Die Reise der Bounty in die Südsee. William Bligh
Kapitel
Wo ist die »Bounty« geblieben?
VORBEMERKUNG
Die diesem Buch zugrunde liegenden Berichte sind entnommen dem »Magazin von merkwürdigen neuen Reisebeschreibungen«, 5. und 11. Band, Berlin 1791 und 1793: übersetzt und herausgegeben von Johann Reinhold Forster und dessen Sohn Georg, die als Wissenschaftler an der zweiten Reise des Captain James Cook (1772–1775) teilgenommen haben.
Die Originaltitel lauteten: »William Blighs, Captain der Großbritannischen Flotte, Reise in das Südmeer, welche mit dem Schiff ›Bounty‹ unternommen worden ist, um Brotbäume nach den Westindischen Inseln zu verpflanzen« und »Reise um die Welt in der Königlichen Fregatte ›Pandora‹ während der Jahre 1790, 1791 und 1792 unter Führung des Captain Edwards« nebst »Nebst Entdeckungen in der Südsee und einer Nachricht von dem vielen Ungemach, welches die Mannschaft durch Schiffbruch und Hunger auf einem Weg von elfhundert Englischen Meilen zwischen der Endeavour-Straße und der Insel Timor im offenen Boot erduldet. Beschrieben von Dr. George Hamilton, Wundarzt des Schiffes.«
Die Abbildungen und Karten sind entnommen der »Geschichte der Seereisen und Entdeckungen im Südmeer« von Dr. Johann Hawkesworth, Berlin 1774, und der »Malerischen Reise um die Welt« von J. Dumont d’Urville, Leipzig 1835.
LEUTNANT WILLIAM BLIGH,
KAPITÄN DER »BOUNTY«
Vor fast zweihundert Jahren haben die Ereignisse um das Meutererschiff »Bounty« weit über England hinaus Aufsehen und rege Parteinahme für und wider hervorgerufen, und bis heute sind die dramatischen Ereignisse von damals lebendig geblieben und immer wieder nachgestaltet worden. Kein Wunder, denn ungewöhnlich war schon die Aufgabe, die dem Kapitän mit seinem Schiff gestellt worden war, nämlich Brotfruchtpflanzen von Tahiti um die halbe Erde nach den Westindischen Inseln zu schaffen, um dort eine bessere Ernährung der Plantagenarbeiter zu ermöglichen. Diese Aktion diente zwar dem Gewinnstreben britischer Pflanzer, aber sie entsprang auch oder gar überhaupt dem aufkommenden humanitären Geist in der Zeit der beginnenden Aufklärung, die das Ziel hatte, »Vernunft und Menschenwürde zur Herrschaft zu bringen«, einer Bewegung, die mit den Lehren der englischen Philosophen Locke und Hume ihren Anfang nahm.
Die Aufklärung befruchtete oder trug auch die Reisen der großen Entdecker, die damals gewiss in erster Linie auf die Ausweitung und Festigung der britischen Weltmacht gerichtet waren, aber dieses Ziel wurde oft verhüllt oder gar verdrängt von anderen Plänen und Absichten, die die Admiralität mit diesen weltweiten Erkundungen verfolgte. Das beste Beispiel dafür sind die drei Reisen (1768–71, 1772–75, 1776–80) ihres größten Entdeckers, des Captain James Cook. Seine Order war, das Stille Meer zwischen beiden Polen zu erforschen, daneben aber Aufgaben naturwissenschaftlicher Art zu lösen, die von der Royal Society gestellt worden waren. Kapitän Cook hatte demzufolge auf allen Reisen Wissenschaftler an Bord – Ethnologen, Astronomen, Botaniker –, vor allem aber fuhren als Vorläufer unserer Bildberichter von heute Maler und Zeichner mit, deren Skizzen später als Vorlagen für die ausgezeichneten Kupferstiche dienten, mit denen die Reiseberichte illustriert wurden.
Die Reisen des Kapitäns Cook waren also wissenschaftliche Exkursionen großen Stils, und so erlebte auch William Bligh die dritte Reise des großen Entdeckers, denn er war der »Pilot oder Lotse, ein Seemann, der seiner zuverlässigen Kenntnis der Reeden oder Häfen oder Küste wegen gebraucht wird, Schiffe ein- und auszuführen«, wie es in der »Geschichte der englischen Seereisen« von 1774 heißt. Kapitän Cook nennt ihn öfter in seinem Bericht, besonders wenn vom Boot aus ein schwieriges Fahrwasser oder ein Ankergrund in den Lagunen der Koralleninseln ausgelotet werden musste. Zwischen dem damals fünfzigjährigen Kapitän und dem fünfundzwanzigjährigen Lotsen muss auch wohl ein engeres Verhältnis bestanden haben, da die Tahitianer sie für Vater und Sohn hielten.
