Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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ge­wis­ser­ma­ßen Spie­gel­fech­te­rei ge­nannt wer­den müs­se. Er habe sich vor der Men­sch­wer­dung sei­ner gött­li­chen Ei­gen­schaf­ten ent­äu­ßert, und es be­ste­he das gan­ze Ge­heim­nis in sei­ner Gott­mensch­heit, wie aus vie­len Bi­bel­stel­len zu er­här­ten sei. Eben­so stütz­ten die Geg­ner ihre un­wi­der­leg­li­che Be­weis­füh­rung mit großer Ge­lehr­sam­keit auf Bi­bel­sprü­che.

      Un­ter dem Druck der schwä­bi­schen Theo­lo­gen­herr­schaft hat­te auch Jo­han­nes Kep­ler zu lei­den, der ja im Würt­tem­ber­gi­schen ge­bo­ren war. Eine An­stel­lung in sei­ner Hei­mat für ihn zu er­wir­ken, war sei­nen Freun­den nicht mög­lich; frei­lich hat­ten sie auch nicht den Mut, sich um sei­net­wil­len sehr aus­zu­set­zen. Sei­ne Frau war bald nach dem epi­lep­ti­schen An­fall, den sie beim Ein­bruch der Pas­sau­er in Prag er­lit­ten hat­te, ge­stor­ben, und schon vor­her hat­te er das klei­ne Mäd­chen, sei­nen Lieb­ling, ver­lo­ren; noch im sel­ben Jah­re folg­ten die­sen bei­den zwei an­de­re Kin­der. Er ar­bei­te­te da­mals an­ge­streng­ter als je, zwi­schen­durch aber kämpf­te er mit trau­ri­gen und pein­vol­len Ge­dan­ken. Wenn er sein Ehe­le­ben, das nun ab­ge­schlos­sen und un­wie­der­bring­lich hin­ter ihm lag, über­blick­te, karg an Glück, reich an Ent­beh­rung, Streit und Miss­hel­lig­keit, so schi­en es ihm jetzt nicht mehr, als fie­le die Schuld dar­an auf sei­ne arme tote Frau, son­dern als hät­te er es an­ders ge­stal­ten kön­nen. Sie war wohl oft un­zu­frie­den, ängst­lich auf den Er­werb und die Not­durft be­dacht, bit­ter und gräm­lich ge­we­sen; aber wie hat­te er sei­ne Pf­licht er­füllt? War er der Stab ge­we­sen, an dem sie sich auf­rich­ten, der Quell, aus dem sie Er­fri­schung schöp­fen konn­te? Sei­ne schö­nen, über­schweng­li­chen Stun­den hat­te er bei der Ar­beit ge­habt; für sie war Mü­dig­keit und Un­ge­duld üb­rig­ge­blie­ben. Er ent­sann sich der hold­se­li­gen kind­li­chen Wit­we, als die er sie ken­nen­lern­te, wie rüh­rend ihre Ban­gig­keit und ihre Zwei­fel ihm er­schie­nen wa­ren und wie er sich ver­mes­sen hat­te, ihr das Le­ben lieb und leicht zu ma­chen. In den ers­ten Jah­ren, wenn er nachts den Him­mel be­ob­ach­tet hat­te und her­nach an ihr Bett kam, hat­te sie ihn oft mit selt­sam sehn­süch­ti­gen Au­gen an­ge­lä­chelt und etwa ge­sagt: »Dein Ant­litz schim­mert noch von den Ster­nen«; aber es war ihm nie­mals ein­ge­fal­len, dass er ihr von sei­ner Fül­le et­was hät­te mit­tei­len kön­nen. Ihre re­li­gi­ösen Grü­belei­en hat­ten ihn ge­lang­weilt und ge­är­gert; das hat­te er nie be­dacht, wo­mit sie denn sonst ihre schmach­ten­de See­le hät­te spei­sen sol­len.

      Freun­de und Freun­din­nen sag­ten ihm, er hät­te sich nichts vor­zu­wer­fen, son­dern sei ein vor­züg­li­cher Ehe­mann ge­we­sen, und rie­ten ihm, sich wie­der zu ver­hei­ra­ten, da­mit er eine rich­tig ge­ord­ne­te Häus­lich­keit hät­te. An­fäng­lich moch­te er nichts da­von wis­sen, und kei­ne leuch­te­te ihm ein, wie vie­le ihm auch vor­ge­schla­gen wur­den. Dann kam ihm in den Sinn, dass er durch die Hei­rat mit ei­ner Dame von Rang und Ver­mö­gen des elen­den Rin­gens und Quä­lens um das täg­li­che Brot über­ho­ben wer­den könn­te; von sei­nen schon ge­krümm­ten Schul­tern wür­de die häss­li­che Bür­de fal­len, frei wür­de er sich auf­rich­ten und mit leich­tem Schritt der Höhe des Le­bens zu­stre­ben kön­nen. Ja, das hät­te er kön­nen, wenn er al­lein ge­we­sen wäre; aber nun war er an die an­spruchs­vol­le frem­de Dame ge­bun­den, der er den Wohl­stand ver­dank­te und die pein­li­cher las­ten moch­te als die eins­ti­gen Sor­gen. Er konn­te sich sei­ne Frau nur als ein schlich­tes, lieb­li­ches Mäd­chen den­ken, ein sanf­tes, un­be­fan­ge­nes, hei­ter an­lä­cheln­des, sitt­sa­mes, und nach ei­nem sol­chen fing er all­mäh­lich an sich zu seh­nen. Da ihm von ei­ner be­rich­tet wur­de, näm­lich von der schö­nen Su­san­na Ret­tin­ger, ei­ner Schrei­ner­s­toch­ter, die eine vor­neh­me Dame hat­te er­zie­hen las­sen, ent­schloss er sich, sie zu hei­ra­ten und die Sor­ge für den Le­bens­un­ter­halt wei­ter zu tra­gen.

