Die erste Durchquerung Australiens. Ludwig Leichhardt
die Sterne an dem unendlichen australischen Himmel entzündeten. Meistens weckte ihn schon gegen drei Uhr morgens die tief absinkende Nachtkühle. In diesen wachen Morgenstunden entwarf er den neuen Tagesplan der geologischen, zoologischen und botanischen Streifzüge, die er nach einer neuen Richtung wieder durchführen wollte.
Ein Mensch ohne Waffe, ohne böse Absicht wird bald im menschenleeren Busch als Freund aller Tiere und Vögel aufgenommen. So besuchten ihn neugierig bald jeden Morgen die tierischen Buschbewohner – der herrliche Leiervogel mit seinen Paradiesfedern, der dunkelfiedrige australische Truthahn, die blau schimmernde Lauftaube, manchmal sogar ein Wallaby, ein furchtlos äsendes Känguru. Über ihm flogen Schwärme schneeweißer Ibisse nach der dschungelfeuchten, tropischen Nordküste Australiens.
Leichhardt hatte stets gegen die empfindliche Morgenkälte mannslange Farne vor den Eingang seiner Baumhöhle gelehnt. Eines Nachts wirbelte der jähe Sturmstoß eines aufsteigenden Gewitters die noch nicht erloschene Glut des abendlichen Lagerfeuers vor der Baumöffnung jäh auf. Die längst schon dürren Farne fingen wie Zunder Feuer. Leichhardt blieb nur noch, mitten aus dem Schlummer geschreckt, die Zeit übrig, um durch den flammenden Baumspalt ins Freie zu springen. Ehe er noch etwas retten konnte, waren im Inneren sein Hut, sein einziges Hemd und sein Tagebuch mit allen täglichen Aufzeichnungen verbrannt. Anfangs lachte er trotzig zu dieser überstandenen Gefahr. Natürlich musste er nun die herrliche Wildnis verlassen. Bis er aber nach drei Tagen erschöpft und halb verhungert die Farm Glenton erreichte, hing ihm von dem ausgestandenen Sonnenbrand die Haut auf dem Rücken in Fetzen herab.
Natürlich stellte daraufhin Leichhardt seine Forschungen nicht ein. Diesmal entlieh er sich auf der Farm ein Reitpferd, mit dem er die hundert Kilometer nördlich von Newcastle liegende Landschaft der Moreton-Bay erforschen wollte. Auf seinem einsamen Ritt nordwärts traf er immer wieder hinter den fernsten Hügelwellen einen Ansiedler, der nichts sonst besaß als etliche Schafe und ein Graslager in einer primitiven Hütte, die er mit seiner Axt als dem einzigen Werkzeug gezimmert hatte. Mit diesem Siedler am äußersten Rand der bewohnten Welt teilte Leichhardt dann sein Lager unter einer gemeinsamen Wolldecke. Vielleicht schlief er neben einem Deportierten, der geflohen war oder dem die letzten Strafjahre erlassen worden waren.
Von solchen Einsiedlern erhielt er manchmal die besten Ratschläge, die ein Überleben in der leeren Wildnis erst möglich machten. Einer fragte ihn: »Kennst du den Bunyatree, den Bunya-Baum?« Leichhardt musste dies verwundert verneinen.
Biwak im Wald (Gemälde von Augustus Earle)
»Du findest ihn überall gegen Norden zu. Er sieht fast wie die Araukarie, der seltsame Nadelbaum im südlichen Australien, aus. Unter den Schuppen seiner Zapfen findest du die nahrhaftesten Kerne. Davon allein kannst du dich im »scrub« tagelang ernähren, wenn du sonst nichts mehr zum Nagen finden wirst. Aber beobachte den Bunya-Baum erst eine Weile aus der Ferne, bevor du hingehst und auf ihn kletterst! Die Horden der Schwarzen treffen sich unter einem Bunya gern und halten ihn natürlich für ihr Eigentum. Es ist schon geschehen, dass sie einen verirrten Schafhirten vom Baum herabgeholt, ihn gekillt und aufgefressen haben. Hoho, dann später haben die suchenden Reiter nur noch die abgenagten Knochen und seinen grinsenden Totenschädel gefunden!«
Nun, alles glaubte ja Leichhardt auch wieder nicht, was diese Squatter in ihrer Einsamkeit zu erzählen wussten. Doch er nahm sich vor, hier die Augen mehr offen zu halten als unten im Süden in den Liverpool-Bergen. Er wusste aus anderen Erzählungen, dass eher schon ein weißer Schafhirt getötet wurde, wenn er sich ein schwarzes Weib, das auf Wurzelsuche herumgestreift war, in seine Hütte mitgenommen hatte. In der Nacht darauf war die Horde geschlichen gekommen und hatte den Frauenräuber erschlagen. Ein solches unrühmliches Ende traf wohl hie und da einen der »Old hands« – wie die auf Bewährung freigelassenen Verbrecher genannt wurden. –
Ludwig Leichhardt wurde auf seinem Forschungsritt hinter der Moreton-Bay von einem tagelang unheilbar erscheinenden Durchfall begleitet, der ihn auf die Dauer so erschöpfte, dass er sich fast nicht mehr im Sattel aufrecht halten konnte. Er musste umkehren, um auf kürzestem Weg die Küste und Menschen zu erreichen. Er fürchtete bereits, dass er vorher noch bewusstlos vom Pferd sinken könnte und dann hilflos liegen bliebe.
