Medizin und Gesellschaft. Andreas Kögel

Medizin und Gesellschaft - Andreas Kögel


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gehört zu den Sozialwissenschaften, zusammen mit der Psychologie und den Erziehungswissenschaften. Diese Zuordnung ist nicht einheitlich. Früher wurde nur zwischen Natur- und Geisteswissenschaften unterschieden; die Soziologie galt als Geisteswissenschaft, ebenso wie die frühe Psychologie. Manche Psychologinnen und Psychologen sehen sich heute eher als Naturwissenschaftler. Auch die Zuordnung der Medizin ist nicht völlig klar. Die medizinische Forschung an Universitäten ist eindeutig eine Wissenschaft, die angewandte Medizin als ärztliches Handeln ist aber eher ein wissenschaftlich fundiertes Kunsthandwerk. Manchmal werden alle Wissenschaften, die sich mit dem Menschen befassen, als Humanwissenschaften bezeichnet. In der Soziologie herrscht Uneinigkeit darüber, ob sie selbst zu den Humanwissenschaften gehört.2 Daher ist die Darstellung in folgender Abbildung (image Abb. 1a) ein Vorschlag des Verfassers, als erste Orientierungshilfe im Wissenschaftsgeflecht.

Images

      Bezugswissenschaften

      Bezugswissenschaften liefern wichtige Erkenntnisse für eine Wissenschaft, sie sind sozusagen Zuarbeiterinnen für die eigene wissenschaftliche Arbeit.

      Bindestrichsoziologien

      In der Soziologie gibt es viele sogenannte Bindestrichwissenschaften, die sich jeweils mit bestimmten Teilbereichen oder Teilaspekten der Gesellschaft befassen. Beispiele sind die Wissenssoziologie, Industrie- und Techniksoziologie, Familiensoziologie, Kultursoziologie, Religionssoziologie, Wirtschaftssoziologie, die Soziologie der Ernährung, die Soziologie der Kindheit und Jugend, die Politische Soziologie oder die hier behandelte Medizinsoziologie.

      Hinzu kommen Arbeitsfelder ohne »Soziologie« im Namen: Die Sozialstrukturanalyse, die Sozialisationstheorie und die Methodenlehre der empirischen Sozialforschung. Bis heute hat die Soziologie keine einheitliche Theorie und Methodik, was einen systematischen Überblick schwierig macht. Verschiedene Theorieschulen definieren und betrachten Gesellschaft unterschiedlich und bevorzugen unterschiedliche Methoden zur Gewinnung von Erkenntnissen. Das Verhältnis dieser Theorieschulen zueinander ist mitunter konfliktträchtig, was in Kapitel 2.6 nochmals aufgegriffen wird.

      Soziales Handeln

      Das Soziale ist in der Soziologie der gesellschaftliche Bezug, der Begriff sozial weicht also von der alltagssprachlichen Verwendung ab. Mit sozialem Handeln meint die Soziologie nicht solidarisches, fürsorgliches Handeln. Soziales Handeln ist jegliches Handeln in gesellschaftlichen Bezügen, unabhängig von dessen moralischer Bewertung – also in der Medizin nicht nur das Behandeln von Kranken, sondern auch deren Ausgrenzung, oder eine wohlwollende medizinische Aufklärung, aber auch Esoterik, die Verbreitung von Gerüchten oder das Schüren von Ängsten, um daraus politisch, ökonomisch oder emotional Profit zu schlagen.

      Da auch die Soziologie als Wissenschaft ein Teil der Gesellschaft ist, befindet sie sich am Ende in der paradoxen Situation, dass sie sich auch selbst beobachtet, und es ist eine wichtige soziologische Frage, inwieweit das überhaupt realisierbar ist.

      1.2 Die Medizin als Wissenschaft

      Biomedizin

      Medizinsoziologie

      Die Medizinsoziologie untersucht bzw. beobachtet Medizin als gesellschaftliches Phänomen. Sie befasst sich beschreibend mit dem Aufbau und der Funktion der Gesundheitsversorgung, mit dem Selbstverständnis und der Reichweite medizinischen Handelns und mit geschichtlichen (zeitlich) und regionalen bzw. internationalen Unterschieden (horizontal). Hinzu kommen die Untersuchung und Beschreibung gesellschaftlicher Einflüsse auf Gesundheit bzw. Krankheit und deren Deutung. Und nicht zuletzt die Untersuchung sogenannter sozialer Interaktionen – der Umgang zwischen Ärztinnen, Patienten, Pflegekräften, Medizin-/Gesundheitsfachkräften und anderen involvierten Personen; die Vorstellungen, Wünsche und Ängste der Menschen innerhalb und außerhalb des Gesundheitswesens, allgemein der Umgang der Gesellschaft mit Krankheit, Sterben und Tod.


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