Der Golem. Gustav Meyrink

Der Golem - Gustav Meyrink


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wie schillernder Dunst in der Luft und gaben der nächsten Raum. Jede hoffte eine kleine Weile, daß ich sie erwählen würde und auf den Anblick der Kommenden verzichten.

      Manche waren unter ihnen, die gingen prunkend einher wie Pfauen, in schimmernden Gewändern, und ihre Schritte waren langsam und gemessen.

      Manche wie Königinnen, doch gealtert und verlebt, die Augenlider gefärbt – mit dirnenhaftem Zug um den Mund und die Runzeln mit häßlicher Schminke verdeckt.

      Ich sah an ihnen vorbei und nach den kommenden, und mein Blick glitt über lange Züge grauer Gestalten mit Gesichtern, so gewöhnlich und ausdrucksarm, daß es unmöglich schien, sie dem Gedächtnis einzuprägen.

      Dann brachten sie ein Weib geschleppt, das war splitternackt und riesenhaft wie ein Erzkoloß.

      Eine Sekunde blieb das Weib vor mir stehen und beugte sich nieder zu mir.

      Ihre Wimpern waren so lang wie mein ganzer Körper, und sie deutete stumm auf den Puls ihrer linken Hand. Der schlug wie ein Erdbeben, und ich fühlte, es war das Leben einer ganzen Welt in ihr.

      Aus der Ferne raste ein Korybantenzug heran.

      Ein Mann und ein Weib umschlangen sich. Ich sah sie von weitem kommen, und immer näher brauste der Zug.

      Jetzt hörte ich den hallenden Gesang der Verzückten dicht vor mir, und meine Augen suchten das verschlungene Paar.

      Das aber hatte sich verwandelt in eine einzige Gestalt und saß, halb männlich, halb weiblich – ein Hermaphrodit –, auf einem Throne von Perlmutter.

      Und die Krone des Hermaphroditen endete in ein Brett aus rotem Holz; darein hatte der Wurm der Zerstörung geheimnisvolle Runen genagt.

      In einer Staubwolke kam eilig hinterdreingetrappelt eine Herde kleiner, blinder Schafe: die Futtertiere, die der gigantische Zwitter in seinem Gefolge führte, seine Korybantenschar am Leben zu erhalten.

      Zuweilen waren unter den Gestalten, die aus dem unsichtbaren Munde strömten, etliche, die kamen aus Gräbern – Tücher vor dem Gesicht.

      Und blieben sie vor mir stehen, ließen sie plötzlich ihre Hüllen fallen und starrten mit Raubtieraugen hungrig auf mein Herz, daß ein eisiger Schreck mir ins Hirn fuhr und sich mein Blut zurückstaute wie ein Strom, in den Felsblöcke vom Himmel herniedergefallen sind – plötzlich und mitten in sein Bette.

      Eine Frau schwebte an mir vorbei. Ich sah ihr Antlitz nicht, sie wandte es ab, und sie trug einen Mantel aus fließenden Tränen. Maskenzüge tanzten vorüber, lachten und kümmerten sich nicht um mich.

      Nur ein Pierrot sieht sich nachdenklich um nach mir und kehrt zurück. Pflanzt sich vor mich hin und blickt in mein Gesicht hinein, als sei es ein Spiegel.

      Er schneidet so seltsame Grimassen, hebt und bewegt seine Arme, bald zögernd, bald blitzschnell, daß sich meiner ein gespenstiger Trieb bemächtigt, ihn nachzuahmen, mit den Augen zu zwinkern wie er, mit den Achseln zu zucken und die Mundwinkel zu verziehen.

      Da stoßen ihn ungeduldig nachdrängende Gestalten zur Seite, die alle vor meine Blicke wollen.

      Doch keines der Wesen hat Bestand.

      Gleitende Perlen sind sie, auf eine Seidenschnur gereiht, die einzelnen Töne nur einer Melodie, die dem unsichtbaren Munde entströmen.

      Das war kein Buch mehr, das zu mir sprach. Das war eine Stimme. Eine Stimme, die etwas von mir wollte, was ich nicht begriff, wie sehr ich mich auch abmühte. Die mich quälte mit brennenden, unverständlichen Fragen.

      Die Stimme aber, die diese sichtbaren Worte redete, war abgestorben und ohne Widerhall.

