Blast nun zum Rückzug. Simon Raven

Blast nun zum Rückzug - Simon Raven


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Schenkeln.

      »Er gibt ein schändliches Beispiel ab«, sagte Peter, dessen Shorts ihm unförmig bis unters Knie hingen. »Wie kann man von Offiziersanwärtern erwarten, dass sie die Inder anständig behandeln, wenn sie sehen, dass ein Vorgesetzter, ein Offizier sich so gegenüber den Ägyptern verhält?«

      »Sich wie verhält?«

      »Ignoriert, dass sie Wiedergutmachung fordern.«

      »Wahrscheinlich dachte er, dass es ohnehin nicht drauf ankommt«, sagte Barry freimütig, »weil die Ägypter so verdorben und widerwärtig sind. Aber Inder sind so viel anständiger, wisst ihr, loyal und sauber – da wollen wir dann von selbst nett zu ihnen sein.«

      »Wollen wir das?«, sagte Alister. »›Die Kanaken seh’n für mich alle gleich aus‹«, zitierte er.

      »Dieses Wort solltest du nicht benutzen«, sagte Peter gewissenhaft. »Es drückt aus, dass du sie für minderwertig hältst, wie Feldwebel Pulcher oder der Truppenkommandeur es tun.«

      »Ich halte sie auch für minderwertig. Und jetzt hör verdammt noch mal auf, den Truppenkommandeur zu bekritteln. Wenn er nicht wäre, würden ich und Barry und die anderen jetzt vielleicht in einem Verlies in Port Said verfaulen.

      »Ich sehe das doch richtig«, sagte Barry, »dass die Sache wirk­lich vom Tisch ist? Ich meine, da werden nicht am Ende noch Leute in Bombay auf uns warten, um uns festzunehmen?«

      »Du hast doch gehört, was der Gentleman gesagt hat. Sie wüssten gar nicht, wen sie verhaften sollten.«

      »Und da bist du dir sicher, Alister?«

      »Ich bin mir da ganz sicher, mein kleiner Barry.«

      »Wie siehst du das, Peter?«

      »Ich finde«, sagte Peter, »dass ihr beide großes Glück gehabt habt …«

      »Wir haben es für dich getan, Himmelherrgott!«

      »… und dass es jetzt an euch liegt, euch zu bewähren, jetzt, wo ihr eine zweite Chance bekommen habt.«

      »Du meine Güte!«, sagte Alister. »Mir wird klar, warum du auf deiner Schule Hauskapitän warst. So was von ernst!«

      »Standfest«, sagte Barry und schaute scheu zu Peter rüber.

      »Herrisch. So war das an meiner Schule auch. Hast dir alle Jungs angeschaut und die zehn längsten Gesichter rausgesucht, mit so störrisch rausguckenden Zähnen, schon hattest du die zehn Hauskapitäne.«

      »Peter hat keine vorstehenden Zähne. Und ein rundes Gesicht.«

      »Von Zeit zu Zeit wird es ein bisschen eiförmig. Ihn machen sie ganz bestimmt zum J. U. O. wenn wir Bangalore erreichen.«

      »J. U. O.?«

      »Junior-Unteroffizier. Ist dem Zugführer gegenüber für das Betragen und die Anwesenheit aller Soldaten im Zug verantwortlich.«

      »Wenn das so ist«, sagte Peter, »werde ich wegen meiner Hosen was unternehmen müssen.«

      Er fing an, die Säume nach innen einzuschlagen.

      »Meint ihr, ich könnte das so machen und sie dann annähen?«

      »Mach dir darum keine Gedanken«, sagte Alister. »Wir bekom­men im Durchgangslager in der Nähe von Bombay eine neue Garnitur, und dann noch mal, wenn wir in Bangalore ankommen.«

      »Woher weißt du das?«

      »Feldwebel Pulcher hat es mir erzählt. Niemand kommt in den Fernen Osten, ohne wenigstens dreimal mit verschiedener Tropenausrüstung ausgestattet worden zu sein. Dhobi-Mann-Gelumpe hat er es genannt.«

      »Dhobi-Mann?«

      »Indisch für Waschmann.«

      »Aber es wird doch sicher«, sagte Barry, der ein aufmerksamer Geist war, »nicht nötig sein, uns im Durchgangslager neu einzukleiden, wenn in Bangalore dann gleich wieder alles ausgewechselt werden soll.«

      »Es kann sein, dass wir monatelang im Durchgangslager bleiben«, sagte Alister.