      Da Kai­ser Matt­hi­as ihm we­der den rück­stän­di­gen noch den lau­fen­den Sold aus­zah­len konn­te, nahm er eine Pro­fes­sur an dem Gym­na­si­um in Linz an, wo er un­ter den Her­ren von Adel An­hän­ger sei­ner Leh­re und Be­wun­de­rer sei­ner Schrif­ten hat­te und wo er ge­ehrt und fried­lich hät­te le­ben kön­nen, wenn ihm nicht von der Hei­mat aus Un­ru­he und Be­schwer­de wäre be­rei­tet wor­den. Es be­fand sich als Pre­di­ger in Linz sein Lands­mann Dok­tor Hiz­ler, mit dem er viel ver­kehr­te; denn Hiz­ler in­ter­es­sier­te sich für Astro­no­mie, Ma­the­ma­tik und Mecha­nik, war leb­haft, wiss­be­gie­rig und fröh­lich und ver­stand es, den schweig­sa­men und un­ge­sel­li­gen Kep­ler durch sei­ne Mun­ter­keit um­gäng­lich zu stim­men. Er hat­te klei­ne, lus­ti­ge, kind­li­che Au­gen, auf­wärts ge­sträub­tes Haar und einen spit­zen Bart, trank gern gu­ten Wein und hat­te meis­tens, das Theo­lo­gi­sche auf die Be­rufs­ge­schäf­te ein­schrän­kend, eine me­cha­ni­sche Spie­le­rei in Ar­beit; so fer­tig­te er da­mals ein von selbst lau­fen­des Wä­ge­lein an, auf dem ein trom­pe­ten­bla­sen­der und peit­schen­knal­len­der klei­ner Kut­scher saß.

      Ei­nes Ta­ges um Os­tern, als Kep­ler der Sit­te ge­mäß das Abend­mahl neh­men woll­te, fiel es Hiz­ler ein, zu fra­gen, ob Kep­ler die würt­tem­ber­gi­sche Kon­kor­di­en­for­mel un­ter­schrie­ben habe, was Kep­ler ver­nein­te, da er es über­haupt nicht für rich­tig hal­te, sei­nen Glau­ben auf For­meln zu zwin­gen, vollends aber je­ner nicht zu­stim­men kön­ne. Hiz­ler war er­staunt und böse und be­stand dar­auf, Kep­ler müs­se die For­mel un­ter­schrei­ben, die gut und löb­lich sei, sonst kön­ne er ihn zum Ge­nuss des Abend­mahls nicht zu­las­sen. Kep­ler ant­wor­te­te, we­gen des Dog­ma­ti­schen möch­te es sein, aber dazu kön­ne er sich nicht ent­schlie­ßen, die An­hän­ger Kal­vins zu ver­flu­chen, das sei ge­gen sei­ne Über­zeu­gung. Was? fuhr Hiz­ler auf, ob er etwa die ab­scheu­li­che Ket­ze­rei der Kal­vi­ner in Schutz neh­men wol­le? Ob er etwa be­haup­ten wol­le, dass ein Mann durch et­was an­de­res als den Glau­ben se­lig wer­den kön­ne? Ob er etwa der An­sicht sei, dass ein Un­ter­tan sich der von Gott ein­ge­setz­ten Ob­rig­keit wi­der­set­zen dür­fe? Ob er sich ein­bil­de, dass ein Laie zum Pre­di­gen be­ru­fen sein kön­ne? Ob der Teu­fel ihm ein­ge­bla­sen habe, dass das Brot nicht der Leib Chris­ti sei?

      Da­bei blick­te er, die Hän­de auf den Tisch ge­stützt und weit über­ge­beugt, Kep­ler aus klei­nen, fun­keln­den Au­gen dro­hend an.

      Da­rauf wol­le er sich nicht ein­las­sen, ant­wor­te­te Kep­ler; er habe im Sinn, bei der lu­the­ri­schen Leh­re zu blei­ben, auf die er ge­tauft sei; es möch­te auch sein, dass die Leh­re Kal­vins Irr­tü­mer ein­schlie­ße, nur kön­ne und wol­le er nicht ein­se­hen, warum man sie des­halb ver­flu­chen müs­se.

      So? rief Hiz­ler hohn­la­chend, den Grund wol­le er wis­sen, warum man sie ver­flu­chen sol­le? Kep­ler möch­te doch ihm den Grund sa­gen, warum man sie nicht ver­flu­chen sol­le, die der Wahr­heit ins Ge­sicht lö­gen und wi­der die Recht­gläu­big­keit an­bell­ten!

      So möch­ten er und an­de­re sie im­mer­hin ver­flu­chen, sag­te Kep­ler, nur er kön­ne es durch­aus nicht tun, weil er kei­ner­lei Hass oder Ab­nei­gung ge­gen sie habe.

      Da­bei be­ru­hig­te sich Hiz­ler aber kei­nes­wegs, son­dern kam an den fol­gen­den Ta­gen wie­der, um Kep­ler ab­wech­selnd zu be­dro­hen und zu be­schwö­ren, dass er die Kon­kor­di­en­for­mel un­ter­schrei­be. »Lie­ber«,


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