Fritz und Alfred Rotter. Peter Kamber
allen Mitteln der Beeinflussung versuchten die Rotters, sich durchzusetzen.“
Die Vossische Zeitung sieht den Expansionsvorgang weniger dramatisch und erklärt unter dem Titel Die Pläne der Gebrüder Rotter: „Danach tritt Dr. Georg Altmann, der Direktor und Konzessionär des Kleinen Theaters, in die Firma ‚Gebr. Rotter‘ als gleichberechtigter Teilhaber ein. Herr Altmann wehrt sich im übrigen gegen die an anderer Stelle ausgesprochene Vermutung, als werde er zu den Brüdern Rotter in ein ähnliches Abhängigkeitsverhältnis treten, wie es seinerzeit Herrn Dr. [Eugen] Robert, dem nominellen Leiter des Residenztheaters, aufgezwungen worden ist. Die in Gang gebrachte Verschmelzung werde seine (Altmanns) Rechte eher erweitern als schmälern.“ Gerüchte schließlich über einen „wiederholt behaupteten Verkauf des Theaters des Westens an den Rotter-Konzern“, so die Zeitung, würden vom langjährigen Pächter dementiert.58
DIE BEIDEN BINDELBANDS
1921 bis 1923 sind paradoxerweise günstige Jahre für die Theater, trotz verbreiteter Arbeitslosigkeit und Armut – gerade wegen der Geldentwertung, die seit Sommer 1921 zu immer neuen Teuerungswellen und im Sommer/Herbst 1923 zur Hyperinflation mit Billiarden-Mark-Scheinen führt: „Das Geld, das man heute in der Hand hatte, besaß morgen keinen Wert mehr“, erinnert sich Rotter-Regisseur Georg Altmann 1931. „Und so beeilte man sich, es heute noch auszugeben, um möglichst viele Genüsse dafür einzutauschen. Man fand diese Genüsse in den Theatern.“59
Georg Altmann, der nunmehr das Kleine Theater Unter den Linden für die Rotters führt, verlässt Deutschland 1933. An Goethes Todestag, dem 22. März 1933, wird er zum letzten Mal ein Stück inszenieren: Iphigenie in Hannover.
„Am nächsten Morgen teilten die Nazis dem Oberbürgermeister von Hannover [Dr. Arthur Menge] mit, dass sein Theaterdirektor Altmann des Abends im Gefängnis sein würde. Dr. Menge tat erstaunt. Warum? Was haben Sie gegen ihn? – Nichts! Wir kennen ihn ja gar nicht, wir wollen nur seine Stelle. – Dann genügt es doch, wenn ich ihn beurlaube! – Stimmt! Dann existiert er für uns nicht mehr. Am Mittag des Tages wurde diese Beurlaubung ausgesprochen, wobei ich den mir immer wohlwollenden Oberbürgermeister bedauerte, der gegen seinen Willen und wider besseres Wissen handeln musste.“60
Altmann emigriert nur wenige Tage später mit seiner Familie nach Brüssel, später nach Nizza und von dort 1938 nach San Francisco, wo er ab 1939 im Green Street Theatre Schauspielunterricht geben kann und als Erster überhaupt in den USA Brecht aufführt: Die Gewehre von Frau Carrar (1937) und den Einakter Der Spitzel (aus der später Furcht und Elend des Dritten Reiches genannten Sammlung). Altmann hat in Oxford studiert und kommt mit dem Sprachwechsel gut zurecht. Im Alter von achtundsiebzig Jahren stirbt er 1962 in Los Angeles.
Die Rotters gelten schnell als die Theatermacher der Inflationszeit. Zum einen wegen der Komödien und Lustspiele, die sie geben, sowie wegen der glänzenden Ausstattung der Stücke – die Lieferfirmen dürfen im Theaterprogramm für sich werben. Zum anderen liegt es an der Zusammensetzung ihres Publikums. Die Theaterkritiken der Zeit wirken wie Kulturspiegel – und am auffallendsten ist, wie sehr das Bruderpaar auf seinen Bühnen der Großstadt bereits jene Freizügigkeit vorführt, die danach erst zum weltbekannten Erkennungszeichen Berlins wird. Herbert Jhering jedoch attackiert diesen neuen Komödienstil als „Hoftheater für Revolutionsgewinnler“:
„Der Schauspieler als Exponent einer Schneiderfirma – er fehlte noch als Kunsterlebnis. Wenn in Wien früher der Darsteller (durch seine Haltung) die Mode schuf, so schafft die Mode in Berlin heute den Darsteller. Er steht bei den Rotters fettgedruckt auf dem Zettel. Aber da das Publikum durch denselben Zettel angehalten wird, ihn nach dem Modeatelier zu beurteilen, das ihm die Anzüge liefert, tritt an die Stelle des künstlerischen Ehrgeizes die Konkurrenz der Kleiderlieferanten. Die Kritik der Bügelfalte ersetzt die Kritik der Leistung. Der Schauspieler, scheinbar bei den Rotters zur höchsten Selbstständigkeit gekommen, wird in Wahrheit zum Ausstellungsgegenstand herabgesetzt.“61
