Fettnäpfchenführer Brasilien. Nina Büttner

Fettnäpfchenführer Brasilien - Nina Büttner


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ist – vom Küstenstreifen abgesehen – sehr arm und von Trockenheit geplagt. Ihr Klima ist äquatorial bis tropisch.

      Centro-Oeste (Mittlerer Westen) umfasst die Bundesstaaten Goáis, Mato Grosso, Mato Grosso do Sul und den Distrito Federal. Die Bevölkerungsdichte ist hier sehr gering, es dominieren Landwirtschaft und Buschland bei einem tropischen Klima mit stark ausgeprägten Trocken- und Regenzeiten.

      Norte (Norden) umfasst die Bundesstaaten Amazonas, Pará, Acre, Tocantins, Roraima, Rondônia und Amapá. Es ist die Region mit der größten Fläche und der niedrigsten Bevölkerungsdichte. Das Land ist zum Großteil von Regenwald bedeckt, das Klima äquatorial und sehr feucht.

      Trotz der riesigen Ausmaße des Landes und der unterschiedlichen Lebensbedingungen gab es in Brasiliens Geschichte wenige separatistische Bestrebungen; die einzige Region, die sich noch heute eher in Richtung Uruguay und Argentinien orientiert als in Richtung Brasília, ist der Süden. Ansonsten ist das Land schon durch die Sprache ein Einzelgänger in Lateinamerika. Ex-Präsident Lula (2003–2011) hat sich zwar um eine gemeinsame Politik mit anderen linksgerichteten Staatschefs in Lateinamerika bemüht und die wirtschaftliche Kooperation funktioniert über das Freihandelsbündnis Mercosul (dessen Mitglieder außer Brasilien Argentinien, Uruguay, Paragay und Venezuela sind sowie die meisten anderen südamerikanischen Staaten als Assoziierte), doch in der Wahrnehmung der Bevölkerung spielen die spanischsprachigen Nachbarn keine allzu wichtige Rolle. Eher vergleicht man sich mit den USA oder Europa, und auch Reisen in Nachbarländer sind eher unüblich. Höchstens als Einwanderer, die zu Billiglöhnen in Brasilien arbeiten, sind Paraguayer und Bolivianer präsent.

      So plaudernd mit Rodrigo vergeht die Zeit schnell, selbst das eineinhalbstündige Warten in der Schlange zur Passkontrolle in Galeão, dem internationalen Flughafen von Rio de Janeiro, fliegt im Gespräch nur so dahin. Als sich die Tore der Ankunftshalle endlich vor ihnen öffnen, verschwindet Lindas Gesprächspartner zwischen seinen Angehörigen, die ihn unter Gesang und fröhlichem Getöse abführen.

       PASSKONTROLLE UND VISUM

      Brasilianische Passkontrollen sind berühmt dafür, sich mindestens eine Stunde lang hinzuziehen, was nicht verwundert, wenn nur eine Handvoll nicht gerade enthusiastisch arbeitender Polizeibeamte die Einreise der Passagiere eines kompletten Überseefluges vornehmen. Die Beamten zeichnen sich zwar durch »sowjetischen Charme« aus, sind jedoch in den meisten Fällen gutmütig. Wer angibt, als Tourist einreisen zu wollen, hat in der Regel mit keinerlei Problemen zu rechnen. Da Linda keinen Arbeitsvertrag hat, hat sie ihren Aufenthalt als touristisch eingestuft – das ist eigentlich nicht korrekt, und sie hat so kein Recht, sich eine Arbeitsstelle zu suchen. Auch ein Arbeitsvertrag allein hätte ihr nicht geholfen, denn um ein Arbeitsvisum zu bekommen, müsste der Arbeitgeber zusätzlich Formulare ausfüllen, die beweisen, dass die entsprechende Tätigkeit nicht von einem brasilianischen Staatsbürger ausgeführt werden könnte.

      Ein Touristenvisum müssen deutsche Staatsangehörige nicht vorher beantragen. Es tritt mit der Einreise automatisch in Kraft und gilt für 90 Tage. Seit 2012 lässt es sich im Zuge des diplomatischen Gegenseitigkeitsprinzips nicht mehr verlängern.

      Für genaue Informationen zu den verschiedenen Visa-Arten lohnt sich ein Blick auf die Website der Brasilianischen Botschaft in Berlin (http://berlim.itamaraty.gov.br/de).

      Außerdem sollte man darauf achten, die »Einreisekarte«, die man im Flugzeug erhält und ausfüllen muss, nicht zu verlieren, da sie am Ende des Brasilienaufenthalts bei der Passkontrolle wieder abgegeben werden muss. Diese Regelung wird zwar nicht mehr so streng gehandhabt wie noch vor einigen Jahren, dennoch ist es ratsam, die »Einreisekarte« aufzubewahren – ab und zu wird sie doch noch kontrolliert.

      Linda hält Ausschau nach einem Willkommensschild, auf dem »Bem-vindo Linda« oder Ähnliches steht. Nichts – dabei hat sie doch extra einen Brief und eine E-Mail mit ihrem Ankunftsdatum geschickt. Ob Familie Cunha da Silva schon weg ist, weil sie so lange an der Passkontrolle angestanden hat?