In diesem Zustand traf er einen »Old hand«, der zu Fuß durch die Wildnis wanderte. Der Rauch seines niedrigen Lagerfeuers hatte das Pferd von selber dorthin geleitet. Der Mann blieb hocken und schaute fragend auf den blassen Reiter. Er half dem Kranken endlich aus dem Sattel und sagte nur: »Du hast Glück gehabt, weil du auf mich gestoßen bist! Du hast wohl fauliges Wasser ungekocht getrunken!«
Das mochte zutreffen. Leichhardt hatte sich bereits an die Wildnis akklimatisiert gefühlt und nicht mehr jeden Schluck Wasser abgekocht.
»Ich bin unentbehrlich für die Ansiedler hinter der Moreton-Bay!«, erzählte ihm der seltsame »Old hand«. »Ich bin Hüttenbauer, Bäcker, Schneider und Schmied, Tierdoktor und auch Wundheiler, wenn sich einer gefährlich verletzt hat und im Wundfieber schon auf den Tod daniederliegt! Du aber brauchst nur die Ly-Wurzel!«
Der geheimnisvolle Alte kochte Leichhardt den Absud einer heilkräftigen Wurzel. Und schon am nächsten Morgen blieb Leichhardts Hose wieder trocken. Im Busch entscheidet manchmal nur das Wissen um eine Wurzel das Überleben – wenn noch so harter Wille und Mut versagen!
Leichhardt fand am Rand der Wildnis manchmal auch eine Farm, auf der die Frau fehlte. Dann gab es statt eines sauberen Holzhauses nur eine schmutzige Bude auf vier eingerammten Pfählen, die den Bewohner vor der nächtlichen Bodenkälte, Schlangen und Ameisen schützen sollten. Ein paar Schafe genügen für den Lebensunterhalt mit Milch und Fleisch. Die übrigen Bedürfnisse des einst in der Gemeinschaft gesittet lebenden Menschen blättern wieder ab – zuletzt unterscheidet manchen Squatter nur noch die hellere Hautfarbe von dem australischen Ureinwohner.
Begleitet jedoch auch eine Frau den Mann in die Wildnis, wächst die abgelegene Farm förmlich von selber in eine menschliche Ordnung hinein. Möbel, Geschirr werden in die Einsamkeit geschafft; Leichhardt entdeckte sogar noch Bücher in Farmhütten, hinter denen alle Pfade endeten …
Ludwig Leichhardt lebte zwanzig Monate lang forschend und immer fernere Landschaften erkundend hinter den Küstenregionen zwischen dem 34. und dem 25. südlichen Breitengrad. Nach seiner späteren Schätzung legte er dabei rund 4000 Kilometer allein und stets ohne Begleiter im Sattel zurück. Er hatte sich in dieser langen Zeit zu einem erfahrenen und ausdauernden »Buschläufer« entwickelt. Allerdings hatten sich nach diesem langen Aufenthalt im Busch auch seine Haltung und sein Aussehen verändert. Seine große, dürre Gestalt bewegte sich etwas vornüber geneigt. Die Ränder seiner Hose hingen zerfranst und ausgerissen, sein Wollhemd hatte mehr Flicken als den früheren roten Stoff. Mancher ehrliche Squatter erschrak zuerst, wenn der hagere Besucher sich durch die Tür bückte, weil er ihn für einen entflohenen Deportierten hielt, den wohl nur der Hunger wieder aus dem menschenleeren »scrub« in bewohnte Gegenden zurückgetrieben hatte.
Ludwig Leichhardts letzter Forschungs-Ausritt galt den Darling-Downs, einem noch unbegangenen Hochland hinter einem Steilanstieg von 500 Metern über der Küstenebene. Hinter der Einsattelung des Cunningham-Passes war gegen den fernen Westen hin des weißen Mannes Land zu Ende.
Als Leichhardt die Passhöhe erreicht hatte, suchte er sich in der völlig pfadlosen Landschaft eine windfreie Stelle für sein erstes Nachtlager. Zum Sonnenuntergang im Südwesten umfloss die in der Ferne aufsteigenden Bergketten ein roter Purpurnebel, als flatterten Brände aus dunstigen Tälern empor. Er legte sich in der Gewissheit auf den harten, trockenen Erdboden zum Schlafen hin, dass noch kein Weißer vor ihm diese unerhörte Naturerscheinung über der lockenden und auch wieder drohenden Tiefe Australiens erlebt hatte. Wie ein unwiderstehlich starker Magnet zog ihn diese ferne Welt an!
Aber als er am nächsten Morgen erwachte, war sein Reitpferd, das er nur leicht angepflockt hatte, fort und nicht mehr aufzufinden. Sein größtes Versäumnis war, dass er abends dem Pferd die leichten Sattelpacken nicht abgenommen hatte – er war einfach zu rasch in den Schlaf gesunken. Ohne Nahrungsmittel und nur mit seinem Gewehr konnte