Der Schützling. Dirk Koch

Der Schützling - Dirk Koch


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wird knapp verhindert, als die sowjetischen Frachter mit ihrer Raketenladung vor Kuba beidrehen und zurückfahren.

       Im Jahr zuvor hat der Bau der Berliner Mauer die Ost-West-Spannungen schon gefährlich verschärft. Die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik sind Feinde. Die Masse der Nuklearwaffen, die auf ihren Territorien gegeneinander gerichtet sind, machen die beiden Deutschlands zur potenziell tödlichsten Gegend der Welt. Die DDR hat Spione in allen Lebensbereichen der Bundesrepublik. Markus Wolf, Chef des Ostberliner Auslandsgeheimdienstes beim Ministerium für Staatssicherheit, schafft die Grundlage für eine der außergewöhnlichsten und erfolgreichsten Spionageunternehmung, als er einen Agenten namens Adolf Kanter aus Plaidt in der Voreifel auf die junge europäische Bewegung im westdeutschen Staat und auf einen Jungpolitiker namens Helmut Kohl ansetzt. Der Metzgersohn mit Volksschulabschluss wird zum bestvernetzten und kenntnisreichsten Stasi-Spion im Politikmilieu der Bundesrepublik aufsteigen, der mitmischt bei der Korruption westdeutscher Politik und Politiker. Er erfährt (und berichtet nach Ostberlin) so viel Kompromittierendes über die politische Führung der Bundesrepublik, dass ihn seine Mitwisserschaft vor dem Zugriff der bundesdeutschen Justiz schützt.

       Kanter hat sich mit dem ebenfalls in Sachen Europa engagierten Manager Eberhard von Brauchitsch angefreundet, einem Erzkonservativen, der familiär eng mit dem milliardenschweren Flick-Industrieimperium verbunden und mit dem CDU-Politiker Kohl befreundet ist. Der Spross eines schlesischen Adelsgeschlechts wird zum Drahtzieher des bis heute größten Politikskandals im Nachkriegsdeutschland werden: der Parteispenden- und Flick-Affäre. Seinen Freund Kanter führt von Brauchitsch ein in die höchsten Kreise der westdeutschen Industrie und befördert ihn auf die Schlüsselposition eines Bonner Flick-Lobbyisten, von der aus der DDR-Spion tiefen Einblick hat in das westdeutsche Korruptionsgeflecht.

       Zu vor hat Manager von Brauchitsch, versessen darauf, politische Entscheidungen zu seinen Gunsten und denen seiner Arbeitgeber zu beeinflussen, in Komplizenschaft mit Kanter ein System illegaler Schmiergeldaktionen und Steuertricksereien entwickelt und getestet, das später im Millionenstil betrieben wird. Gelegenheit dazu bietet ein von Kanter gegründetes Europa-Haus in Marienberg im Westerwald, eine internationale Informations- und Bildungsstätte für Jugendliche und Erwachsene. Die als gemeinnützig anerkannte Institution, über die Spenden steuerbegünstigt fließen, bietet Kanter mannigfache Möglichkeiten zum Ausbau seiner Beziehungen in Europa. Kanter und von Brauchitsch bedienen sich dabei der ebenfalls als gemeinnützig anerkannten »Europäischen Vereinigung für gegenseitigen Meinungsaustausch«, um Spenden einzusammeln, vorgeblich zur Unterstützung des Europa-Hauses. Tatsächlich erreichen die Gelder das Europa-Haus aber nicht, denn die »Europäische Vereinigung« hat nichts mit dem Europa-Haus zu tun. Die eingesammelten Spendengelder verschwinden in ganz anderen Richtungen, zum Beispiel in Richtung des aufstrebenden CDU-Manns Helmut Kohl und seinen Unterstützern in der Christenpartei.

       So verknüpfen sich die Karrieren des Quartetts Kohl, Kanter, Wolf und von Brauchitsch. Kohl steigt in der CDU weiter auf, auch dank der Geldspritzen des Duos Kanter/von Brauchitsch. Dem Adligen gelingt dank der finanziellen »Pflege der Bonner Landschaft «, wie er seine Schmiererei nennt, der Aufstieg an die Spitze des Flick-Konzerns. Kanter gelangt in eine führende Position in der »Politischen Stabstelle der Geschäftsführung« des Milliardenkonzerns. Und Wolf festigt auch mittels der aufschlussreichen Berichte seiner Topquelle Kanter dauerhaft seine Stellung im DDR-System.

      ERSTES KAPITEL

       Der Unantastbare

      Adolf Kanter, Direktor im »Europa-Haus e. V. Marienberg«, schreibt am 9. Juni 1965 an Dr. jur. Hanns Martin Schleyer, Vorstandsmitglied der Daimler-Benz AG:

      »Sehr geehrter Herr Dr. Schleyer!

