Abgesoffen - Die Milliardenlüge. Hajo Maier
viel mehr Geld ein, als es ihren Container-Einkaufspreisen entspricht. Vorweggenommen: Das kann nicht gutgehen. Denn beim Verkauf der Container wird P&R wieder nur die geringeren Marktpreise erzielen. Den Investoren aber muss P&R nach Vertragsablauf 65% auf die überteuerten Anleger-Preise ausbezahlen. Es fällt wenigen Finanz-Journalisten auf. Ohne Konsequenzen.
Die Relevanz solcher fehlenden Information ist für Anleger aber nicht sichtbar. Denn schließlich weist Feldkamp eine weitere Zahl aus, beruhigend, groß genug, um stimmen zu können: Eine für Laien nicht nachvollziehbare Gesamtzahl von 1,5 Mio. sogenannte TEU, eine Einheit, die in der Fachbranche als Standard-Container-Einheit verwendet wird, um die Größe von Containerflotten vergleichbar zu machen. So entspricht ein TEU einem 20-Fuß-Container. Ein 40-Fuß-Container hat zwei TEU. Kaum ein Anleger kennt den Unterschied zwischen TEU und Stückzahlen. Die Anleger setzen beides gleich. Auch das weiß Feldkamp. Auch Roth. Wer beide Zahlen kennt – Stückzahlen und TEU – kann erneut die Flottenzusammensetzung grob kombinieren. Genau was Feldkamp nicht brauchen kann. Sein Zahlensalat hat System. Keine Transparenz. Keine Nachvollziehbarkeit. Mal TEU. Mal Stück. Intransparenz systematisiert. Vielleicht ein paar kritische Fragen durch die Scheißpresse wie er die Fachmedien bezeichnet. Denn tatsächlich ist diese Zahl von scheinbar 1,5 Mio. TEU verwalteter Containereinheiten bereits damals falsch. Sie entspricht weder den durch Anleger erworbenen Container-Einheiten, noch der Stückzahl, sie entspricht auch nicht der tatsächlich vorhandenen Containerflotte und sie entspricht auch nicht den behaupteten 6% Anteil an am Weltmarkt. Aber welcher Anleger weiß schon, wie viele Container in Stück und TEU auf den Weltmeeren unterwegs sind. Wikipedia. Grob.
Nichts davon also lässt sich nachvollziehen, nicht ob die genannten 1,5 Mio. TEU als 1,5 Millionen 20-Fuß-Container existieren, oder als 750.000 Stück 40-Fuß-Container. Oder eine Mischung, die der Zusammensetzung entspricht, die die Anleger tatsächlich gekauft haben. Gesteuerte Intransparenz. Feldkamp muss bereits zu diesem Zeitpunkt, möglicherweise früher, einen aus heutiger Sicht schwierigen Spagat vollziehen: Einerseits positive, geprüfte Zahlen veröffentlichen, um das Vertrauen der Anleger zu rechtfertigen. Zahlen, die auch der Wirtschaftsprüfer testieren kann. Andererseits keine Nachvollziehbarkeit zur Plausibilität und inhaltlichen Stimmigkeit der Zahlen überhaupt nur im Ansatz zulassen. Niemand, darum geht es, darf aus den P&R-Informationen den wahren Containerbestand kombinieren können. Es wird durchaus Verdachtsmomente in den kommenden Jahren geben. Ausschließlich aber durch kritische Fachjournalisten wie Stefan Loipfinger. Damit leben Feldkamp und Roth aber sehr gut. Denn sie wissen: Ein Nachweis der Unstimmigkeiten ist nicht möglich. Dazu müsste die gefährlichste Zahl überhaupt bekannt sein: Wie viele Container in welcher Zusammensetzung tatsächlich bei der Schweizer P&R vorhanden sind. Und: P&R agiert auf dem sogenannten grauen Kapitalmarkt. 2011 also, wie all die Jahre zuvor, ohne jede relevante Aufsicht und Kontrolle durch staatliche Instanzen. Und die Schweizer P&R? Findet in der Öffentlichkeit nicht statt. An deren Zahlen kommt niemand dran.
Das abgelaufene Geschäftsjahr 2010 ist für die Investoren eine Erfolgsgeschichte. Für Feldkamp und Roth aber bereits eine mehr als bedrohliche Situation. Denn die existierende Containerflotte ist geringer als die an Anleger verkauften Container. Sie erwirtschaftet nicht genügend, um Renditezusagen zu decken. Die einzelnen Investmentangebote sind jedes für sich nicht tragfähig. Was sie sein müssten. Und das Neugeschäft reicht nicht aus: Feldkamp nimmt 692 Mio. Euro frisches Geld ein. Und muss 473 Mio. auszahlen.16 Der Einbruch an Neugeschäft ein Jahr zuvor, 2009, in Folge der Weltwirtschaftskrise 2008, wirkt sich fatal aus – mit nur 442 Mio. Neugeschäft. Mit einer übrigens fast absurden Situation: Nicht die Nachfrage bei den verwöhnten P&R Anlegern ist in diesem Jahr gesunken. Es gibt schlicht nicht genügend Container zu kaufen, um die Anlegernachfrage bedienen zu können. Selbst wenn P&R hätte kaufen wollen oder können. Langjährige Bestandskunden sollen wütende Anrufe getätigt haben und wütende Briefe geschrieben haben. So erzählt es Werner Feldkamp persönlich dem Agenturchef seiner neuen Marketingagentur 2010. Ein Luxusproblem also. Aber im Ergebnis für ihn: fatal. Feldkamp braucht Neugeschäft. Mehr als bisher. Fehlbeträge, die nicht erwirtschaftet werden, sollen – eine tödliche Entscheidung – durch den Verkauf von weiteren Bestands-Containern gegenfinanziert werden. Obwohl sowieso schon zu wenige Container vorhanden sind. Kisten verkaufen, um liquide zu bleiben. Noch weniger Kisten in Folge, die Geld verdienen. Noch weniger Einnahmen. Das Problem verschiebt sich. Es verschärft sich. Kurzfristig Liquidität. Luft holen. Langfristig aber schaufelt Feldkamp mit Roth weiter am eigenen P&R-Grab. Feldkamps Teufelskreis.