Der Leutnant Bligh war denn auch in vielem seinem verehrten Vorbild ähnlich, in der Härte und Strenge im Dienst, vor allem aber auch in der außerordentlichen Fähigkeit, sich nicht nur auf das Seemännische zu beschränken, sondern wie sein Lehrmeister auch ein merkwürdiges Interesse für Völkerkunde, Botanik, Astronomie und andere Wissenschaften zu zeigen, wie er auch immer darauf bedacht war, den Insulanern nützliche Dinge – Pflanzen, Zuchttiere, Geräte und Werkzeuge – für ein wenn auch manchmal nur vermeintlich besseres Leben zu überlassen.
Dieser vielseitig tüchtige Kapitän, der oft geradezu liebevoll für die braunen Kinder der Südsee sorgte, soll nun den an sich ungemein fesselnden Darstellungen in Romanen und Filmen zufolge ein unerbittlicher Tyrann und Schinder gewesen sein, der seine Leute buchstäblich bis aufs Blut reizte, sodass sie sich nur durch eine Meuterei vor seinen Unmenschlichkeiten retten konnten. Er zeigte sich aber nicht besser und nicht schlechter, als die Schiffskommandanten damals überhaupt waren oder sein mussten. Oft war es ein zusammengelaufenes, nicht selten auch zum Dienst gepresstes Volk, das auf den Schiffen der britischen Kriegsmarine leben und sterben musste. Es wurde durch die unerbittlichen Kriegsartikel bei der geringsten Insubordination mit einigen Dutzend Schlägen bedroht, bei Fahnenflucht und Meuterei sogar mit dem Strang.
Leutnant Bligh war auf seinem Schiff wie alle Kapitäne ein einsamer Mann, der ständig als Befehlshaber auftreten und sich auch als Vierunddreißigjähriger gegen seine zum Teil älteren Offiziere durchsetzen musste, sodass er sich mitunter rau und schroff im Umgang benahm und an Flüchen und Verwünschungen nicht sparte, aber ein Unmensch, als der er oft dargestellt wird, war er nicht. Dafür ein Beispiel: Als das Schiff vor Tahiti lag, desertierten der Waffenmeister Churchill und zwei Matrosen in einem Kutter, wofür sie nach den Kriegsartikeln gehängt werden konnten, aber Bligh bestrafte die Matrosen mit vier Dutzend und begnadigte den Waffenmeister wegen seiner bis dahin ausgezeichneten Führung zu zwei Dutzend Schlägen.
Vor allem aber war Kapitän Bligh ein äußerst tüchtiger Seemann. Er brachte die »Bounty« sicher nach Tahiti, obschon das Schiff in einem dreißigtägigen Kampf gegen die Stürme am Kap Hoorn fast aus den Fugen gegangen war. Diese Tüchtigkeit wurde noch dadurch überboten, dass er nach der Meuterei mit achtzehn Gefährten im überladenen Boot in achtundvierzig Tagen die Insel Timor erreichte. Ohne seinen unerschütterlichen Willen, seine Umsicht und auch seine Härte gegen seine Schicksalsgenossen und sich selbst wäre diese Wettfahrt mit dem Tod nie gelungen. Dabei vergaß er bei allen Strapazen, bei Hunger und Nässe nie, täglich die Lage und den Kurs zu bestimmen, ja er entdeckte sogar neue Inseln und trug sie in die Karte ein.
Das englische Volk feierte ihn nach seiner glücklichen Heimkehr als einen wahren Helden, um so mehr wurmte es ihn, dass gerade er, der pflichtbewusste Kapitän, nichtsahnend in seinem Bett von den Meuterern überrumpelt worden war, noch mehr aber, dass ihm, dem harten Pflichtmenschen, die Erfüllung der von der Admiralität gestellten Aufgabe nicht gelungen war. Mit großer Befriedigung und als Bestätigung seiner Tüchtigkeit nahm er deshalb die Order auf, im nächsten Jahr mit zwei Schiffen die Fahrt nach Tahiti zu wiederholen, aber er erkrankte unterwegs so schwer, dass er am Kap die Reise aufgeben und heimkehren musste.
Captain William Bligh
In den folgenden Jahren erhielt er Kommandos auf Kriegsschiffen, und nach der Seeschlacht auf der Reede von Kopenhagen im Jahre 1801