Fettnäpfchenführer Taiwan. Deike Lautenschläger

Fettnäpfchenführer Taiwan - Deike Lautenschläger


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Jetzt, wo sie endlich etwas Interessantes gefunden hat, werden ihre Augen ganz schwer, ihr Kopf sinkt nach vorn ins Buch und schon glaubt sie zu träumen. Der Geruch von bedrucktem Papier mischt sich mit dem von Kaffee und lässt sie aufsehen. Und tatsächlich: hier darf man nicht nur lesen ohne zu kaufen, sondern dabei auch noch Kaffee trinken.

      Gegen drei Uhr wird Sophies Kaffeetasse leer und auch langsam die Sitzecke mit ihren Tischen und Regalreihen. Die Kasse piepst seltener und alles wird noch leiser, als es vorher schon war. Trotzdem ist noch eine beträchtliche Anzahl nächtlicher Leseratten unterwegs. Sophie wundert sich. Schlafen die Taiwaner denn nicht? Doch so richtig traut sie sich nicht, jemanden anzusprechen und aus seinem Lesevergnügen zu holen. Vielleicht brauchen sie einfach noch ein How-to-Buch: How to sleep better.

       Was ist diesmal schiefgelaufen?

      Oh doch, Taiwaner schlafen und das nicht wenig. Hätte Sophie doch den Mut gehabt, einen der Lesenden nach seinen Schlafgewohnheiten zu fragen, hätte der wahrscheinlich sogar geantwortet, dass Schlafen sein Hobby sei. Taiwaner schlafen überall und zu jeder Zeit – nur nicht abends im Bett. Sie schlafen mit Vorliebe in der Metro und an Stehtischen der Metrostationen, in der Mittagspause mit dem Kopf neben der Tastatur, in der Schule in den Pausen auf dem Tisch, als Beifahrer auf dem Moped angelehnt an den Fahrer, im Restaurant mit den Essstäbchen in der Hand. Und wenn es nur fünf Minuten sind – Powernapping ist in. Dazu lieben es Taiwaner auszugehen. Das Café, das Fastfoodrestaurant, die Buchhandlung oder der Mini-Markt um die Ecke sind das ausgelagerte Wohnzimmer ihrer Stadtwohnungen, die oft klein und stickig sind und deren Stromrechnungen durch laut summende Klimaanlagen in die Höhe getrieben werden.

       Was können Sie (besser) machen?

      Machen Sie es wie die Taiwaner und gehen Sie spät abends aus. Nachtmärkte, Karaoke-Bars, einige Delikatessenrestaurants wie die Kette CityStar und einige All-You-Can-Eat-Buffets haben bis spät in die Nacht, oft sogar rund um die Uhr geöffnet, wie die Eslite-Buchhandlung in der Dunhua South Road und die Mini-Märkte, die es an jeder Straßenecke gibt. Oder Sie stehen ganz früh auf und besuchen einen traditionellen Frischmarkt, zu dem die Bauern aus dem Umland kommen, einen Park, in dem alte Leute in der Morgendämmerung tanzen oder Tai-Chi üben, einen traditionellen Frühstücksladen wie Soy Milk King, der bereits ab vier Uhr morgens für Nachtschwärmer einen letzten Bissen und für Frühaufsteher eine erste Stärkung bietet. Taipeh schläft nie und verschiedene Zeiten zeigen Ihnen ganz verschiedene Seiten von Taipeh.

      說到 … APROPOS … METRO

      Manche sagen, die Metro, auch die MRT genannt, habe die Taipeher erzogen. Mit all ihren Verboten und Regeln, dem Anstellen entlang von Linien und den Erinnerungen an gegenseitige Rücksichtnahme belohnt sie die Stadtbewohner mit Zuverlässigkeit und Sauberkeit und entlastet den Straßenverkehr enorm. Wohnt man in der Nähe einer Metrostation, kann man bequem innerhalb kurzer Zeit zwischen 6 und 24 Uhr fast überall in Taipeh und den zusammengeschlossenen Vororten, kurz Neu-Taipeh, sein. Unterirdisch und auf Stelzen über der Stadt fährt sie auf 131,1 Kilometern mit fünf Hauptlinien und zwei Zweiglinien 117 Stationen an. Die Stationen und unterirdischen Fußgängerpassagen sind mehr als nur Durchgangsbereiche. Sie sind Lebensraum und Treffpunkt für Jung und Alt. Hier üben Jugendliche Tanzen, praktizieren Ältere Tai-Chi, spielen Blinde Instrumente, während die Sonne über der Stadt brütet oder der Regen auf sie herniederprasselt.

      Mit täglich etwa 2,3 Millionen Passagieren herrscht in der MRT stets ein zivilisiertes Gedränge. Was zu Stoßzeiten auf den überfüllten Straßen überirdisch das Hupen, ist hier unten in den Tunneln unter der Stadt das »Jièguò! – Durchlassen!«, ein Ausdruck von Ungeduld und Eile.

