Fettnäpfchenführer Schweden. Cornelia Lohs
»Das soll einer verstehen. Middag heißt Abend, aber hängt man das Wort Zeit an, wird daraus der Mittag! Das ist nicht nur irritierend, sondern völlig unlogisch!«
»Willkommen im Schwedischen!«, sagt Emma lachend.
Katharina will der Sache beziehungsweise dem Wort auf den Grund gehen und zieht sich nach einem kurzen Schwätzchen mit Emma in ihr Zimmer zurück, um im Internet zu recherchieren. Auf Deutsch findet sie nichts, also nutzt sie ein kostenloses Übersetzungs-Tool, stellt die entsprechende Frage auf Deutsch, kopiert die schwedische Übersetzung, fügt diese in Google ein und wird schließlich fündig. Den gesamten schwedischen Text kopiert sie dann auf das Übersetzungs-Tool und erfährt, dass middag in vorigen Jahrhunderten das Essen war, das man in der Mitte des Tages, also um 12 Uhr mittags, zu sich nahm, und dass es damals die größte Mahlzeit des Tages war. Als man im Zuge der Industrialisierung die Hauptmahlzeit des Tages erst abends einnahm, wenn man von der Arbeit nach Hause kam, wurde das Wort middag einfach beibehalten. Ein anderer Begriff für »Abendessen« ist kvällsmat, der aber hauptsächlich in der älteren Literatur benutzt wird, so die Recherche. Katharina sucht nach der Bedeutung von kvällsmat und findet, das kväll »Abend« heißt und mat »Essen« oder »Lebensmittel«. Na, das klingt doch gleich viel logischer, denkt sie.
Katharina kann’s besser
Bei middag auf das deutsche Wort »Mittag« zu schließen, ist ein gängiges Missverständnis von Touristen aus deutschsprachigen Ländern. Hätte Katharina diesen Fehler vermeiden können? Nur, wenn sie vorher in einem Wörterbuch nachgeschaut hätte, was Abendessen auf Schwedisch heißt. Durch ihre sorgfältige Internetrecherche zur Begriffsgeschichte ist sie nun für die Eigenheiten der schwedischen Sprache sensibilisiert. Sollten ihr wieder einmal solche »falschen Freunde« begegnen, nämlich Wörter, die verdächtig an ein deutsches Wort erinnern, weiß sie Bescheid.
FALSCHE FREUNDE – HIER DROHT VERWECHSLUNGSGEFAHR
Viele Deutsche begehen den Fehler, von ihrer Sprache aufs Schwedische zu schließen. Einige Wörter laden aber auch geradezu dazu ein, durch vorschnelles Übersetzen ins Fettnäpfchen zu treten. Katharina ist nicht die Einzige, die so ihre Probleme mit »middag« hat. Wer zum ersten Mal in Schweden ist, wundert sich besonders in Bäckereien über so manches Wort. Wie »bulle«. So ist ein bulle keineswegs ein männliches Rind, sondern ein Brötchen. Mehrere Brötchen sind bullar, bullar bedeutet aber auch »Gebäck«. Die allseits beliebte kanelbulle ist keineswegs ein Bulle oder ein Brötchen aus der Stadt Kanel im Senegal, sondern eine Zimtschnecke. Bei der russin handelt es sich nicht etwa um eine Dame aus Russland, sondern um eine Rosine. Kaka ist nicht das, was kleine Kinder meinen, wenn sie mal müssen, es ist schlichtweg das Wort für »Kuchen«. Gesprochen klingt es im Schwedischen übrigens etwas anders, als wenn man es in deutscher Weise ausspricht. Tigerkaka findet man nicht im Zoo, es ist das Wort für »Marmorkuchen«. Das öl, das die Schweden gern trinken, ist das »Bier« – was in den Salat kommt, ist olja. Mit ost ist keine Himmelsrichtung gemeint (diese heißt öst), sondern »Käse«. Bei vatten handelt es sich nicht um Watte (diese wäre vadd), sondern um »Wasser«, wobei »Trinkwasser« dricksvatten heißt. Socker sollte nicht mit dem englischen soccer (Fußball) verwechselt werden, es ist »Zucker«. Das allseits beliebte smörgås hört sich zwar an wie geschmortes Gas, ist aber die Bezeichnung für ein »Sandwich«. Wörtlich übersetzt heißt es »Buttergans«. Der Ausdruck stammt aus der Zeit, als Butter noch per Hand hergestellt wurde. Die Flocken, die beim Buttern an die Oberfläche stiegen, sahen aus wie weiße Gänse. So kam das Schweden-Sandwich zu seinem Namen.