      Jeder Laut, der in der Welt der Gegenwart erklingt, hat viele Echos, wie jegliches Ding einen großen Schatten hat und viele kleine Schatten, doch diese Stimme hatte keine Echos mehr – lange, lange schon sind sie wohl verweht und verklungen –

      Und bis zu Ende hatte ich das Buch gelesen und hielt es noch in den Händen, da war mir, als hätte ich suchend in meinem Gehirn geblättert und nicht in einem Buche! Alles, was mir die Stimme gesagt, hatte ich, seit ich lebte, in mir getragen, nur verdeckt war es gewesen und vergessen und hatte sich vor meinem Denken versteckt gehalten bis auf den heutigen Tag.

      Ich blickte auf.

      Wo war der Mann, der mir das Buch gebracht hatte? Fortgegangen?!

      Wird er es holen, wenn es fertig ist?

      Oder sollte ich es ihm bringen?

      Aber ich konnte mich nicht erinnern, daß er gesagt hätte, wo er wohne.

      Ich wollte mir seine Erscheinung ins Gedächtnis zurückrufen, doch es mißlang.

      Wie war er nur gekleidet gewesen? War er alt, war er jung? – und welche Farben hatten sein Haar und sein Bart gehabt?

      Nichts, gar nichts mehr konnte ich mir vorstellen. – Alle Bilder, die ich mir von ihm schuf, zerrannen haltlos, noch ehe ich sie im Geiste zusammenzusetzen vermochte.

      Ich schloß die Augen und preßte die Hand auf die Lider, um einen winzigen Teil nur seines Bildnisses zu erhaschen.

      Nichts, nichts.

      Ich stellte mich hin, mitten ins Zimmer, und blickte auf die Tür, wie ich es getan – vorhin, als er gekommen war –, und malte mir aus: Jetzt biegt er um die Ecke, jetzt schreitet er über den Ziegelsteinboden, liest jetzt draußen mein Türschild »Athanasius Pernath«, und jetzt tritt er herein. – Vergebens.

      Nicht die leiseste Spur einer Erinnerung, wie seine Gestalt ausgesehen, wollte in mir erwachen.

      Ich sah das Buch auf dem Tische liegen und wünschte mir im Geiste die Hand dazu, die es aus der Tasche gezogen und mir gereicht hatte.

      Nicht einmal, ob sie einen Handschuh getragen, ob sie entblößt gewesen, ob jung oder runzlig, mit Ringen geschmückt oder nicht, konnte ich mich entsinnen.

      Da kam mir ein seltsamer Einfall.

      Wie eine Eingebung war es, der man nicht widerstehen darf.

      Ich zog meinen Mantel an, setzte meinen Hut auf und ging hinaus auf den Gang und die Treppen hinab. Dann kam ich langsam wieder zurück in mein Zimmer. Langsam, ganz langsam, so wie er, als er gekommen war. Und als ich die Tür öffnete, da sah ich, daß meine Kammer voll Dämmerung lag. War es denn nicht heller Tag noch gewesen, als ich soeben hinausging?

      Wie lange mußte ich da gegrübelt haben, daß ich nicht bemerkte, wie spät es ist!

      Und ich versuchte, den Unbekannten nachzuahmen in Gang und Mienen, und konnte mich an sie doch gar nicht erinnern.

      Wie sollte es mir auch glücken, ihn nachzuahmen, wenn ich keinen Anhaltspunkt mehr hatte, wie er ausgesehen haben mochte!

      Aber es kam anders. Ganz anders, als ich dachte.

      Meine Haut, meine Muskeln, mein Körper erinnerten sich plötzlich, ohne es dem Gehirn zu verraten. Sie machten Bewegungen, die ich nicht wünschte und nicht beabsichtigte. Als ob meine Glieder nicht mehr mir gehörten! Mit einem Male war mein Gang tappend und fremdartig geworden, als ich ein paar Schritte im Zimmer machte. Das ist der Gang eines Menschen, der beständig im Begriffe ist, vornüber zu fallen, sagte ich mir.

      Ja, ja, ja, so war sein Gang!

      Ganz deutlich wußte ich: So ist er.

      Ich trug ein fremdes, bartloses Gesicht mit hervorstehenden Backenknochen und schaute aus schrägstehenden Augen.

      Ich fühlte es und konnte mich doch nicht sehen.

      Das ist nicht mein Gesicht, wollte ich entsetzt aufschreien, wollte es betasten, doch meine Hand folgte meinem Willen nicht und senkte sich in die Tasche und holte ein Buch hervor.

      Ganz so, wie er es vorhin getan hatte –

      Da plötzlich sitze ich wieder ohne Hut, ohne Mantel am Tische und bin ich. Ich, ich.

      Athanasius Pernath.

      Grausen


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