Über die „Riesenpreise“ für einen Platz in einem der Theater der Brüder ärgert sich ausgerechnet der Berliner Börsen-Courier62, der die tieferen Ursachen für die Inflation doch bestens kennen müsste. Der Kollege Jherings beim Börsen-Courier, Theaterkritiker Emil Faktor, beobachtet im Kleinen Theater, dass „150 Mark für den Parkettsitz hingelegt wurden“: „Diese Preishochkonjunktur ist charakteristisch für die Momentanentwicklung der Theaterdinge – zurzeit eines der gefährlichsten Krankheitssymptome. Und wenn das neue Berlin eines Tages gesunden sollte, dann wird es auch wieder die Kraft gewinnen, die falschen Tempelhüter davonzujagen. So viel vorläufig über die Rotters.“63
Kurt Tucholsky rechtfertigt in der Weltbühne, dass Siegfried Jacobsohn in seinem Buch Jahr der Bühne die Rotters völlig übergeht: „Die Rotters: Nein. (Die Gebrüder Rotter sind kein Name, sondern ein Begriff.)“64 Noch deutlicher wird er in der Satire Rotters erste Reihe, die im Februar 1921 erscheint. Tucholsky, der ein Jahrzehnt später selbst zu Korpulenz neigt, zeichnet – ausgehungert und zornig – das Theaterpublikum der Rotters wie Gestalten in den Gemälden von Otto Dix:
„In den roten Sanftfotölchen schwimmen ungeheure Fettmassen; vorne oben schimmert matt etwas, das man allenfalls Gesicht nennen kann. […] Die Münder schlürfen den Brei, der da oben serviert wird. […] Ich achte gar nicht auf das, was da oben vorgeht: ich sehe immer nur die erste Reihe. Und die Gesichter fangen an, zu sprechen. Sie sagen: Wenn wir nur verdienen! Sie sagen: Jetzt sind wir dran. Sie sagen: Niederlage, militärische und geistige Katastrophen […] – wir sind der neue Kaufmannsstand. Alles, was wir je erträumt, ist robuste Wirklichkeit. Sie sagen: Na, haben wir nicht recht gehabt? […] Ist nicht alles gerechtfertigt, was wir je taten und träumten? Gottseidank: der Mensch ist schlecht. Und wir sitzen in der ersten Reihe. […] Die Herren, denen feiste Backen weit, weit über den Kragen auf das Smokinghemd hängen, rot durchblutete, gut rasierte Backen – die Herren atmen schwer, angestrengt eingesunken und ein wenig müde.“65
Zuvor schon, 1919, in einem anderen heftigen Text über die Rotters unter dem Titel Die beiden Bindelbands urteilt Tucholsky:
„Der Künstler ringt. […] Endlich ist die Zeit der sieben mageren Jahre um. Die fetten folgen. Fett für wen – ? Fett für die anderen. Fett für das Kino. Fett für die Bindelbands. […] Den, der jahre- und jahrelang bei seinem Entdecker und Förderer geschuftet hat in harter geistiger Arbeit […] – den nehmen sich die Bindelbänder und zeigen ihn dem erstaunten Publikum vor. Seht–! Da ist er –! Unser Wegener! Unser Moissi! Unser … Ihrer wars nicht. Es ist ein erpumpter Ruhm. […]. Wir erleben täglich, wie sich die ganze Rotte der Rotters vergeblich bemüht, auch nur ein Mal einen solchen Mann aus ihren Reihen erstehen zu lassen. Das kann man nicht, wenn man ins Publikum schielt.“66
„Fett“ ist damals ein Synonym für reich. Das war die früheste Kritik am Starsystem der Rotters, aber Kurt Tucholsky tut ihnen auch unrecht. Mit Hans Albers und Käthe Dorsch entdecken sie durchaus auch selbst große Talente. Das gesteht ihnen sogar Jhering zu: „Sie entdeckten tatsächlich Käthe Dorsch, und sofort war sie ihr Star“.67
Immerhin behält Tucholsky, anders als Jhering, eine kleine Zuneigung zu den Rotters, und die Bezeichnung „die beiden Bindelbands“ ist nie herzlos gemeint – nicht nur weil er sie für ebenso austauschbar wie unzertrennlich hält, sondern weil Tucholsky weiß, wie sehr sie vom populären jüdischen Theater in Berlin des Herrnfeld-Theaters an der Kommandantenstraße 57 beeinflusst sind (wie er selbst auch) – denn von jenem Brüderpaar Anton und Donat Herrnfeld, geboren 1866 und 1867 in Ungarn, stammt die legendär gewordene Verwechslungskomödie Die beiden Bindelbands aus dem Jahr 1908, auf die sich Tucholsky bezieht und deren Text als Zensurexemplar samt Gutachten im Landesarchiv Berlin erhalten geblieben ist.
Die beiden Bindelbands ist eine Burleske. Selbstverulkung ist bei den Brüdern Herrnfeld Programm. Im Gutachten, das die Theaterabteilung des Polizeipräsidiums Berlin jeweils bei externen Leuten bestellt, steht über das Stück: „Alwin