Feldkamp beginnt also, nicht mehr nur auf seinen internen und externen Vertrieb zu setzen um Neugeschäft zu machen. Hier sieht er kein zusätzliches Potenzial mehr, wie er später, im April 2011, seinem neuen Marketingchef gestehen wird. Er setzt auf eine Disziplin, die er bisher ignoriert hat: Marketing & Kommunikation. Er hat keine Idee, keine klare Vorstellung, was Marketing ist oder kann. Nur eben die grundsätzliche Idee, dass es mit Werbung zu tun hat. Was helfen kann. Was in den letzten 30 Jahren kaum nötig war. Irgendwie. Bereits Ende 2009 beauftragt er seine neue Kommunikations-Agentur aus München. Der Agentur-Chef erinnert sich sehr gut an diesen ersten Kontakt mit Feldkamp, der schon viel über Feldkamps Persönlichkeit aussagt. Feldkamp spart sich jede Höflichkeit. Er kommt direkt zur Sache beim telefonischen Erstkontakt:
»Hier Feldkamp. P&R. Ich brauche eine gute Agentur. Die alte passt nicht mehr.«
Knurrig. Schnörkellos. Ohne überflüssige Freundlichkeiten. Und weiter:
»Sie sind eine Empfehlung von einem, der sich auskennt. Wir nehmen entweder Sie oder Jung von Matt.«
Feldkamps Auftritt ist, so erzählt es der Agenturchef, für einen Erstkontakt schon sehr bestimmend. Er fragt weder, was die Agentur leisten kann, noch was sie kosten wird, noch informiert er, welche Aufgaben er stellen will. Sondern einfach nur: Ich nehme Sie, oder die andern. Die Frage, ob die Agentur das will, stellt sich nicht für ihn. Er entscheidet. So ist er es gewohnt. Wenn Feldkamp ruft, hat man anzutreten. Feldkamp lädt die Agentur zum Kennenlernen ein. Nein – er befiehlt sie nach Grünwald. Kurze Höflichkeiten, Feldkamp stellt den ebenfalls anwesenden Harald Roth, Gründersohn, vor. Harald Roth zeigt sich schon bei diesem Erstkontakt als freundlich, zurückhaltend, als ausgesprochen angenehmer Typ. Zirka 45 Jahre alt, etwas über 1,80m groß, sympathisch, bescheiden im Auftritt. Feldkamp selbst ist in Plauderlaune. Erzählt über die fünfunddreißig Jahre Erfolgsgeschichte, über Milliardenbeträge, das Spitzenunternehmen, den Marktführer, die Direktinvestments, das Containergeschäft. Der Agenturchef gibt zu: Es war nicht unspannend. Und dieser Feldkamp, zirka sechzig Jahre alt, wirkt nicht unsympathisch an diesem Tag auf seine knorrige, ja auch etwas zu selbstbewusste Art. Nicht großmäulig. Eher stolz. Zufrieden. Einer, der niemandem etwas beweisen muss. Auf die Frage der Agentur, welche Kommunikationsaufgaben denn anstehen: Schweigen. Weiter Schweigen. Dann brüllt Feldkamp:
»Das müssen Sie mir doch sagen, Sie sind doch die Experten.«
Maier, der Agenturchef, ist sprachlos. Wie nie, nach so vielen Berufsjahren. Feldkamp kauft eine Agentur ein, die ihre Aufgaben selbst definieren soll. Kein Wort zu Unternehmenszielen, Planzahlen, zu Honoraren, Budgets, Kosten. Mehr noch: Nachdem die Agentur Feldkamp später eine erste Gesamtanalyse der bestehenden Kommunikationsmaßnahmen mit einem klaren Plan zuschickt – quasi die Job-Akquise der Agentur – ruft Feldkamp zurück. Er brüllt ins Telefon, wie es so oft vorkommen wird:
»Sehen Sie, Dr. Maier. Alles, was Sie schreiben, ist richtig. Das ist alles ein Scheiß, was wir da an Werbung haben. Sie sind unsere Agentur. Jung von Matt habe ich abgesagt.«
»Jetzt machen Sie uns einen Plan, was Sie alles brauchen und neu machen und vorhaben. Und dann sagen Sie mir, was das ungefähr kosten soll. Aber es ist egal, was es kostet. Zweihunderttausend. Dreihunderttausend. Reicht per E-Mail.«
Maier bedankt sich und kündigt verbindliche Projekt-, Kostenschätzungen und Angebote an. Nun wird es absurd-komisch. Zwei Wochen später. Feldkamp brüllt, wohl noch lauter, ins Telefon.
»Ersparen Sie mir Ihre Angebote. Das brauchen wir nicht. P&R macht das nicht. Aber das lernen Sie noch. Ich will nur eine Zahl wissen. Sie können anfangen.«
Verträge, Vereinbarungen, Kostenkalkulationen, Projektbeschreibungen