Bonusland. Götz Nitsche

Bonusland - Götz Nitsche


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»Darf ich dir unser Weihnachtsessen vorstellen?« Er führt mich zu einem selbst gebauten Gehege, in dem sich sechs putzige Ferkel tummeln. Sie quieken vergnügt, als ich mich zu ihnen hinunterbeuge. »Ich habe ihnen noch gar keine Namen gegeben«, bemerkt Dave. »Andererseits sollten sich die Kinder besser eh nicht zu sehr an sie gewöhnen. Trotzdem, vielleicht sollte ich sie wenigstens nach Schinken und Braten unterteilen.« Nachdenklich reibt er sich das bärtige Kinn. Er hat den Humor einer Person vom Lande, aber mir gefällt seine trockene Art. Am Ende geht er doch respektvoll mit seinen Tieren um und bringt seinen Kindern bei, das Fleisch aus eigener Aufzucht zu schätzen.

      Dave und Evelyn weisen mir sogleich das schönste Zimmer im Haus zu und weigern sich, eine finanzielle Kompensation für meine Zeit bei ihnen zu akzeptieren.

      »Wie lange bleibst du denn?«, fragt Dave ohne eine Spur von Hintersinn.

      Ich hoffe, alle Ausrüstung innerhalb einer Woche zusammenzubringen, sage ich vorsichtig. Ob es wohl möglich wäre, dass ich so lange bei ihnen bliebe?

      »Klar«, sagt er und steck dabei so viel Selbstverständnis in dieses eine Wort, dass es mir tatsächlich mein schlechtes Gewissen nimmt. Diese beiden Menschen sind so warmherzig und tiefenentspannt, wie man es sich nur für sich selbst wünschen kann. Und das trotz ihres chaotischen Lebens.

      Über ein halbes Jahr führte ich mit meiner späteren Freundin eine offene Beziehung. Wir trafen uns drei- oder viermal pro Woche, lachten gemeinsam, tranken gemeinsam, gingen mit gemeinsamen Freunden weg. Es war wunderbar. Eigentlich brauchte ich längst nichts anderes mehr. Ich hatte mich seit Ewigkeiten mit keiner anderen Frau getroffen. Ich war zufrieden, so wie es war.

      Warum also warten? Warum sich dem gemeinsamen Glück verweigern? Als sie mir diese Fragen stellte, fand ich darauf selbst keine schlüssige Antwort. Also stimmte ich zu: Ab sofort waren wir ein Paar. Doch ab dem Moment, wo es offiziell wurde, knallte bei mir eine Sicherung durch. Ich fühlte mich übertölpelt, so als hätte ich mich zu der Beziehung breitschlagen lassen. Ich hatte meine Prinzipien gehabt, ich hatte vor Monaten klargestellt, dass ich keine Beziehung wollte. Und nun hatte ich meine Prinzipien verraten. Das Ergebnis war, dass ich mich weniger bei ihr meldete, wir uns weniger sahen als jemals zuvor, und wenn wir es taten, war ich schroff und abweisend. Ich konnte mir selbst nicht erklären, woran das lag. Ich war eben ein Einzelgänger und die Beziehung nahm mir die Luft. Deshalb behandelte ich meine Freundin schlecht. Anstatt für sie da zu sein, ging ich lieber mit Freunden feiern. Das Flirten mit anderen Frauen wurde fast zwanghaft, als müsste ich das tun, um gegen die Ketten der Beziehung zu rebellieren. Obwohl ich ein halbes Jahr lang zufrieden mit dem gewesen war, was sich zwischen uns beiden entwickelt hatte, verabscheute ich es nun. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, entschied ich mich, vor einer für sie wichtigen Prüfung abzuhauen. Anstatt sie zu unterstützen, schloss ich mich ein paar Kumpels für einen kurzen Urlaub an. Als ich zurückkehrte, verließ sie mich.

      Das war erst letzten Sommer gewesen. Als ich mir Dave und Evelyn so ansehe, muss ich daran zurückdenken, und es bleibt eine stille Bewunderung in mir für die Art und Weise, wie sie miteinander umgehen. Ich könnte das nicht, muss ich mir eingestehen. Ich bin eben ein Einzelgänger.

      Die Frage, wo das in meinem Leben hinführen soll, verdränge ich, und aktuell beschäftige ich mich sowieso lieber mit einem anderen Problem: Kann man alles, was man zum Leben benötigt, in einer Woche kaufen? Ich stelle mich der Herausforderung, es herauszufinden. Noch am selben Tag fertige ich eine Liste an. Zunächst einmal benötige ich ein Fahrrad. Wo bekomme ich das her? Neuseeland ist ein so kleiner Markt, dass sich eBay noch nie die Mühe gemacht hat, sein Geschäft bis hierhin auszuweiten. Zum Glück hat ein findiger Kiwi das Modell kopiert. Die Seite nennt sich Trademe und funktioniert im Grunde genauso. Bereits zwei Tage später bin ich stolzer Besitzer eines Citybikes der Marke Marin. Die Bremsen funktionieren, die Gangschaltung ist schön griffig und der Sattel bequem. Nur ein Gepäckträger fehlt mir noch, ansonsten ist das Rad einsatzbereit. Gerade einmal siebzig Euro bezahle ich für meinen zukünftigen Gefährten.

