TEXT + KRITIK 230 - Loriot. Группа авторов
href="#ulink_e573d33a-5d57-544d-9b83-47f274dd9434">27 Vgl. »Gespräch mit Marianne Koch«, 3 nach 9, Radio Bremen, 23.3.1979. — 28 Deutlich wird dies etwa, wenn er bei einer Preisverleihung 1983 die links im Saal Sitzenden bat, sich zu politischen Orientierungszwecken zu erheben, nur um anschließend zu sagen: »Sehen Sie, meine Damen und Herren: Das sind die Linken!«; vgl. Loriot: »Gesammelte Prosa«, a. a. O., S. 552; bemerkenswert scheint hier die Nähe zu sehr ähnlich gelagerten Positionen der kritischen Diskurstheorie, etwa bei Jürgen Link. — 29 »Loriot soll’s machen«, in: »die tageszeitung«, 21.9.1993, S. 16. — 30 »Loriot und die Stasi«, in: »Berliner Kurier«, 2.8.2012. — 31 »Gespräch mit Axel Corti«, 3 nach 9, Radio Bremen, 18.11.1988. — 32 Vgl. Stefan Neumann: »Loriot und die Hochkomik. Leben, Werk und Wirken Vicco von Bülows«, Trier 2011, S. 11.
Tom Kindt
Loriot und der deutsche Humor?
Während Tragik als etwas gilt, das sich auf der ganzen Welt gleicht, wird Komik eher als etwas wahrgenommen, das in verschiedenen Gegenden der Erde unterschiedliche Ausprägungen hat. In markanter Weise zeigt sich diese Sichtweise des Komischen in den seit dem 18. Jahrhundert verbreiteten Vorstellungen von nationalen Humorcharakteren – Vorstellungen etwa wie die, dass der britische Humor trocken sei, der französische schlüpfrig, der italienische politisch, der russische hintergründig und der deutsche nicht vorhanden. Was auch immer von solchen Stereotypen zu halten sein mag, offensichtlich ist, dass sie einigen Einfluss haben auf den Umgang mit Hervorbringungen, die komisch sind oder zumindest komisch gemeint.
Die Rezeptionsgeschichte Loriots liefert für diesen Einfluss Anschauungsmaterial in großer Fülle. Seit den 1950er Jahren hat er – zunächst mit Cartoons, später mit Fernsehsketchen und Kinofilmen – Menschen nicht allein zum Lachen gebracht, sondern immer wieder auch zum Nachdenken darüber, wo sein Schaffen auf einer Europakarte der Humortypen anzusiedeln sei. Und stets wiesen die Finger derjenigen, die über die Karte gebeugt grübelten, schnell und einvernehmlich in Richtung Großbritannien: Der Humor in Loriots Werken sei britisch, so gar nicht deutsch und nicht zuletzt deshalb so komisch.
Loriot selbst konnte damit wenig anfangen. Aus entsprechenden Kategorisierungen, so rühmend sie zweifellos gemeint waren, sprach ihm zufolge schlicht Unkenntnis britischen Humors1 und überdies die deutsche Neigung, »jedes Ding in einer sauber etikettierten Schublade einzuordnen, um es im Griff zu haben«.2 Geändert haben solche leise vorgebrachten Einwände wenig. Als Loriot 2011 starb, nahmen dies nicht wenige der vielen Nachrufe in Presse, Funk und Fernsehen zum Anlass, ausgiebig in der Kommode mit den nach Nationen sortierten Humorschubladen zu kramen. Viele Würdigungen feierten den Verstorbenen nicht zuletzt dafür, dass er, nach einem anregenden Blick in die britische Schublade, endlich etwas Vorzeigbares in die nahezu leere deutsche Schublade gelegt habe.3
Das ist eine schmissige These, und zu Loriots 100. Geburtstag im Jahr 2023 wird sie wieder landauf und landab vorgetragen werden. Aber stimmt sie auch? Die folgenden Betrachtungen sollen dies infrage stellen. Sie werden nicht bezweifeln, dass Loriots Komik britisch ist, aber andeuten, wie deutsch sie zugleich ist. Liegen zum Britischen bei Loriot bereits überzeugende Statements und Studien vor,4 gilt das für das Deutsche nicht, obwohl er auf dessen Relevanz für sein Werk verschiedentlich hingewiesen hat.5 Wenn dieser Relevanz nun nachgegangen wird, dann sollte sich dabei von selbst verstehen, dass vom »Deutschen« oder »Britischen« nicht im Sinne des Aufscheinens eines Volksgeistes oder Nationalcharakters, sondern im Sinne der Aufnahme von Traditionsfäden die Rede ist.
