Fritz und Alfred Rotter. Peter Kamber

Fritz und Alfred Rotter - Peter Kamber


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zu intervenieren, das heißt die Freistellung von Blumenthal zu verlangen. „Als Begründung sollte ich anführen, sie hätten für die Aufführung das ganze Personal schon engagiert und ohne die Anwesenheit und Mitwirkung Dr. Blumenthals könnten die Aufführungen nicht stattfinden.“46 Der Pachtvertrag „für theatralische Aufführungen“ war abgeschlossen, aber vorerst bis 28. November 1915 befristet. Das Brüderpaar hätte sich eine „längere Dauer“ gewünscht, aber darauf geht Winkler nicht ein. Zwar verwendet er sich für Blumenthal, doch vergeblich.47

      Alfred und Fritz scheinen Winklers wachsendes Misstrauen zu spüren. Sie wissen, dass er von Beruf Baumeister ist. „Mich frugen sie, was ein großes Theater in Berlin zu bauen koste, womit sie mich beauftragen wollten.“ Doch Winkler wendet sich innerlich von ihnen ab. Alfred indes ist bereits damit beschäftigt, Verträge für den Kartenvorverkauf im Zirkus abzuschließen, und zwar mit dem Kaufhaus Herzfeld in Dresden. Er und Fritz machen einem Kassierer mit Namen Liebe das Angebot, „ihn als Geschäftsführer mit einem ganz bedeutenden Gehalt und Gewinnanteil zu engagieren“.48 Sie sehen durchaus die Möglichkeit, das leerstehende Zirkusgebäude den ganzen Winter über zu bespielen. Es sind keine leeren Worte – nach dem Krieg stellen die Rotters regelmäßig genau auf diese Weise frühere Partner ein. Nur ein Theater in Berlin werden sie sich nie bauen lassen.

      In eben diesem Kaufhaus Herzfeld in Dresden wird Alfred am 24. November 1915 verhaftet – fünf Wochen nach Fritz. Er hat Winkler noch erklärt, er werde „voraussichtlich in den Nachmittagsstunden an der Vorverkaufskasse von Herzfeld anzutreffen“ sein. Winkler erscheint inzwischen die „Heimlichtuerei“ von Alfred „in hohem Grade verdächtig“: „trotz wiederholter und dringlicher Fragen nach seiner Wohnung“ verweigert Alfred „deren Angabe […] mit allerhand Ausflüchten“. Zu den letzten Verhandlungen nimmt er sogar eigens seinen Bruder mit: „Fritz Schaie war in Uniform dabei. Ich konnte mich des Verdachts nicht erwehren, dass eine Hinterziehung der Militärpflicht vorliegen würde, weil Blumenthal und Alfred Schaie doch wiederholt von Reklamation vom Militär“ – erbetener Freistellung – „gesprochen hatten. […] Ich nahm deshalb die Hilfe der Polizei in Anspruch […]“.49

      Die Denunziation nimmt der Dresdener Polizeiinspektor Fischer entgegen. Nach der Verhaftung wird Alfred von „Kriminalgendarm Töpfer“ verhört; diesem „soll er sein ganzes Geld angeboten haben, was er bei sich habe, wenn er ihn laufen ließe“50, will Winkler danach erfahren haben. Unter den Wertsachen, die Alfred „im Untersuchungsgefängnis abgenommen“ wurden, befinden sich 670 Mark – Betriebskapital des Lessing-Verlags, das die Bespielung des Zirkusgebäudes hätte sichern sollen. Erst nachträglich bekennt Fritz dem Verwalter Winkler in dessen Wohnung entschuldigend, „Langenfeld sei nur“ der „Künstlername, sie könnten doch ihres Berufes“ – als Juristen – „und der Familie wegen beim Theater nicht unter ihrem wirklichen Namen auftreten“.51 Damals sind solche Künstlernamen weit verbreitet.

      Der Krieg fordert auch unter Theaterleuten seine ersten Opfer. Im Deutschen Bühnen-Jahrbuch 1915 werden auf einer „Ehrentafel“ die Namen von „Bühnen-Angehörigen“ genannt, die „auf dem Felde der Ehre“ fielen: es sind 42; weitere 113 sind verwundet und 77 „mit dem Eisernen Kreuz“ ausgezeichnet worden – von insgesamt 900, die „unter der Fahne stehen“. Ein Jahr später sind es schon 96 Gefallene, 181 Verwundete sowie 160 mit dem Eisernen Kreuz Geehrte unter den 1600 eingezogenen „Bühnen-Angehörigen“. Auch der spätere Ehemann der jüngsten Schwester Ella Schaie, Albert Ullmann, wird 1916 in Frankreich als Arzt im Krieg schwer verwundet und erhält dafür das Eiserne Kreuz. Später wird er Theaterarzt an den Rotterbühnen.