      »Unsinn!«, sagte Peter. »Wir sollen am neunten Dezember in Bombay ankommen und sind in Bangalore spätestens für den sechzehnten angekündigt.«

      »Nach offizieller Verlautbarung, Peterchen. Aber in Durchgangslagern gehen Leute verschütt. Man vergisst sie dort. Jeden Tag«, sagte Alister, »gehen sie zum Lagerbüro, um sich nach ihrem Verlegungsbefehl zu erkundigen, und der Stabsfeldwebel sagt ihnen, dass noch keiner eingegangen ist, und dann kommt ein neuer Stabsfeldwebel, der sie nicht kennt, und der sagt, dass er sie auf keiner einzigen Liste finden kann, dass sie noch nicht mal bei der Versorgungsstärke mit eingerechnet seien, und folglich könnten sie auch kein Essen und keinen Sold erhalten, und dann taumeln sie einfach so durchs Lager wie Geister, bis sie sich nicht mehr an ihren eigenen Namen erinnern können und entweder sterben oder sich unter die Einheimischen mischen.«

      »O nein!«, sagte Barry entsetzt.

      »Denen können ja wohl nicht dreihundert Offiziersanwärter abhandenkommen«, sagte Peter beschwichtigend.

      »Warum nicht? Der Krieg ist vorbei, und niemand hat wirklich Verwendung für uns. Es würde mich sehr überraschen«, sagte Alister, »wenn wir es überhaupt je bis zum Offizier bringen.«

      »Du bist schon zu lang auf diesem Schiff«, sagte Peter. »Du musst mal wieder ordentlich rangenommen werden.«

      »Das kannst du laut sagen. Ich war seit einer Woche nicht auf dem Scheißhaus. Herrgott, diese fliegenden Fische sind stink­langweilig«, sagte Alister. »Was Kipling an denen bloß ge­funden hat.«

      »Brahmahnen«, verkündete ein dürrer, blasser Major in der Uniform der Madras Rifles, »sind Priester und Gelehrte. Die Farbe der Kaste: Weiß. Kschatrijas sind Herrscher, Adelige und Krieger. Die Farbe der Kaste: Rot.«

      Die dreihundert Offiziersanwärter waren im großen Vorlesungssaal des Durchgangslagers in Kalyan, ungefähr vierzig Meilen von Bombay, versammelt. Sie waren bereits zehn Tage dort und hatten zweimal neue Tropenausrüstung ausgehändigt bekommen, doch nun waren beide Zuteilungen wieder eingezogen worden, so dass sie gezwungen waren, die dicken Hemden und Hosen des Feldanzugs zu tragen, in dem sie sechs Wochen zuvor England verlassen hatten. Es wurde ihnen jedoch versichert, dass sie jetzt jeden Tag mit einer neuen Tropenausstattung rechnen durften – dann nämlich, wenn ein Zug bereitgestellt worden sei, um sie Richtung Süden nach Bangalore zu bringen. Hier aber lag das Problem. Der Eisenbahntransportoffizier war nicht befugt, einen Zug anzufordern, bevor nicht der oberste Quartiermeister in Kalyan die Offiziersanwärter mit dem korrekten Drillich � Khaki � von OA während der Verbringung zum Standort zu tragen ausgestattet hatte; und der oberste Quartiermeister war wiederum nicht befugt, Bekleidung an die Offiziersanwärter auszugeben, bevor kein endgültiges Datum für die Zugfahrt feststand. Mit etwas gutem Willen hätten die beiden betreffenden Offiziere diese Schwierigkeit ausräumen können, aber guter Wille war in Kalyan Mangelware, und die Angelegenheit hatte inzwischen den Punkt erreicht, an dem Dauerschach geboten war. Derweil gaben sich die Offiziersanwärter tagelang verschwitzt dem Müßiggang hin und sollten sich nur dann und wann zusammenfinden, um improvisierte Schulungen über das Reich anzuhören, das demnächst in ihre Hände übergehen sollte.

      »Die Waischja«, sagte der dürre Major (der sich in Erwartung eines Prozesses vor dem Militärgericht im Arrest befand und somit, all seiner sonstigen Pflichten enthoben, Zeit für diese hatte), »sind die einfachen Leute, Händler und Bauern. Die Farbe der Kaste: Gelb. Die Schudra sind Diener, Sklaven, alles in der Art. Farbe der Kaste: Schwarz.

      Außerhalb dieser Gliederung der Hindu-Gesellschaft stehen noch diejenigen, die einem Hindu nicht nahekommen können, ohne diesen zu beschmutzen – die Unberührbaren, Parias oder Ausgestoßenen. Einige von ihnen haben einen so niedrigen Stand, dass sie nicht nur Unberührbare sind, sondern sogar Unsichtbare und nur nach Einbruch der Dunkelheit in Erscheinung treten dürfen.«

      Eine lange Pause entstand, in welcher der Major, der befand, das Thema sei nun erschöpfend


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