      說到 … APROPOS … KAFFEE

      Man sollte meinen, die Taiwaner sind Teetrinker, denn schließlich waren es die Chinesen, die den Tee entdeckten und ihn seit vielen Generationen trinken. Aber tatsächlich kann man neben vielen Teehäusern, wo noch die traditionelle Teezeremonie abgehalten wird, und Teeständen, die unter anderem auch den mittlerweile in Europa bekannten Bubbletea verkaufen, auch unzählige kleine Cafés finden. Neben den Ketten wie Starbucks und Mr. Brown findet man mehr und mehr privat betriebene, liebevoll dekorierte Cafés sowie kleine Kaffeeläden, die manchmal nicht mehr als eine Theke an einer Straßenecke sind. Hier kochen die Baristas mit frischen und selbst gerösteten Kaffeebohnen relativ günstigen und qualitativ hochwertigen Kaffee, meist to go.

      7

      怎麼辦呢? – ZĚNME BÀN NE? – WAS NUN?

       WAS DER MÜLL IM GEFRIERFACH ZU SUCHEN HAT

      Vor einigen Tagen war die Schlüsselübergabe und Sophie ist in ihr neues Heim eingezogen.

      »Here are the keys, rent is due on the first of the month, the garbage truck comes Monday, Tuesday, Thursday, Friday and Saturday. It stops at 6:12 p.m. in front of the temple«, sagte Herr Liu schnell im Gehen. Er hatte es plötzlich sehr eilig, als er Queenie sah, die Sophie beim Einzug half. Wahrscheinlich hat er sich an Queenies missbilligendes Gesicht vom Vortag erinnert, vermutet Sophie.

      Ein schönes Gefühl war es, endlich irgendwo angekommen zu sein. Das Zimmer hat alles, was Sophie braucht: Neben dem Bad und der kleinen Küchenecke gibt es Bett, Tisch, Stuhl, Kühlschrank, Fernseher und Schrank. Um die Dekoration will sich Sophie Schritt für Schritt kümmern und auch um die Begrünung der Terrasse. Da stehen bis jetzt nur die Wassertanks und die Waschmaschine. Zěnme bàn ne? –Was nun? Queenie sprach beim Einzug von einem Blumenmarkt am Wochenende. Den will Sophie ausfindig machen, sobald es etwas wärmer wird.

      Denn gleich nachdem sie eingezogen war, gab es einen Wetterwechsel. Aus den sommerlichen 30 Grad mit einem lauen Lüftchen sind schlagartig widerliche 12 Grad geworden. Seit drei Tagen gießt es ohne Unterlass. Sophie hat alles, was langärmlich und warm ist, übereinander angezogen. Eine Heizung gibt es nicht. So liegt sie seit Tagen im Bett. In der Spüle türmt sich Geschirr, weil es zu kalt ist, um aufzustehen, um abzuwaschen, um irgendetwas zu tun. Sie drückt ihren Kopf an die Fensterscheibe, die bei jeder Metro, die unweit unter dem Haus fährt, vibriert und dabei hunderte Male rhythmisch und leicht gegen ihre Stirn schlägt. Der Regen hängt wie Glasnudeln an der Fensterscheibe. Alles durchsichtig und etwas matt. Keine scharfen Linien, keine Ecken, ein Netz aus Weiß, Grau, Wind und Watte.

      Sophie war eingenickt, als sie ein Rascheln aufschreckt. Da war es wieder. Leise steht sie auf. In der Spüle schiebt sie eine Tasse mit Kakaorändern beiseite und entdeckt daumengroße braune Käfer – eine Kakerlakenfamilie, eine Großfamilie, ja einen ganzen Stamm Kakerlaken. Zackzack sind alle im Ausguss und im schmutzigen Tellerstapel verschwunden. Sophie ist geschockt. Auch neben der Spüle im Müll raschelt es nun. Sie entscheidet sich erst einmal zur Flucht und beschließt, einen Spaziergang zur Erkundung der unmittelbaren Gegend zu machen. Rückzug und schnelle Verdrängung scheinen ihr im ersten Moment eine gute Strategie. Auch aus dem Schirm fällt eine Kakerlake, als sie diesen aufspannt. Also eilt sie überstürzt ohne alles ins Freie. Der Wind bläst ihr die Regentropfen ins Gesicht – zwischen ihre Tränen. Wenigstens kann so niemand sehen, dass Sophie weint. Endlich hat sie ein Plätzchen für sich gefunden, und nun so etwas und zu allem Übel auch noch bei solchem Wetter. Weit kann sie ohne Schirm nicht gehen, und so führt sie ihr Weg an der kleinen Kirche vorbei in den Tempel gleich daneben.

      Von innen schallt ein Singsang unterbrochen von hallenden Glockenschlägen. Es riecht verbrannt und nach Blumen. Hoch über ihr hängen gelbe Laternen und noch weiter darüber ist das Tempeldach verziert mit vielen kleinen Keramikfiguren. An den Tempelsäulen winden sich Drachen aus Stein. Sophie tritt in den Tempelhof ein. Links steht ein verlassener Verkaufsstand mit Stapeln von goldenem Geistergeld und Räucherstäbchen, daneben sitzen drei alte Frauen mit ihren Markteinkäufen beisammen. Sie sehen kurz zu Sophie hinüber und setzen sogleich ihre Unterhaltung fort. Sophie dreht sich zum Hauptaltar und ist fasziniert von der Unzahl an Göttern: böse blickende mit roten Gesichtern und langen Bärten, in bestickte Gewänder gehüllte


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