      Auf diesem Wege nochmals sehr herzlichen Dank für den freundlichen Empfang am 26. Mai und das gute Gespräch, das ich bei dieser Gelegenheit mit Ihnen in Untertürkheim führen durfte. Besonders gefreut habe ich mich über die festgestellte Übereinstimmung mit Ihnen in der Grundkonzeption in unserer Arbeit. Solche ›moralische Spritzen‹ sind in unserem Bereich ab und zu auch sehr von Nöten. […]

      Wegen unserer Wünsche an Ihr Haus wird sich Herr von Brauchitsch sicher in absehbarer Zeit mit Ihnen in Verbindung setzen.

      Mit den ergebensten Wünschen verbleibe ich

      Ihr Adolf Kanter«

      Mit selbigem Datum unterrichtet Europa-Haus-Direktor Kanter den Herrn von Brauchitsch, Vorname Eberhard, von Beruf geschäftsführender Gesellschafter der milliardenschweren Friedrich Flick KG:

      »Lieber Eberhard!

      Das Gespräch mit Herrn Dr. Schleyer am 26. Mai war, glaube ich, sehr nützlich. […] Herr Dr. Schleyer hat mich mehrfach gebeten, ihm konkret unsere materiellen Wünsche vorzutragen. Ich habe darauf erklärt, […] daß Du als Vorsitzender unseres Freundes- und Fördererkreises Dich gelegentlich wieder an ihn wenden würdest.

      Als Herr Dr. Schleyer dann nochmals auf die materiellen Dinge zu sprechen kam, meinte er, als von dem Jahresbeitrag von Mercedes-Benz im letzten Jahr von DM 4.000,– die Rede war, daß er es bei dem Gesamtvolumen unseres Umsatzes für möglich halten würde, daß eine stärkere Erhöhung des Zuschusses von Mercedes-Benz möglich wäre. […]

      Mit den besten Grüßen von Haus zu Haus

      Dein Adolf«

      Am 29. Juni 1965 antwortet von Brauchitsch dem Direktor Kanter:

      »Lieber Adolf,

      […] Vereinbarungsgemäß habe ich mich mit Herrn Dr. Schleyer in Verbindung gesetzt und ihm konkret die Bitte übermittelt, einen einmaligen Sonderbeitrag von DM 10.000,– und ein Kraftfahrzeug zur Verfügung zu stellen. Ich habe ihn gebeten, diese Sonderleistungen unter dem Gesichtspunkt seiner zukünftigen stärkeren personellen Beschickung der Tagungen in Marienberg zu behandeln. […] Ich habe ihm zugesagt, daß Du Dich dann direkt an ihn wendest, um ihm mitzuteilen, wer die Adressaten für die beiden Zuwendungen sein sollen.

      So viel für heute.

      Mit herzlichen Grüßen

      Dein Eberhard«

      Am 9. September 1965 schreibt Direktor Kanter dem Vorstandsmitglied Hanns Martin Schleyer, der als Vertrauensmann der Flick-Gruppe, des Daimler-Mehrheitsaktionärs, den Posten des Personalchefs hält und selbstverständlich ein offenes Ohr hat für Bitten des Flick-Gesellschafters von Brauchitsch. Kanter bedankt sich, »daß Sie bereit sind, für die Arbeit des Europa-Hauses Marienberg und der mit dieser Institution verbundenen Einrichtungen einen Mercedes-Wagen zu stiften. […]

      Es ist am zweckmäßigsten, die Stiftung an unsere Vereinigung zu richten, da wir als ›Förderer-Vereinigung‹ der verschiedenen Einrichtungen tätig sind. Diese Regelung habe ich mit Herrn von Brauchitsch abgesprochen.

      Bitte geben Sie uns den Wert der Stiftung an, damit wir Ihnen eine Spendenbescheinigung ausstellen können, denn bekanntlich sind wir ja als gemeinnützig anerkannt. Wann und wo dürfen wir das Fahrzeug übernehmen?« Mitte November 1965 holte Direktor Kanter persönlich den Benz, Typ 200 Limousine, in Sindelfingen ab.

      Wie üblich gingen Kopien dieser Briefe per Kurier an die Zentrale des Auslandsgeheimdienstes der DDR, der Hauptabteilung Aufklärung (HVA) der Stasi, des Ministeriums für Staatssicherheit in Ostberlin.

      Adolf Kanter, dem der – 1977 von der RAF ermordete – ehemalige SS-Hauptsturmführer und spätere Wirtschaftsboss Schleyer »moralische Spritzen« verpasste und einen Mercedes schenkte, jener Kanter, für den der Flick-Gesellschaft er von Brauchitsch bei den Spitzen der bundesdeutschen Industrie Spenden einwarb, er war der beste Mann des DDR-Spionagechefs Markus Wolf. Für die Machteliten der bundesdeutschen Republik war er der gefährlichste Gegner.

      Kanter war »wesentlich wichtiger« für den Osten in den Zeiten des Kalten Krieges als Günter Guillaume, der Stasi-Spion bei Kanzler Willy Brandt. So urteilt Helmut Müller-Enbergs, der sich als Leiter der Spionageabwehr im Berliner Verfassungsschutzamt


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