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      Ella, die Schwester von Fritz und Alfred, und ihr Mann Albert Ullmann in den Zwanzigerjahren

      Fritz und Alfred spielen in den Folgejahren oft und gern den irischen Autor George Bernard Shaw, der im November 1914 schreibt: „Und ich sehe, wie Junker und Militärpartei in England und in Deutschland die Gelegenheit, auf die sie viele Jahre vergeblich gewartet haben, wahrnehmen, einander zu vernichten und ihre eigene Oligarchie als die beherrschende Militärmacht der Welt aufzurichten. Das heldenhafteste Mittel gegen dieses tragische Missverständnis wäre zweifellos gewesen, wenn beide Armeen ihre Offiziere niedergeschossen hätten und heimgegangen wären, um in den Dörfern die Ernte einzubringen und in den Städten Revolution zu machen.“52

      Am 25. November 1915 wird Alfred „eröffnet, dass er beschuldigt werde, nach eingetretener Mobilmachung einer Einberufung zum Dienste keine Folge geleistet zu haben“ – ein „Vergehen gegen § 68 Militärstrafgesetzbuch“. Es wird Haftbefehl erlassen. Alfred, der sich inzwischen wieder gefasst hat, legt „Rechtsbeschwerde“ ein. Kriegsgerichtsrat Wagner lässt den Hilfs-Gerichtsschreiber wörtlich mitschreiben, nach „Diktat des Beschuldigten“:53 „Ich erhebe deshalb Beschwerde, weil ich der Überzeugung bin, dass […] ein Irrtum“ vorliegt, da der Haftbefehl von einem „ungedienten Landsturmmann“ spreche. „Im Gegensatz“ dazu „bin ich aber Rekrut […].“ Alfred, nun Jurist in eigener Sache, fährt fort: Als er in Berlin eine Vorladung „zur Musterung“ erhalten hat, habe er „geantwortet […], dass ich in Leipzig beim Train als Kriegsfreiwilliger angenommen sei“. Auch aus Leipzig habe er „Gestellungsbefehle“ erhalten, zwei sogar, „denen ich beiden Folge leistete“: „Beide Male wurde ich als überzählig zurückgeschickt.“ Im „Geschäftszimmer“ des Train-Regiments 19 in Leipzig sei ihm beschieden worden, „es würde vom Regiment nach Berlin geschrieben werden, dass ich in Leipzig noch nicht eingetreten sei, ich würde nun entweder vom Bezirkskommando in Berlin eingezogen werden oder vom Train-Bataillon in Leipzig“. Und Alfred versichert: „Ich habe bis zum heutigen Tage weder vom Train-Bataillon noch vom Bezirkskommando Berlin eine Zustellung erhalten.“

      Während Alfred in Haft bleibt, erhält der dienstverpflichtete Fritz Schaie wenigstens ab und zu Ausgang. So spricht er eines Tages bei Direktor Adolf Edgar Licho vom Albert-Theater in Dresden vor. Der damals neununddreißigjährige Licho sagt am 11. Dezember 1915 vor dem Kriegsgericht aus, er

      „kenne die Brüder Schaie unter ihrem wirklichen Namen schon seit mehreren Jahren […]. Sie veranstalteten damals literarische Vorstellungen, hatten auch, und zwar unter einem fremden Namen, ein Theater gepachtet und müssen über Geld verfügen, was höchstwahrscheinlich der Vater hat. […] Vor mehreren Wochen erschien unerwartet der kleinere von ihnen [Fritz] in Uniform des Train-Bataillons und frug mich direkt, ob ich ihn wohl reklamieren würde. Ich frug ihn ganz verwundert, was er damit meine. Er [Fritz] sprach sich weiter dahin aus, ich möchte ihn etwas inszenieren lassen, ihn als Regisseur einstellen und dabei beklagte er sich unter offensichtlicher Abspannung über die Anstrengung des Dienstes. Ich habe ihm das rundherweg abgeschlagen und er ist gegangen. Etwa 14 Tage später darauf kam er wieder in Uniform und bat mich, ich möchte unter meiner Direktion im Zirkus Sarrasani ein Gastspiel der [Adele] Sandrock stattfinden lassen. Ich frug ihn darüber natürlich aus und da ergab sich, dass das ein ganz schwindelhaftes Unternehmen war. Es war 4 Tage vor der durch die Zeitung in großen Annoncen und durch große Plakate an den Litfaßsäulen angekündigten Vorstellung, und dabei hatte Schaie weder eine Bühne noch Konzession noch Schauspieler. Er bat mich, dass meine Schauspieler auftreten sollten, als ich aber von ihm eine Kaution von 20 000 Mark verlangte, lehnte er ab und dabei [damit] war für mich die Sache erledigt. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.“54

      1916 werden sie beide, Fritz und Alfred Schaie, „durch Gerichtsbeschluss außer Verfolgung gesetzt“, weil sie „nicht gemustert“ und „noch nicht als Soldaten anzusehen waren, also auch nicht als fahnenflüchtig im Sinne des Gesetzes“.55 Zuvor, im Februar 1916, ist Alfred an einem „Nierenleiden“ erkrankt. Er wird nach Berlin entlassen – und einen Monat später „im März 1916 zur Beobachtung seines Geisteszustandes von der Truppe dem Lazarett überwiesen“. Beides bezeichnet Kriegsgerichtsrat Wagner, der die Untersuchung führt, „als auffällig“ und ist der Ansicht, die Brüder hätten


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