Die ficklampa ist die »Taschenlampe«, und jordgubbe ist zwar kein falscher Freund, klingt für »Erdbeere« aber etwas seltsam und hat mit den smultron genannten »wilden Erdbeeren«, die für den Filmemacher Ingmar Bergman so wichtig waren, begrifflich nichts zu tun. Zu Verwechslungen und Irritationen kommt es häufig bei dem Wort sex – damit ist im Schwedischen einzig und allein die Zahl »sechs« gemeint. »Sex«, wie man es im Deutschen und Englischen versteht, heißt auf Schwedisch kön. Und slut ist nicht etwa die »Schlampe«, wie im Englischen, sondern der »Schluss« oder das »Ende«.
6
KATHARINA MÖCHTE EINE FLASCHE STILLES WASSER
LEITUNGSWASSER HAT SIE ABER NICHT BESTELLT
Zu ihrem middag bestellt sich Katharina eine Flasche stilles Wasser. Das findet sie auf der Getränkekarte zwar nicht, aber im Gegensatz zur Middag-Karte, wo unter den einzelnen Gerichten die englische Übersetzung steht, ist diese rein Schwedisch. Und sie hat ja nicht die geringste Ahnung, was »Wasser« auf Schwedisch heißt. Als die Bedienung wenige Minuten später ein großes Glas Wasser vor Katharina auf den Tisch stellt, wundert sie sich, warum es ohne die dazugehörige Flasche serviert wird. Nein, also das mag sie gar nicht, dass die Kellnerin oder wer auch immer in der Küche das Wasser schon vor dem Servieren ins Glas schüttet. So kennt sie das nicht. Ist es hier etwa nicht üblich, dass die Bedienung die Flasche erst am Tisch öffnet und dann einschenkt? Wer weiß, ob sie mir hier statt Mineralwasser nicht ein Glas Leitungswasser serviert und im Glauben, ich würde den Unterschied nicht schmecken, mir hinterher den Preis für die Flasche berechnet, denkt Katharina.
Sie deutet auf das Glas und sagt: »Das habe ich nicht bestellt. Ich wollte eine Flasche stilles Wasser.«
»Aber das ist doch stilles Wasser«, antwortet die Kellnerin.
»Ich möchte aber eine Flasche Wasser«, beharrt Katharina.
Die Bedienung sieht sie seltsam an, nimmt das Wasserglas und geht damit in die Küche zurück. Kurz darauf kommt sie mit einer Deko-Flasche und einem Glas wieder und stellt beides mit den Worten »Wasser in der Flasche« vor dem deutschen Gast ab.
Ich fasse es nicht – sie hat das Wasser anscheinend vom Glas in die Flasche geschüttet. Die will mich wohl für blöd verkaufen, denkt Katharina und sagt: »Ich wollte eigentlich eine richtige Flasche stilles Wasser haben.«
Die Bedienung schaut sie an, als frage sie sich, was die seltsame Deutsche eigentlich will. Katharina ist am Verzweifeln. Wenn sie doch nur wüsste, welche Mineralwassersorten es hier gibt und wie sie heißen, wäre es einfacher, der Bedienung zu erläutern, was diese anscheinend nicht versteht oder verstehen will. Dann könnte sie ihr wenigstens die Marke nennen. Sie versucht es trotzdem: »Eine Flasche Aqua Panna? Evian? Volvic?«
Die Kellnerin schüttelt den Kopf. Diese Marken kennt sie nicht.
Katharina nimmt einen letzten Anlauf. Sie zieht ihr iPhone aus der Tasche, geht ins Internet und tippt bei Google Translate die Phrase »eine Flasche Mineralwasser« ein. Das Ergebnis, »en flaska mineralvatten«, hält sie der Bedienung unter die Nase, die daraufhin erklärt, dass sie leider kein Mineralwasser in Flaschen haben, sondern nur, und hier fällt ihr das Englische Wort gerade nicht ein, kranvatten. Dabei zeigt sie auf das in eine Dekoflasche gefüllte Wasser. Katharina googelt die Übersetzung für kranvatten und findet »Leitungswasser«. Also doch, denkt sie. Ich habe es ja geahnt. Wahrscheinlich sind ihnen heute die Wasserflaschen ausgegangen, samstags wird nichts angeliefert, und jetzt servieren sie eben Leitungswasser. Was mir dafür wohl berechnet wird?
Missmutig schaut sie auf die Dekoflasche und hofft, dass das Wasser nicht so chlorhaltig schmeckt, wie sie es aus amerikanischen Restaurants kennt. Dort wird ja auch immer Leitungswasser serviert, garniert mit tausend Eiswürfeln. Sie schenkt sich etwas Wasser aus der Flasche ins Glas, probiert und findet, dass es gar nicht so schlecht schmeckt. Zumindest nicht nach Chlor. Als sie nach dem Essen bezahlt, bemerkt sie, dass das Wasser auf der Rechnung nicht aufgeführt ist. Ist ja auch nur gerecht, denkt Katharina.
Was ist schiefgelaufen?