Das Lob der Torheit. Erasmus von Rotterdam

Das Lob der Torheit - Erasmus von Rotterdam


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mancherlei anstellen, so kommt noch dazu, daß Erasmus den äußerst praktischen Einfall hatte, seine Lobrede der Torheit selbst in den Mund zu legen: wer will da den Desiderius Erasmus bei dem behaften, was einer solchen unzurechnungsfähigen Person entfährt?

      So tritt denn die Torheit frisch und munter vor die große Narrengemeinde zu ihren Füßen, die Menschheit, und stellt die These auf, daß sie, unterstützt durch ihre dienstbaren Geister, das Universum beherrsche und im Gang halte; sie beweist das mit einer überraschenden Fülle von Beispielen aus dem Leben der Einzelnen, der verschiedenen Nationen, Stände und Berufe und belegt es aus den Schriften der Philosophen und der Bibel, bis sie das Kunststück fertiggebracht hat, selbst in dem mystischen Erlebnis des verzückten Christen ihr eigenes Werk nachzuweisen, um nach dieser unüberbietbaren Leistung jäh abbrechend ihre Toren wieder in ihr schönes Leben hinaus zu entlassen.

      Wir wissen, daß Erasmus mit seinem Büchlein, mehr noch zur Freude der Verleger als zu seiner eigenen, einen glänzenden Erfolg erzielt hat. Er verdankte ihn ohne Zweifel vornehmlich der Polemik gegen die damaligen Zustände im Mönchtum, an den theologischen Fakultäten und im hierarchischen System. Auch wir werden diese Stellen noch immer mit Vergnügen lesen; aber neben der zeitlich bedingten Satire enthält das Werk genug Partien von allgemein gültigem Wert und einen solchen Reichtum an Beziehungen, daß es ganz verschieden gearteten Lesern irgendwie Genuß und Freude zu bieten vermag. Der eine freut sich an den kraftvollen, bei größter Knappheit anschaulichen Schilderungen, der andere an den gescheiten Seitenbemerkungen und Sentenzen, der dritte an den witzigen Einfällen und der kaum versiegenden Munterkeit, der vierte hört mit Befriedigung das Motiv von der befreienden Kraft der Vernunft aus der Umkehrung heraus, der fünfte lauscht lieber der Botschaft vom Glück des natürlichen, frohen, vertrauenden Menschenkindes, das in seiner Einfalt ahnen darf, was kein Verstand der Verständigen sieht.

      Der Übersetzer aber gesteht, daß neben diesen inhaltlichen Werten auch die sprachliche Form ihm die Mühe zur Freude gemacht hat, wiewohl gerade sie ihn oft genug seine eigenen Mängel peinlich empfinden ließ, dieser Reichtum des Wortschatzes, die Eleganz und Treffsicherheit der Formulierung, der vollendete Rhythmus des Satzbaus und bei aller Kunst die Selbstverständlichkeit und Lebendigkeit dieses Lateins, das der Fülle übernommenen Sprachgutes eine durchaus einheitliche und originelle Gestaltung zu geben weiß und dieses typische Erzeugnis des Humanismus großen Leistungen der Antike auch im Formalen als ebenbürtigen Spätling zur Seite stellt.

       Dr. Alfred Hartmann

      WIDMUNGSSCHREIBEN

       Erasmus von Rotterdam an seinen lieben Thomas Morus

      Als ich vor einiger Zeit von Italien wieder nach England zog, wollte ich die langen Stunden, die im Sattel zu verbringen waren, nicht alle mit banaler, banausischer Unterhaltung totgeschlagen haben und ließ mir darum dies und das aus unserm gemeinsamen Studiengebiet durch den Kopf gehen oder schwelgte in der Erinnerung an die ebenso liebenswürdigen wie gelehrten Freunde, die ich in England wiederzufinden hoffte. Dabei pflegte mir dein Bild, lieber Morus, zu allererst vor die Seele zu treten, denn in der Ferne gedachte ich des Fernen mit nicht weniger Behagen, als mir der Verkehr von Angesicht zu Angesicht behagt hatte, das Schönste, meiner Treu, das mir das Leben je bescherte. Da ich nun unbedingt etwas treiben wollte, eine ernste Arbeit aber unterwegs nicht wohl möglich schien, kam es mir in den Sinn, zur Unterhaltung eine Lobrede auf die Moria, wie die Griechen sagen, auf die Torheit zu verfertigen.

      »Eine schöne Muse, die dir solches eingab!« wirst du sagen. Nun, vor allem danke ich die Idee deinem Namen Morus, der dem Namen der Moria geradeso ähnlich ist, wie du selbst ihrem Wesen unähnlich; man kann aber – darüber ist alles sich einig – unähnlicher gar nicht sein. Und dann glaubte ich, ein solches Spiel der Phantasie werde besonders dir gefallen; denn ein Scherz wie dieser – er ist, will ich hoffen, weder vulgär noch überall witzlos – machte dir stets großen Spaß, und ohnehin schaust du das menschliche Treiben mit den Augen eines Demokrit an, nur daß du bei allem scharfen Verstand, der dich weit von den landläufigen Ansichten wegführt, zugleich der umgänglichste, gemütlichste Mensch bist, der doch wieder mit allen auf alles einzugehen vermag und liebt.