      Ein Paket mit einer Radhose und zwei Trikots ist bereits aus Deutschland eingetroffen. Mein Tacho ist ebenfalls dabei. Ich hatte meine Mutter darum gebeten, mir die Sachen zu schicken, als ich den Entschluss gefasst hatte, Neuseeland mit dem Fahrrad zu bereisen. Das ist noch nicht mal zwei Wochen her. Ein Hoch auf die moderne Logistik! So muss ich mir nicht unnötigerweise alles neu kaufen.

      Einen Schlafsack habe ich bereits. Ich habe ihn in Bolivien in La Paz gekauft. Es steht North Face drauf, doch es müsste wohl eher North Fake heißen. Angeblich sind Daunen drin, doch beim ersten Test im Haus piken die Federn verdächtig und drücken durch das Gewebe in meinen Rücken. John bringt mir Gewissheit. Er ist der Ehemann der ältesten Tochter von Dave und Evelyn und arbeitet in einem Outdoorladen in Hamilton.

      »North Face bringt sein Emblem immer am Boden der Hülle an. Dein Schlafsack hat es an der Seite. Siehst du?«

      Ich sehe es zähneknirschend. Der Schlafsack hat genauso viel gekostet wie das Fahrrad, war aber wohl im Vergleich leider kein so tolles Schnäppchen. Egal, im Augenblick sind die Nächte ohnehin sehr mild. Ich werde mich nur lose damit zudecken müssen.

      John übernimmt sogleich die persönliche Beratung meiner Vorbereitungen. Er verschafft mir einen kleinen Rabatt auf alle Produkte in seinem Laden, und so kaufe ich als Nächstes eine Gaskartusche und einen Campingtopf bei ihm. Einen schraubbaren Gaskocheraufsatz für die Kartusche schenkt er mir. In derselben Mall wie Johns Outdoorladen befindet sich auch ein Fahrradgeschäft. Dort kaufe ich einen Gepäckträger und einen Helm für kleines Geld. Was brauche ich noch?

      »Das hier!«, sagt John und hält mir grinsend ein Stück Plastik hin. An dem einen Ende ist es geformt wie ein Löffel, an dem anderen sieht es aus wie eine Gabel, nur dass der linke Spieß zusätzlich wie ein Messer gezackt ist.

      »Was zur Hölle ist das?«, frage ich.

      »Ein spork knife! Ein Messer mit einer Mischung aus spoon und fork

      Ich weiß was das ist, ich habe es auch schon mal in Deutschland gesehen. Bei uns heißt das Göffel. Eine Mischung aus Gabel und Löffel. Ich hatte nur nicht gedacht, dass irgendwer so etwas wirklich verwenden würde.

      »Das meinst du nicht ernst«, wehre ich mich.

      »Du wirst es lieben«, sagt John und zieht es einfach mit über den Scanner. »Kostet auch nur drei Dollar.«

      Da ich zugeben muss, dass ich mir bislang keine Gedanken über mein Besteck gemacht habe, verzichte ich auf weiteren Protest. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass das Teil wirklich praktikabel ist.

      Als Nächstes benötige ich Satteltaschen. Ein paar Tage zuvor, bei einem Glas Wein auf dem Balkon meiner Bekannten in Santiago de Chile, habe ich schon mal danach gegoogelt. Ich fand welche aus Tarpoil, absolut regendicht und mit reichlich Volumen, für nicht mal 60 Euro das Paar. An meinem dritten Tag in Neuseeland kommen sie an. Gerade rechtzeitig, um mit ihrer Hilfe ein paar große Besorgungen zu machen.

      Denn was ich noch benötige, ist ein Zelt. Da ein Zeltaufbau allein mit Schwierigkeiten verbunden ist, suche ich ein Wurfzelt, das sich praktisch von allein aufbaut. Wieder werde ich bei Trademe fündig. Ein Typ aus England, der nach einem Jahr Work and Travel wieder nach Hause muss, verscherbelt seinen gesamten Hausrat. Er schenkt mir auch gleich noch eine Isomatte. Wunderbar!

      »Für drei Dollar kannst du auch gern diese selbstaufblasende Matte haben«, fügt er hinzu.

      »Neeee, danke«, grinse ich und bleibe bei der kostenlosen Version. Drei Dollar für ’ne Isomatte! Pah! Ich muss ja schließlich die Kosten für den Schlafsack wieder reinholen. Ich packe beides in meine neuen Satteltaschen und fahre zurück nach Ngāruawāhia.

      Am Point gönne ich mir eine Pause. Der Point ist ein kleiner hübscher Park auf der Landzunge, wo der Waipa River in den Waikato fließt, mitten in Ngāruawāhia. Der Waikato ist der längste Fluss des Landes, quasi der Rhein von Neuseeland. Mit gut 400 Kilometern ist er jedoch deutlich kürzer und gleicht in der Breite auch höchstens dem


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