Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme. Galileio Galilei
vor nachträglicher kirchlicher Verfolgung umso sicherer seien. An der Spitze dieser Zensurbehörde steht der sogenannte Magister Sacri Palatii; in diesem Falle nahm jedoch die Prüfung des Buches nicht der Palastmeister selbst vor, sondern der durch seine ungewöhnliche Gelehrsamkeit bekannte DominikanerN i c c o l òR i c c a r d i ,genannt Padre Mostro. Am 2. Februar 1623 stellte dieser dem Werke ein höchst schmeichelhaftes Zeugnis aus; er wurde kurz darauf in Florenz auch persönlich mit Galilei bekannt und spielte späterhin, als er selbst Magister Sacri Palatii geworden war, in dessen Leben noch eine wichtige Rolle. Während des Drucks des Saggiatore trat ein Wechsel im Pontifikat ein; der Kardinal Maffeo Barberini, der sich nunmehrU r b a nVIII. nannte, wurde am 6. August 1623 zum Papste gewählt. Er war mit Galilei persönlich bekannt, schätzte ihn hoch, ja er hatte seine astronomischen Entdeckungen vormals in schwungvollen Oden besungen. Ihm wurde die Widmung des Saggiatore angeboten und er nahm sie an. Im Oktober 1623 erschien der »Goldwäger« auf dem Büchermarkte. Er erregte schon durch die klassische Form, die ihn zu einem Meisterwerke italienischer Prosa stempelt, großes Aufsehen; aber auch wissenschaftlich interessante Einzelheiten bringt er in großer Zahl, zum Teil solche, die im Dialog zitiert und nochmals besprochen werden.80 Besondere Beachtung verdienen wiederholte Äußerungen über die Frage der Weltsysteme, die einer boshaften Provokation der Libra astronomica ihren Ursprung verdanken81 und die wiederum mit dem Indexdekret allenfalls vereinbar sind, nicht aber mit einem an Galilei ergangenen Sonderverbote. Namentlich wird an einer Stelle (Op. IV, 304) die von Kopernikus angenommene »dritte« Bewegung, die sogenannte Deklinationsbewegung, welche vielfach besonderen Anstoß erregt hatte, in ihrer Bedeutung klargelegt und durch Hinweis auf einen Versuch, ganz wie im Dialog82, erläutert. In der Einleitung finden sich scharfe Ausfälle gegen Scheiner, ohne dass dessen Name genannt würde; gerade um jene Zeit war derselbe aus Deutschland nach Rom gekommen und hatte dort wahrscheinlich sich als ersten Entdecker der Sonnenflecken geriert. Wie wütend die Jesuiten über das neu erschienene Werk Galileis waren, so sehr auch Grassi seinen Zorn zu verbergen suchte, geht namentlich daraus hervor, dass man trotz der Approbation durch die römische Zensur, trotz der Widmung an den Papst, das Buch zu denunzieren wagte, dass man darauf hinarbeitete, Galilei abermals in einen Inquisitionsprozess zu verwickeln und sein Buch verbieten zu lassen; diese Machinationen blieben indessen für jetzt erfolglos.
Das anstandslos dem Saggiatore erteilte Imprimatur und die freundliche Gesinnung des neuen Papstes, der als Freund und Beschützer von Künsten und Wissenschaften bekannt war, und der auch als Kardinal Galilei seine Gewogenheit mehrfach nicht nur mit Worten versichert, sondern auch durch die Tat bewiesen hatte, belebten dessen Hoffnungen. Er hatte schon einige Zeit vor der Neubesetzung des päpstlichen Stuhles an einer Erweiterung seiner Abhandlung über Ebbe und Flut gearbeitet.83 Da jetzt die Verhältnisse äußerst günstig zu liegen schienen, da Galileis Freunde Cesarini und Ciampoli, beide Mitglieder der Accademia dei Lincei, mit einflussreichen Stellungen am päpstlichen Hofe bedacht wurden, da ebenso Cesi, der Begründer und Leiter der Akademie, hoch in der Gunst Urbans stand, so konnte Galilei an die Fertigstellung seines immer wieder aufgeschobenen Werkes über die Weltsysteme denken. Es schien der Zeitpunkt gekommen, wo man versuchen durfte, das Verbot der kopernikanischen Lehre rückgängig zu machen; denn Urban war zwar nie ein Kopernikaner gewesen, billigte aber, wie aus späteren Äußerungen hervorgeht84, das Indexdekret keineswegs. Die Freunde bestürmten daher Galilei – und sie gossen damit nur Öl in das Feuer, das in ihm nie erloschen war – nach Rom zu kommen, um dem Papste persönlich seine Huldigung darzubringen und bei dieser Gelegenheit für die Aufhebung des Dekrets vom 5. März 1616 tätig zu sein. Galilei ging denn auch wirklich im April 1624 nach der ewigen Stadt, wurde vom Papste sehr freundlich empfangen, scheint aber nicht direkt mit demselben über Kopernikus und seine Sache verhandelt zu haben, sondern nur durch Vermittlung des Kardinals Hohenzollern. Ein sachliches Ergebnis erzielte er nicht, wenngleich ihm die Genugtuung wurde, in einem Breve des Papstes an den Großherzog – im Jahre 1621 war auf Cosimo II. der minderjährige Ferdinand II. gefolgt – sein Lob in überschwänglicher Weise erschallen zu hören.
