Annie Dunne. Sebastian Barry

Annie Dunne - Sebastian  Barry


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die ihm ein wenig den Rücken krümmen, sondern andere, geheimnisvolle und unsichtbare Gewichte. Als Frau, die selbst einen Buckel hat, möchte ich die Kinder, die ein solcher Mann zeugt, lieber nicht sehen, so wenig wie ich das Risiko eingegangen bin, selbst Kinder zu bekommen, obwohl die Sehnsucht danach gewiss groß war. Gut möglich, dass er einer Frau nur krumm gewachsene Kinder machen würde.

      Aber wie dem auch sei, Sarah begrüßt ihn freundlich, bittet ihn an den geschrubbten Tisch und bringt ihm wieder einmal Tee. Vielleicht spürt er, dass ich entspannter bin, denn heute zieht er mich nicht auf oder lässt mich links liegen, sondern schaut zu mir herüber und schenkt mir ein brüderliches Lächeln. Vielleicht meint er ja, dass er mich jetzt am Nasenring hat, dass ich ihm nicht mehr so gefährlich werden kann.

      »Intensivster Sonnenschein bis hinauf auf die Hänge des Keadeen«, sagt er, »und wohl die ganze Woche kein Regen mehr. Erst Regen und jetzt Sonne, da werden alle, die Kartoffeln gesetzt haben, zufrieden sein. Die Dunnes in Feddin haben einen halben Morgen bepflanzt. Heute haben sie mit ihren gekochten Eiern beim Frühstück gesessen und sich gefreut wie die Schneekönige.«

      »Warum auch nicht?«, sagt Sarah. »Es ist harte Arbeit. Hast du ihre Saatkartoffeln gesetzt, Billy Kerr?«

      »Hab ich. Wir vier haben Seite an Seite gearbeitet. Haben die Knollen ausgelegt und Erde angehäufelt und dabei gesungen. War gute Arbeit.«

      »Nun«, sagt Sarah und schiebt die blau-weiß gestreifte Tasse näher zu ihm hin, weil er seinen Tee bislang noch nicht angerührt hat, »es ist gut, wenn man Saatkartoffeln hat und einen Acker und Leute, die die Arbeit machen. Annie und ich werden unseren eigenen Vorrat sicher auch bald in die Erde bringen.«

      »Werden wir bestimmt«, sage ich. »Ganz bestimmt.«

      Die Kinder sitzen im Alkoven neben dem Kamin und lassen die Erwachsenen während des Gesprächs nicht aus den Augen. Nur ihre angelaufenen Löffel wandern von Schüssel zu Mund, von Schüssel zu Mund.

      »Das sind wirklich ganz prächtige Kinder«, sagt Billy Kerr. »Kriegen bestimmt gut zu essen in der großen Stadt. Wie geht’s dir heute, mein Junge, mmh?«

      Der Junge starrt den Mann, der am Tag zuvor mit ihm auf dem Feldweg gespielt hat, unverwandt an. Aber keine Reaktion, kein ungezwungenes Geplauder, kein Lächeln.

      »Da sieht man’s wieder«, sagt Billy Kerr, »kaum haben sie eine Nacht geschlafen, ist man schon vergessen.«

      »Er ist nur ein kleiner Junge«, sage ich als Erklärung, vielleicht auch als Entschuldigung. Denn der Junge kann merkwürdig schweigsam sein, selbst mir gegenüber. Man muss ihn aus sich herauskitzeln, so wie man eine Spinne hervorlockt, indem man ihr Netz mit einem Stöckchen kitzelt. Das Mädchen ist ein Geheimnis für sich, wie die sieben Elstern. Fünf für Silber, sechs für Gold. Und sieben ein Geheimnis, das ihr nicht wissen sollt.

      Er ist nur ein kleiner Knirps. Ein kleiner Knirps mit einem bemerkenswerten Gedächtnis. Er scheint zu vergessen, doch bei einer anderen Gelegenheit kann er ein Ereignis in allen Einzelheiten wiedergeben. Er wählt aus, woran er sich erinnern will, lässt sich Zeit damit, und wenn etwas in ihm nicht will, kann er sich auch nicht erinnern. Sich nicht erinnern wollen ist für den Jungen dasselbe wie vergessen. Vielleicht geht es beim Vergessen genau darum, und ich würde gut daran tun, mich in dieser Kunst zu üben. Das Ungezwungene, Tänzerische im Gemüt dieses Jungen, ganz so wie es sein sollte. Aber ich muss auch daran denken, wie leicht es wäre, dieses Tänzerische, Ungezwungene zu zerstören. Dann muss ich wohl auch gut von seinem rotbärtigen Vater denken, der als Junge das Naturell eines Wolfes hatte – kein Laut, nicht der kleinste Laut, dann ein Knurren und ein Zuschnappen, ein räuberisches Naturell, mit dem er manchmal über seinen jüngeren Bruder herfiel. Sein älterer Bruder war anders, der wandte ausgefeiltere Foltermethoden an. Die drei befanden sich in einem ständigen, unnötigen Kriegszustand. Und ich mittendrin, nicht als Mutter, denn das wäre Mauds Aufgabe gewesen, doch Maud überschüttete sie entweder mit Liebe oder ignorierte sie gänzlich, und schließlich kümmerte sie sich gar nicht mehr um die Kinder und die sonstigen Alltagspflichten, begab sich eines Herbstmorgens ins Bett und stand nie wieder auf, jedenfalls nicht, um etwas Sinnvolles zu tun. Für die Jungs bedeutete das Angst und Schrecken, vor allem für den Vater des kleinen Krümels hier, der den Boden anbetete, auf dem seine Mutter wandelte. Das Problem war nur, dass sie keine Anstalten machte zu wandeln!

