Kai­ser plötz­lich auf und streck­te mit angst­vol­ler Ge­bär­de den Arm nach dem Fens­ter aus, wor­auf Mat­kow­sky zu ihm eil­te und ihn dicht an das Fens­ter zog in der Mei­nung, Ru­dolf füh­le sich eng­brüs­tig und be­dür­fe fri­scher Luft. Der Kai­ser je­doch wand­te sich voll Schre­cken fort und be­fahl Mat­kow­sky, er sol­le ihn in den so­ge­nann­ten Kai­ser­saal hin­un­ter­füh­ren, der im un­te­ren Ge­schoss lag und wo sei­ne Samm­lung von Kunst­ge­gen­stän­den und Ku­rio­si­tä­ten auf­ge­stellt war. Die Toch­ter, für die der präch­ti­ge Saal, der sich ihr nur sel­ten auf­tat, et­was be­son­ders An­zie­hen­des hat­te, sprang auf und woll­te, sich an den Kai­ser drän­gend, mit­ge­nom­men wer­den; aber er stieß sie von sich und be­fahl ihr, heim­zu­ge­hen und sich zu Bet­te zu le­gen. »Wa­rum ist sie hier?« frag­te er böse. »Ich habe ge­sagt, dass ich das Hu­ren­volk nicht um mich se­hen will.« Un­ten im Saa­le wühl­te er, wäh­rend Mat­kow­sky mit ei­ner Fa­ckel leuch­te­te, un­ter ei­nem Hau­fen von Koral­len, Erz­stücken, Wur­zeln und an­de­ren Selt­sam­kei­ten. Er su­che die Meer­nuss, sag­te er, die der Do­ria ihm kürz­lich zu­ge­schickt habe und die den, der sie bei sich tra­ge, ge­gen Zau­be­rei be­schüt­ze. Mat­kow­sky, der ängst­li­che Bli­cke auf die Schat­ten warf, die von ih­ren Ge­stal­ten auf die wei­ße Wand fie­len, mur­mel­te in­des­sen Ge­be­te und fleh­te den Kai­ser an, ein­zu­stim­men, denn das sei das wirk­sams­te Mit­tel.

      End­lich ge­lang es ihm, den Er­schöpf­ten zu Bet­te zu brin­gen; aber am fol­gen­den Abend be­gann die Un­ru­he von Neu­em und so hef­tig, dass er selbst nach ei­nem sei­ner Lei­bärz­te ver­lang­te. Dok­tor Altman­s­tet­ter ver­ord­ne­te dem Kai­ser ohne Be­sin­nen einen star­ken Schlaf­trunk, denn Schlaf sei das ein­zi­ge, was ihm feh­le. Ru­dolf sah ihn er­schreckt an und sag­te: Trin­ken? Er kön­ne ja nicht trin­ken, da ihm der Bauch nach vor­ne und die Brust nach hin­ten ste­he. Ob er es nicht be­merkt habe? Die Ka­pu­zi­ner hät­ten ihn so ver­dreht. »Die Sa­che wol­len wir un­ver­weilt ins rei­ne brin­gen!« sag­te Dok­tor Altman­s­tet­ter la­chend, nahm den Kai­ser um den Leib, dreh­te und roll­te ihn mehr­mals hin und her und stell­te ihn dann fest auf die Bei­ne, in­dem er tri­um­phie­rend aus­rief: »Nun fehlt kein Haar­breit mehr an der recht­mä­ßi­gen Fi­gu­ra­ti­on!« Dann ließ er eine Kan­ne Bier kom­men und trank dem Kai­ser zu, der ihm Be­scheid gab, lus­tig und ge­sprä­chig wur­de und nach kur­z­er Zeit in tie­fen Schlaf fiel. Aber der­sel­be währ­te nicht lan­ge, und am fol­gen­den Abend zeig­ten sich ähn­li­che Er­schei­nun­gen. Zu­wei­len wur­de der Kai­ser zor­nig, weil ohne sein Vor­wis­sen Klös­ter ge­grün­det wür­den, woll­te wis­sen, wer dar­an schuld sei, und droh­te mit Stra­fen, da­mit man er­füh­re, dass er der Herr sei. Dann wie­der zog er Mat­kow­sky in einen Win­kel und frag­te ihn aus, ob die Ka­pu­zi­ner wohl um Geld je­man­den tot­be­ten wür­den oder ob sie sei­nem Bru­der Al­brecht die Man­nes­kraft ab­zau­bern könn­ten, wenn es ih­nen be­foh­len wür­de.

      Die Nach­richt von der selt­sa­men Krank­heit des Kai­sers ver­brei­te­te sich bald und gab in der Fa­mi­lie zu sorg­li­chen Be­trach­tun­gen An­lass. Schon längst hat­te man dort ge­wünscht, dass der kin­der­lo­se Mon­arch einen Nach­fol­ger er­nen­ne und wo­mög­lich nach dem Brauch bei Leb­zei­ten zum rö­mi­schen Kö­nig wäh­len las­se, da­mit bei sei­nem all­fäl­li­gen Tode nicht die Evan­ge­li­schen, die, wie man wuss­te, dem habs­bur­gi­schen Hau­se ab­hold wa­ren, die Zwi­schen­zeit für ihre Ab­sich­ten aus­nüt­zen könn­ten. Sie hat­ten in­des­sen doch nicht dar­auf zu drin­gen ge­wagt, weil be­kannt war, dass der Kai­ser Ein­mi­schun­gen sei­ner Brü­der nicht lieb­te, be­son­ders aber durch An­spie­lun­gen auf die Mög­lich­keit sei­nes Ster­bens ge­reizt wur­de. Jetzt je­doch wur­den alle der Mei­nung, dass län­ge­res Zu­war­ten hoch­ge­fähr­lich sei,


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