      So wird dir denn diese kleine Stilübung als Andenken an deinen Studienfreund nicht unwillkommen sein. Du wirst aber auch deine Hand über sie halten, denn dir ist sie gewidmet und dir gehört sie jetzt, nicht mir. Es werden sich nämlich wohl bald Kritikaster finden, die dem kleinen Ding nachreden, es sei teils zu wenig ernst und schicke sich nicht für einen Theologen, teils sei es zu boshaft und widerspreche dem Gebot christlicher Milde; den Ton der alten Komödie oder eines neuen Lukian höre man daraus, und nichts sei vor meiner bösen Zunge sicher.

      Allein, wer das Thema zu wenig ernst, zu spielerisch findet, möge beachten, daß ich nicht der erste bin, der solche Wege geht: berühmte Autoritäten haben schon längst dasselbe getan. Vor vielen Menschenaltern sang so Homer vom Froschmäuslerkrieg, schrieb Virgil von der Schnake, vom Kräuterkloß, und Ovid vom Nußbaum; den Menschenschlächter Busiris feierten Polykrates und Isokrates; das Unrecht verherrlichte Glaukon, den Thersites und das Fieber Favorin; die Kahlköpfigkeit pries Synesius, die Fliege und den Parasiten Lukian; nicht ernst meinte Seneca seine Apotheose des Claudius und Plutarch das Gespräch zwischen Gryllus und Odysseus; ein Esel ist der Held im Roman des Apulejus, und für das Schwein Grunnius Corocotta setzte ein Unbekannter ein Testament auf, das auch der hl. Hieronymus erwähnt. So mögen sich denn meine gestrengen Richter bloß vorstellen, ich hätte, statt meine Feder spazieren zu lassen, zum Vergnügen eine Partie Schach gespielt oder ein Rittchen auf dem Besenstiel gewagt. Es wäre doch höchst ungerecht, jedem Beruf seine Erholung im Spiele zu gönnen, nur nicht dem wissenschaftlich Tätigen, selbst dann nicht, wenn dieses Spiel auf ernste Gedanken führt und ein spaßhafter Stoff so behandelt wird, daß jeder Leser, der nicht auf den Kopf gefallen ist, daraus erheblich mehr Gewinn zieht als aus den langweilig-feierlichen Betrachtungen gewisser Schriftsteller, von denen der eine in mühselig zusammengestoppelter Rede die Rhetorik oder die Philosophie preist, der andere einem Fürsten lobhudelt, der dritte den Türkenkrieg predigt, der vierte die Zukunft kündet, der fünfte neue Probleme zum Streit um des Kaisers Bart ausklügelt. Ernstes ins Lächerliche ziehen, ist freilich plump; nichts aber ist feiner, als Lächerliches so gestalten, daß nichts weniger als Lächerliches herausschaut. Ob dies mir gelang, mögen andere entscheiden; doch wenn nicht Selbstgefälligkeit mich narrt, darf ich wohl sagen: der Torheit galt mein Hymnus, aber ganz töricht ist er nicht.

      Auf den Vorwurf der Bosheit wäre zu erwidern, daß man dem Witz noch stets erlaubt hat, sich ungestraft über das Treiben der Leute lustig zu machen, solange er nicht anfängt, Gift und Galle zu spritzen. Um so stärker überrascht mich die Empfindlichkeit der modernen Ohren, die nichts mehr ertragen außer hochtrabenden Titulaturen, oder jene verkehrte Pietät, die schneller die gröbste Lästerung Christi verzeiht als das feinste Tröpfchen Spott, das einen Prälaten oder Fürsten trifft, zumal in Sachen Finanzen. Wer aber als Kritiker menschlichen Lebens keinen einzigen Namen nennt, ist der nun wirklich ein Ehrabschneider und nicht eher ein Lehrer und Erzieher? Und in wieviel Gestalten bin ich nicht selber mein Opfer? Wer ferner jeden Typus an die Reihe nimmt, zeigt damit, daß der Hieb nicht einem bestimmten Menschen gilt, sondern den Untugenden allgemein. Schreit also einer, er fühle sich getroffen, so verrät er nur ein schlechtes Gewissen oder Angst. Ganz andere Freiheiten, ja Frechheiten erlaubte sich Hieronymus, und oft waren ihm auch Namen nicht heilig. Ich aber vermied alles Persönliche und mäßigte den Ausdruck so, daß jeder verständige Leser merkt, wieviel mehr ich unterhalten als wehtun wollte; nirgends rührte ich jenen dunkeln Bodensatz des Lasters auf wie Juvenal, und absichtlich nahm ich eher das Lächerliche als das Häßliche vor. Wen auch das nicht beruhigt, der sage sich zumindest, es sei schön, von der Torheit Schelte zu kriegen; ließ ich die auftreten, so mußte sie eben sprechen, wie es zur Rolle paßt.

      Doch all das weißt du besser als ich, denn ein so glänzender Anwalt versteht auch eine Sache, die nicht am besten steht, aufs beste zu vertreten. So leb denn wohl, beredter Morus, und verteidige klug deine Moria.

      Geschrieben auf dem Lande, am 9. Juni [1511].

      Конец


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