Da eine Aufhebung des Verbots der Lehre von der Erdbewegung nicht zu erreichen war, so hatte sich Galilei von neuem die Frage vorzulegen, wie er über die Weltsysteme sich äußern könne, ohne wider das Dekret zu verstoßen. Noch während seines Aufenthaltes in Rom machte er einen Versuch in dieser Richtung. Es bot sich ihm dazu folgender Anlass. Im Jahre 1616 hatte Francesco Ingoli, Rechtsanwalt aus Ravenna, an Galilei, der damals in Rom weilte und für Kopernikus agitierte, eine Schrift in Briefform geschickt85, worin er unter Versicherung seiner Hochachtung für den Entdecker der Jupiterstrabanten die kopernikanische Lehre bekämpfte. Abgesehen von einigen plumpen, dem Verfasser speziell eigentümlichen Schnitzern enthielt die Broschüre nur die landläufigen, Ptolemäus und Tycho entlehnten Argumente. Galilei hatte damals entweder das Schreiben für unwert einer Antwort gehalten oder den Zeitpunkt für wenig geeignet geachtet: Kurz, er schwieg acht Jahre. Bei seiner diesmaligen Anwesenheit in Rom aber entschloss er sich, dem Verfasser, der inzwischen Sekretär der Congregation de propaganda fide geworden war, zu antworten, hauptsächlich wohl, wie gesagt, um sich einen modus scribendi zu eigen zu machen, wie er ihn in der Folgezeit brauchte, wenn er das lang geplante Werk über die Weltsysteme zur Ausführung bringen wollte. Dies Antwortschreiben, welches das Datum »Rom, im Frühjahr 1624« trägt, ist für uns insofern von Wichtigkeit, als es eine Vorstudie zum Dialoge bildete. Als Zweck seiner Erörterungen wird von Galilei dabei – in ähnlicher Weise wie in dem Briefe an den Erzherzog Leopold und wie später in der Vorrede zum Dialog – die Absicht angegeben, den ausländischen Ketzern zu zeigen, dass man die naturwissenschaftlichen Gründe zu Gunsten der kopernikanischen Lehre in Italien sehr wohl kenne, dass also das Indexdekret nur aus theologischen Gründen erlassen worden sei. Auch sonst finden wir hier vielfach dieselben Gedanken, zum Teil mit fast denselben Worten ausgedrückt, wie im Dialog. Andererseits kommt auch manches zur Sprache, was verwunderlicherweise und wohl nur aus Versehen in dem größeren Werke fehlt, wie die ptolemäischen Gründe für die zentrale Stellung der Erde im Weltall, über welche Galilei schon in dem Briefe an Mazzoni vom Jahre 1597, wiewohl von etwas anderen Gesichtspunkten aus, gehandelt hatte. Andere Erörterungen freilich hat Galilei im Dialog offenbar mit Absicht unterdrückt, weil sie sich gegen gar zu kindische Fehler Ingolis richten. So hatte dieser gemeint, dass die kleinere Parallaxe der Sonne, die größere des Mondes mit der kopernikanischen Lehre unvereinbar sei, weil ihr zufolge die Sonne als Weltzentrum vom Firmamente weiter abstehe als der Mond; je entfernter aber ein Himmelskörper vom Firmament sei, umso größer müsse seine Parallaxe ausfallen. Was die Übereinstimmungen zwischen dem Schreiben an Ingoli und dem Dialoge betrifft, so ist z. B. zu erwähnen, wie in beiden die Hinneigung des Verfassers zu der Annahme einer unendlich ausgedehnten Welt hervortritt86, jener gefährlichen von Giordano Bruno vertretenen Lehre, die Kopernikus selbst und ebenso Kepler nicht billigten. Ein anderer Punkt ist der Hinweis auf die ungeheure Überschätzung der scheinbaren Fixsterngröße, wie sie alle Astronomen, Tycho nicht ausgenommen, sich zuschulden hatten kommen lassen; eine falsche Grundlage, auf der ein ganzes Gebäude falscher Folgerungen errichtet worden war.87 Mit verdientem Spott überschüttet Galilei den häufig von seinen Gegnern ausgesprochenen Gedanken, dass nach kopernikanischer Lehre das Firmament unverhältnismäßig groß sei, dass bei einer solchen Entfernung desselben die Fixsterne nicht die Einwirkung auf die Erde üben könnten, die sie faktisch üben. Wie es Galileis durchweg festgehaltener Brauch ist, nur das Nächstliegende, das für den unmittelbaren Zweck Notwendige anzuführen, so spricht er auch hier nicht etwa den Zweifel aus – den er gewiss als berechtigt ansah –, ob die Einwirkung der Fixsterne auf die Erde überhaupt in etwas anderem bestehe als in der geringen Lichtwirkung; er weist vielmehr nur den logischen Fehler eines derartigen Raisonnements nach, er sagt: Um behaupten zu können, dass die kopernikanische Entfernung der Fixsterne zu groß sei, müsse man zuvor wissen, dass die tatsächlich geübte Wirkung nicht bei der kopernikanischen, sondern bei der ptolemäischen Entfernung zustande komme.88 Im Dialog wird das Argument Ingolis in ganz ähnlicher Weise abgetan, nur dass sich dort die Wiederlegung gegen Scheiner richtet, der schon vor Ingoli in seinen Disquisitiones mathematicae dieselbe Überlegung angestellt hatte.89 Ferner kommt, wie nicht anders zu erwarten, der senkrechte Fall als Scheinargument der Peripatetiker gegen Kopernikus zur Sprache, und wie im Dialog richtet Galilei seine Angriffe sowohl gegen die zu Grunde liegende