      Ich glaube, der Kleine ist seiner Großmutter Maud nie begegnet, allenfalls als Baby, als sie schon im Sterben lag. Matt wiederum betet seinen kleinen Enkel ganz offensichtlich an, sagt, er wird dafür sorgen, dass aus ihm ein Maler wird wie sein Großvater, und sonnt sich schon jetzt in seinem Erfolg. Gelegentlich bekennt Matt, dass sein ältester Sohn eine einzige Enttäuschung für ihn ist. Er nennt ihn Bohemien und meint Tagedieb, obwohl ebendieser Sohn an der Kunstakademie in Dublin Bildhauerei studiert hat. Doch für den Vater des Jungen hier und für den Jungen selbst findet er nur gute Worte.

      Der Junge wiederum betet Matt an, weil dieser, als sie noch in seiner Nähe in Donnybrook wohnten, jeden Sonntag mit seinem Fahrrad vorbeikam und ihm Bonbons mitbrachte – so etwas merkt sich ein Kind.

      Schon bald, wenn der Sommer Einzug gehalten hat, wird Matt mit seinen Farben und seiner Staffelei nach Wicklow kommen, und um des Jungen willen hoffe ich, dass er sich von Lathaleer, der Farm meines Cousins, wo er wohnt, oft zu uns herausbemühen wird. Ich für mein Teil wäre nicht traurig, wenn ich ihn nie wieder zu Gesicht bekäme, so herzlos hat er sich verhalten. Er will zum Beispiel nicht hier bei uns in Kelsha übernachten, tatsächlich haben wir auch gar keinen Platz für ihn, aber wenn er es wünschte, würden wir ihm das Bett der Hexe herrichten, wo er in der Behaglichkeit des vor sich hin glimmenden Feuers den Schlaf des Gerechten schlafen könnte. Außerdem wäre es überhaupt keine Mühe für uns, seine Hemden und Unterhosen mitzuwaschen, Dinge, die mir so vertraut sind seit jenen entschwundenen Tagen, als ich für alle diese Männer, ihn und seine drei Söhne, die Wäsche besorgte. Als sie in meiner Obhut waren.

      Aber der Kleine ist ein Junge, wie er sein sollte; kein Gebrüll, keine Schläge haben den leuchtenden Kristall aus der Krone seiner Zufriedenheit gebrochen. Also muss ich wohl auch seiner Mutter etwas zugutehalten, die mich – das weiß ich, weil’s ihr ins Gesicht geschrieben steht – nicht leiden kann. Auch wenn es ihr gut in den Kram passt, die Kinder bei uns zu lassen, während sie in London ihre Zelte aufschlagen, spüre ich, dass sie von unseren Fähigkeiten nicht allzu viel hält. Aus jeder Zeile des Briefs, den sie mir zur Vorbereitung und zum Dank schrieb, sprach der Zweifel. Glücklicherweise ist sie als Mutter ziemlich gleichgültig – die Kleidung der Kinder ungebügelt, die Strümpfe mit Löchern in den Fersen und Risse in den Hosen, mit denen der Wind so leichtes Spiel hat wie mit einem verlassenen Haus –, sonst hätte ich den Jungen und das Mädchen nie in die Finger bekommen. Während Billy Kerr es sich in unserer friedlichen Küche gut gehen lässt, erschüttert, ja peinigt mich aufs Neue die Zuneigung, die ich für die beiden empfinde. Es ist wie beim Rübensirup, wenn man ihn über den Biskuitteig gießt: Langsam rührt man die zähe Masse mit dem Löffel, bis der Unterarm völlig ermüdet. Dann endlich lässt sich der Sirup untermischen, er kapituliert und verleiht dem Treacle Sponge Pudding jenen verrückten Zuckergeschmack, der im Munde schäumt und Luftsprünge macht. Nicht, dass es den hier in Kelsha oft gäbe – so etwas hat meine Mutter zu unseren besten Zeiten in der alten Küche des Dublin Castle zubereitet, also ist der kraftlose Arm, an den ich mich erinnere, mein eigener: der Arm eines kleinen Mädchens, das seiner Mutter hilft, in der ewigen Geborgenheit der frühen Kinderjahre.

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