      Immerhin hat Marcelo ihr Adresse und Telefonnummer in einer der E-Mails genannt. Sie nimmt ihr Smartphone und wählt. Nach einigem Tuten scheint endlich jemand abzunehmen: »Alô?«, fragt eine Stimme, die bestimmt Marcelo gehört. Das ist ihr neuer Chef, bei dessen Familie sie vorübergehend wohnen wird. Es klingt fast wie eine Begrüßung auf Deutsch.

      »Hallo«, antwortet Linda. Dann macht sie aber lieber erst mal auf Englisch weiter, entschuldigt sich, dass sie so lange bei der Einreise gebraucht hat, und fragt, ob die Familie noch am Flughafen ist.

      »Alô?«, macht es erneut am anderen Ende der Leitung, dann ist das Gespräch abrupt beendet. Ob sie sich verwählt hat? Linda wählt erneut. Diesmal hört sie eine automatische Ansage auf Portugiesisch. Sie versteht kein Wort, begreift dann aber mit Schrecken, dass gerade ihr gesamtes Guthaben bei dem kurzen Telefonat draufgegangen ist. Auweia, gleich ein paar Euro, und sie wurde offensichtlich nicht einmal verstanden.

      Linda sucht nach einem WLAN-Netz, das es doch bestimmt an einem Knotenpunkt wie dem Flughafen geben wird. Sie möchte Marcelo per WhatsApp kontaktieren. Warum sie nicht auch gleich auf diese Idee gekommen ist? Sie findet tatsächlich ein offenes Netz, doch auch nach mehreren Versuchen, sich einzuwählen, hat sie immer noch kein Internet. Vielleicht liegt es ja einfach am Empfang. Sie geht ein paar Schritte auf und ab, dreht sich im Kreis und schlurft schließlich unter dem schweren Gewicht ihres Koffers hinaus in die blendende Sonne. Doch auch da: kein Verbindungsaufbau. Dieses Netz scheint es gar nicht wirklich zu geben, ärgert sie sich.

      Zwei Polizisten stehen da, offensichtlich unterbeschäftigt. Neugierig schauen sie Linda an. Wenn sie schon nichts zu tun haben, können sie mir wenigsten helfen, denkt sich Linda und fasst sich ein Herz: »WLAN?«, fragt sie und hält ihnen den Bildschirm ihres Smartphones entgegen. Die beiden Polizisten werfen sich überraschte Blicke zu, kommen näher, halten aber einen halben Meter Abstand, mustern sie von oben bis unten genauestens und sagen kein Wort. Linda ist nun doch etwas mulmig zumute, sie zischt an den stummen Uniformierten vorbei ins Gebäude. Unheimliche Kerle, denkt sie sich und versucht an einem Informationsstand ihr Glück. Hier sieht das Personal freundlicher aus und spricht Englisch, nur die Antwort macht Linda wenig glücklich: »Das WiFi funktioniert derzeit nicht«, informiert man sie, und diese Antwort klingt auffallend routiniert. Es gebe aber noch ein anderes, kostenpflichtiges Netz. Die Nutzung sei auch nicht teuer, sie müsse nur ihre Kreditkartendaten angeben. Darauf lässt Linda sich gern ein, und siehe da: Es funktioniert.

      Auf diese Weise bekommt sie auch bald eine Antwort, über die sie nicht schlecht staunt: »Ach, heute kommst du, das wussten wir ja gar nicht.« Und kurz darauf: »Nimm dir am besten ein Taxi nach Grajaú. Das ist unser Viertel.«

      Linda seufzt erschöpft. Jetzt soll sie sich auch noch einem Taxifahrer verständlich machen! Am Taxistand fangen sie gleich mehrere Fahrer ab und reden auf sie ein. Sie versucht es noch einmal erfolglos mit Englisch. Einige Taxis, das sieht sie, gehören zu einer einheitlich gelb-schwarz-karierten Flotte und sehen sehr gepflegt aus, andere sind normale Autos mit einem Taxischild auf dem Dach. Die sind bestimmt günstiger, denkt sie sich und steigt ein. Sie zeigt dem Taxifahrer die Adresse, mit der er wenig anfangen kann. Erst als sie das Viertel, Grajaú, nennt, gibt er Gas.

       Was ist diesmal schiefgelaufen?

      Der Stress entstand für Linda vor allem durch ihre hohen Erwartungen: Sie vermutete, abgeholt zu werden, ohne zu wissen, welch eine Reise das für ihre Gastgeber bedeuten würde. Denn selbst bei ruhiger Verkehrslage nimmt die Strecke zwischen dem Galeão-Flughafen und Grajaú mindestens vierzig Minuten in Anspruch. Und es ist nicht selten, dass man durch einen Stau auch mal drei Stunden von einem Ende der Stadt ans andere braucht. Da ist es verständlich, dass diese lange Fahrt niemand mal so eben auf sich nimmt. Und wenn Linda ihrer Gastfamilie vor Wochen ihre Ankunftszeit durchgegeben hat, dann ist es unwahrscheinlich, dass diese sich den Termin gemerkt und darauf hingeplant hat – dafür sind Brasilianer in der Regel zu spontan.

      Linda hat versucht, etwas Portugiesisch zu lernen, bevor


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