Ein solcher Faden führt von Loriot zurück zu Wilhelm Busch. Loriot war mit dessen Werken, wie er anlässlich der Verleihung des Busch-Preises im Jahr 2007 berichtet hat, gut vertraut und schätzte sie sehr.6 Es ist augenzwinkernder Ausdruck dieser Wertschätzung, dass er die Familie, die das Personal vieler seiner Sketche stellt, nach einer Figur von Busch benannt hat. In der Bildergeschichte »Die Folgen der Kraft« von 1871 ließ Busch den Turner Hoppenstedt auftreten, der – rückblickend betrachtet – als würdiger Ahnherr der von Loriot in die Welt gesetzten Hoppenstedts erscheint: Mit »kühnem Mut« springt er aus seinem Bett und treibt das morgendliche Hanteltraining in »frisch-fromm-freier Tätigkeit« so weit, bis er schließlich durch den Boden seines Zimmers bricht und auf den Esstisch eines unter ihm wohnenden und natürlich gerade frühstückenden Ehepaares stürzt …7
Abb. 1: Turner Hoppenstedt
Mit Busch verbindet Loriot die Freude an verschiedenen Motiven und Situationen mit erprobtem Komikpotenzial, an menschlich agierenden Hunden etwa oder an turbulent verlaufenden Badeszenen. Wer Loriots »Herren im Bad«8 mit Busch im Hinterkopf anschaut, dem wird der bundesrepublikanische Sketchklassiker wie eine im Stil des absurden Theaters bearbeitete Neuauflage von »Das Bad am Samstagabend« erscheinen, einer Bildergeschichte von 1869, in der zwei Brüder ein gemeinsames Bad nehmen, in einen heftigen Streit geraten und die geteilte Wanne am Ende – »Perdatsch!!« – zum Umkippen bringen: »Und die Moral von der Geschicht’: / Bad’ zwei in einer Wanne nicht.«9 Aus den Jungen, die sich mit Händen und Füßen zusetzen, sind bei Loriot Herren geworden, die mit Worten streiten. Dass sich diese Herren aber mindestens ebenso kindisch benehmen wie Buschs badende Brüder, wird durch die bemüht kultivierten Umgangs- und Ausdrucksweisen, mit der sie über Stöpsel, Badeenten und Luftanhalten zanken, deutlich markiert.
Über Berührungspunkte auf der Motivebene hinaus weisen viele der komischen Geschichten von Busch und Loriot gemeinsame Grundzüge in der Auswahl des Personals und der Anlage der Dramaturgie auf.10 Im Zentrum beider Werke stehen Figuren aus dem Bürgertum, deren ausgesprochen gewöhnliche Vorhaben sich als schiefe Ebene erweisen, auf der sie langsam, aber sicher in kleinere oder größere Katastrophen rutschen. Die Ursache der dargestellten Ketten von Fehlschlägen liegt dabei nur bisweilen darin, dass weitere Akteure auftreten und gegenläufige Pläne verfolgen. Zumeist scheitern die Figuren an der eigenen Unzulänglichkeit und an der bemerkenswerten Widerständigkeit der sie umgebenden Dingwelt, für die Friedrich Theodor Vischer die treffende Formel von der »Tücke des Objekts« geprägt hat.11
Musterbeispiele für Geschichten, die diesem Bauplan folgen und so die von Busch zu Loriot führende Traditionslinie in den Blick bringen, sind »Der vergebliche Versuch«12 und »Das schiefe Bild«.13 Beide Geschichten nehmen ihren Ausgang von Vorhaben, die so alltäglich sind, dass es kaum lohnend erscheint, von ihnen zu erzählen: In Buschs Bildergeschichte hat ein Herr Lehmann die Absicht, sich seine Zigarette an einer Kerze anzuzünden; in Loriots Sketch bemüht sich ein Beamter, während er auf die von der Hausangestellten angekündigten Herrschaften wartet, ein schief an der Wohnzimmerwand hängendes Bild geradezurücken. So anspruchslos die Vorhaben sind, sie misslingen: