Gespräche. Konfuzius
Jahrhundert vor Christus eine neue Welt aus den Trümmern zu steigen begann, waren sehr wesentlich verschieden von denen, die Kung vorausgesetzt hatte. Der bürokratisch zentralisierte Staat wurde auch künftig übernommen und durch alle Zeiten mehr oder weniger beibehalten. Infolge davon mußte der von Kung überlieferte Plan sich einige Änderungen in der Durchführung gefallen lassen. Doch bewies sich das Werk Kungs lebensfähig genug, um diese Änderung zu überstehen. Allmählich hob er sich von der Masse der Tagesgrößen immer klarer ab, und es entstand ein neuer Bau, der der chinesischen Kultur Obdach gab. Wiederholt im Lauf der chinesischen Geschichte sind gefährliche Stürme über den stolzen Bau der konfuzianischen Kultur hingegangen. Ja, man darf wohl vermuten, daß selbst die Menschen, die heute in China leben, Rassenelemente in sich tragen, die vom alten Chinesentum wesentlich verschieden sind. Dennoch hat Kungs Werk alle diese Stürme überdauert. Zu einem so gefährlichen Zusammenbruch wie am Ende der Dschouzeit ist es nie wieder gekommen. Der Grund davon ist, daß Kung eine wesentlich solidere Basis für die chinesische Kultur geschaffen hat. Die Dschoukultur mußte zugrunde gehen, weil ihre Prämisse, der Heilige auf dem Thron, etwas war, das in einer Dynastie mit Erbfolge notwendig versagen mußte. Kung hat eine breitere Grundlage geschaffen. Vor ihm war der Heilige als Herrscher der Träger der Kultur, durch ihn wurde der gebildete Mittelstand in seiner Breite der Träger der Kultur. Hier wurde die öffentliche Meinung erzeugt, der kein Fürst auf die Dauer entgegenarbeiten konnte. Dadurch bekam das Fundament der Kultur, das nun demokratisch gestürzt war, eine so lange Dauer. Man darf sich jedoch nicht vorstellen, daß dieses Durchdringen seiner Lehren kampflos vor sich gegangen sei. Bei seinem Tode hinterließ er eine Reihe von Philosophenschulen, die in kleinlicher Eifersucht sich befehdeten, und von denen jede die reine Lehre des Meisters zu haben vorgab. Allmählich setzte sich dann aber doch die eine Richtung als maßgebend durch, welche, von dem treuesten und hingebendsten Schüler des Meisters, Dsong Schen, begründet und von dem genialen Enkel Kungs, Dsï Si, fortgeführt, in Mong Ko (Menzius) ihren begabtesten Propagandisten gefunden hat. Dadurch war zunächst innerhalb der Schule eine gewisse Einheit der Tradition gesichert. Hand in Hand damit ging eine Auseinandersetzung mit den andern Philosophenschulen. Man darf nie vergessen, daß Kung nicht der alleinige und vollständige Zusammenfasser des chinesischen Altertums war. Im Taoismus liegen Seiten des altchinesischen Wesens vor, die noch über Kung zurückführen. Die konfuzianische Schule war eben nur eine unter den vielen Philosophenschulen der Zeit, von denen neun sich einen besonderen Namen gemacht haben. Namentlich der Dialektiker Mong machte es sich zur Aufgabe, durch Disputation in Kontroversen mit Andersdenkenden der guten Sache zum Sieg zu verhelfen. Es ist seiner Redekunst auch gelungen, eine ganze Reihe bedeutender Denker dauernd als schwarze Schafe zu brandmarken. Doch war dieser Sieg auch mit gewissen Nachteilen verbunden. Die große, freie Art des Meisters, der seine Wahrheit niemand aufdrängte, sondern nur dem mit Interesse und Verständnis Suchenden stufenweise erschloß, wich unter den Händen des eifrigen Reisepredigers einer logisch durchgearbeiteten, dogmatisch gefärbten Schullehre.
Seine schwerste Probe hatte der Konfuzianismus zu bestehen im Kampf mit dem Zäsarismus des Tsin Schï Huang. Einer solchen, auf Realpolitik gegründeten Despotennatur mußte das ethische Staatsideal des Konfuzianismus, das weit mehr die Pflichten der Herrschenden betont als ihre Rechte, prinzipiell zuwider sein. So ist es denn begreiflich, daß Tsin Schï Huang mit Feuer und Schwert gegen die Bücher des Konfuzianismus und seine Anhänger vorgegangen ist. Dennoch hat der Fürst letzten Endes nichts erreicht; an dem charaktervollen Widerstand der Gelehrten, die auch den Tod für ihre Überzeugung nicht scheuten, scheiterte das Machtgebot des Einzelnen. Die Dynastie verschwand schon nach der zweiten Generation, und die neu aufkommende Handynastie ließ es sich von Anfang an angelegen sein, den Meister und seine Anhänger in ihre alten Ehrenrechte einzusetzen. Die verbrannten Schriften wurden teils in einzelnen Exemplaren wiedergefunden, teils auf Grund mündlicher Tradition neu zusammengestellt, teils auch nach Bedarf fabriziert. Das Andenken des gewalttätigen Gegners auf dem Throne aber wurde von den Literaten für Jahrhunderte verfemt.
Weitere Auseinandersetzungen, namentlich mit dem von Süden her nach China importierten Buddhismus, brachten eine fortgehende Gedankenarbeit, die in der Sungdynastie von dem berühmten Gelehrten Dschu Hi zu einem gewissen Abschluß geführt wurde, nicht ohne Aufnahme verschiedener buddhistischer Gedankenlinien in die konfuzianische Schulphilosophie. Nachdem noch unter der Mingdynastie, namentlich durch Wang Schou Jen, eine von Dschu Hi abweichende, mehr historisch-kritische Richtung sich geltend machte, die besonders im japanischen Konfuzianismus bis auf den heutigen Tag großen Einfluß hat und von hier aus neuerdings auf China zurückzuwirken beginnt, ist von den ersten Kaisern der Mandschudynastie Dschu Hi’s Interpretation als autoritativ bezeichnet worden. Unter dem Kaiser Kiän Lung wurde der revidierte Text der dreizehn als klassisch bezeichneten Schriften auf steinernen Tafeln im Konfuziustempel zu Peking eingegraben, der seitdem durch kaiserlichen Befehl als maßgebend festgelegt ist.
Die hohe Verehrung, die Kung durch die Mandschudynastie gezollt wurde und die soweit ging, daß er beim großen Opfer als Genosse des höchsten Gottes verehrt wurde, hat nun neuerdings eine schwere Gefahr für ihn gebracht. Mit der Mandschudynastie brach auch die Verehrung Kungs in Trümmer. Sein Tempel verfällt. Keine Opfer werden ihm mehr gebracht. Die Literaten haben sich zum Teil anderen Idealen zugewandt, zum Teil stehen sie einflußlos abseits. Es scheint, als sei für den Konfuzianismus wieder eine ähnlich gefährliche Zeit gekommen wie die des Tsin Schï Huang. Ja, gewißermaßen ist heute die Gefahr noch größer. Denn was zusammengebrochen ist, ist nicht wie damals nur ein Glied im großen Zusammenhang, vielmehr sind die gesamten Grundlagen erschüttert. Der Fürst ist beseitigt und damit die notwendige Form des konfuzianischen Staates. Denn man mag sagen, was man will: auf eine Republik läßt sich die konfuzianische Staatslehre nicht aufpfropfen. Aber die Auflösung geht weiter. Die gesellschaftliche Struktur kommt ins Wanken. Die Familie, in der die wichtigsten Beziehungen der konfuzianischen Lehre wurzeln, ist in einer radikalen Umgestaltung individualistischer Art begriffen. Allerdings werden neuerdings wieder von den Autoritäten Versuche gemacht, die Stellung Kungs zu heben. Mit dem bisherigen Radikalismus kommt man nicht weiter. Doch die konfuzianische »Kirche», die in der Gründung begriffen ist und vom Christentum manche Formen geborgt hat, ist jedenfalls etwas prinzipiell anderes als was Kung gewollt.
Die Frage ist nun: Wird Kungs System die Wirren des heutigen Tages überdauern? Oder wird es untergehen in der Umwandlung der alten chinesischen Welt? Für alle Fälle ist es der Mühe wert, diesen Versuch der Menschheitsorganisation zu retten zu einer Zeit, da unmittelbare Anschauung seine Kenntnis noch ermöglicht; denn es handelt sich um eine der wichtigsten Erscheinungen in der Menschheitsgeschichte.
Fragen wir uns zum Schluß, was Kung Dauerndes geschaffen hat, so ist wichtiger als alle kunstvoll verschlungenen Linien seines Gedankengebäudes das persönliche Moment, das uns in ihm entgegentritt. Kurz gesagt: Es ist die Souveränität der sittlichen Persönlichkeit, die uns an ihm imponiert. Diese Unabhängigkeit von allen äußeren Gesichtspunkten wie Lohn und Strafe, die ruhige Klarheit, die sich von allem Abergläubischen und Verzerrten besonnen zurückhält, diese Energie des Forschens, die unermüdlich einzudringen sucht in die Wahrheiten des Lebens, diese abgerundete Einheit, die konsequent der inneren Gesinnung in allen Äußerungen den rechten Ausdruck zu geben sucht, – das alles sind Momente, die ihn über seine Zeit wie überhaupt jedes zeitlich beschränkte Niveau emporheben und seinem Beispiel Kraft verleihen. Kung ist eine Natur, die unserem Kant in vielen Stücken wesensverwandt ist, soweit man einen praktischen Politiker mit einem wissenschaftlichen Forscher überhaupt vergleichen kann. Dieses Vorbild hat denn auch immer wieder in der chinesischen Geschichte seine Nachahmer gefunden, die charaktervoll und unentwegt im Strudel der Ereignisse dastanden und auch unter ungünstigen Verhältnissen den Mut zur energischen Vertretung der Wahrheit und Gerechtigkeit fanden. Aber auch unter den Grundsätzen, die er für das Zusammenleben der Menschen aufgestellt hat, sind manche, die bis auf den heutigen Tag noch nicht Allgemeingut geworden sind, so der Grundsatz, daß sich Menschen dauernd nur beherrschen lassen durch die Macht einer sittlich ausgebildeten Persönlichkeit, nicht durch äußeren Zwang der Gesetze. Dem zur Seite steht der andere Grundsatz, daß die gesamte staatliche Ordnung auf natürlichen Grundtatsachen des menschlichen Wesens beruhen muß. Die sittliche Grundlage der gesamten Politik wird trotz allen Schwierigkeiten und der temporären Unmöglichkeit ihrer Durchführung so lange als ein forderndes Ideal vor der menschlichen Gesellschaft stehen, bis sie auf irgendwelche