Sophienlust Box 17 – Familienroman. Patricia Vandenberg
er dich fragte, ob du es tun willst. Aber du hast nicht lange gezögert. Außerdem hast du nie die Absicht gehabt, wirklich meine Frau zu werden. Wahrscheinlich hat er dir immer vorgeredet, dass sich dann schon ein Ausweg finden würde. Wenn du aber ein bisschen nachgedacht hättest, müsste dir klar geworden sein, dass es nur die eine Möglichkeit gab, mich aus dem Weg zu räumen. Es steht fest, du hattest es auf mein Geld und auf mein Leben abgesehen.«
Hella von Walden wollte nach der Whiskyflasche greifen, doch Kurt Schlüter war schneller. »Nein, nein, das ist ein Beweisstück, mein Herz. So einfach kommst du mir nicht davon. Du sollst nicht behaupten können, ich hätte mir das alles nur eingebildet! Ich werde das Zeug morgen in einer Apotheke oder in einem chemischen Institut analysieren lassen. Ich nehme an, dass das sogar in Amman möglich sein wird.«
»Willst du … willst du uns wirklich anzeigen?« Hella brach endgültig zusammen. Sie sank auf einen Stuhl und schlug die Hände vors Gesicht. »Bitte, Kurt, lass mich dir erklären …«
»Du brauchst mir nichts zu erklären, Hella. Ich weiß, wie weit man von der Geldgier getrieben werden kann. Ich war ähnlich in meiner Sucht, immer reicher zu werden und immer mehr Einfluss zu gewinnen. Auch ich habe so etwas Ähnliches getan, wie du es jetzt vorhattest. Nein, nein, es war kein Mord. Aber der Mann, dem ich die Fabrik für viel zu wenig Geld abjagte, hat sich vor Verzweiflung das Leben genommen. Also, sag endlich einmal die Wahrheit – ein einziges Mal.«
Hella schwieg. Doch sie atmete heftig.
»Ja oder nein, Hella. Wolltet ihr mich vergiften? Bist du deshalb so eifrig hinter meinem Testament hergewesen?«
Ihr Kopf sank noch tiefer auf ihre Brust. »Ja.« Dieses schreckliche Eingeständnis ihrer Schuld kam so leise wie ein Windhauch.
Kurt Schlüter antwortete nicht. Er stand auf und leerte zunächst das Glas und dann die Flasche in das kleine Spülbecken, das zur Zimmerbar gehörte. Dann drehte er den Wasserhahn auf und spülte zuerst die Flasche, dann das Glas und zuletzt das Becken gründlich aus.
»So, jetzt ist jede Spur und jede Gefahr beseitigt, Hella. Geh nun schlafen. Ich werde hier im Wohnzimmer auf der Couch übernachten. Morgen früh packt ihr eure Koffer. Ich will weder dich noch Borek jemals in meinem Leben wiedersehen. Ist das klar?«
Hella von Walden nickte nur. Sprechen konnte sie nicht. Sie wusste, ihr Traum vom großen Reichtum war vorbei.
Unausgekleidet warf er sich auf die breite Couch im Wohnzimmer der eleganten Hotelsuite. Er fühlte sich plötzlich müde. Zugleich überkamen ihn gewisse Bedenken, ob es richtig gewesen war, alles für mehr als drei Monate hinter sich zu lassen. Konnte er seinem Stellvertreter vielleicht ebenso wenig trauen wie Hella von Walden?, fragte er sich.
Aber so schrecklich wichtig erschienen ihm jetzt sein Geld und seine Betriebe nicht mehr. Er wollte nur heimkehren und machte sich dabei nichts vor. Nicht die Geschäfte waren es, die ihn heimtrieben, sondern die Sehnsucht nach Bastian!
Allmählich wurde Kurt Schlüter klar, dass er vieles falsch gemacht hatte in seinem Leben. Und immer wieder fiel ihm der Mann ein, der nach dem Verlust seiner Fabrik Selbstmord begangen hatte.
Ich werde mich nach der Familie erkundigen, überlegte er. Ich werde nicht ärmer, wenn ich meine Schuld eingestehe und der Witwe und den Kindern das zukommen lasse, was ihnen von Rechts wegen zusteht. Mein Prokurist mag das errechnen. Damit kann ich der Familie natürlich den Vater nicht zurückgeben. Aber sie wird wenigstens keine Not mehr leiden. Vielleicht war der Mann ohnehin depressiv veranlagt. Er befand sich ja auch ohne den Verkauf, das nur das Tüpfelchen auf dem i war, in einer verzweifelten Lage. Und daran traf mich keine Schuld. Er hatte tatsächlich schlecht gewirtschaftet. Aber ich habe seine Notlage ausgenutzt. Das werde ich, so weit es jetzt noch in meiner Macht steht, gutmachen.
Und Angela? Es war, als hätte jemand im Zimmer laut diese Frage ausgesprochen.
Angela, dachte Kurt Schlüter, ja, auch ihr gegenüber habe ich mich ins Unrecht gesetzt. Vielleicht verzeiht sie mir. Sie war immer sanft und freundlich.
Als es hell wurde, stand Kurt Schlüter auf. Er ging ins Bad, duschte und öffnete dann die Tür zum Schlafzimmer. Hella schlief nicht. Aus ihren eisblauen Augen sah sie ihn angstvoll an.
»Was willst du?«, fragte sie.
»Meine Sachen holen, meine Koffer packen und nach Deutschland zurückfliegen. Was du tust, interessiert mich nicht. Hier ist dein Flugticket. Ich schenke es dir.«
Er warf ihr das gelbe Heft, in dem noch viele unbenutzte Scheine waren, hin. »Und hier hast du etwas Geld, damit du nach Hause kommst. Ich will nicht, dass du hier auf der Straße landest. Aber ich rate dir, in Zukunft einer geregelten Arbeit nachzugehen. Dein Hanko Borek wird es niemals zu etwas bringen, weil er nicht arbeiten will. Er wird das Interesse an dir sofort verlieren, wenn du ihm kein Geld mehr einzubringen versprichst. Trenne dich von diesem Verbrecher und versuche, ein neues Leben anzufangen. Ich glaube, dazu ist es nie zu spät.«
Eilig raffte er seine Sachen aus den Schränken und stopfte sie achtlos in seine beiden Koffer.
»Leb wohl, Hella. Die Hotelrechnung bezahle ich bis einschließlich morgen. So hast du noch einen Tag zum Nachdenken. Es ist das Letzte, was ich für dich tue.«
»Danke, Kurt«, flüsterte sie, und dann, kaum vernehmbar: »Verzeih mir, bitte.«
Kurt Schlüter bekam noch einen Platz in der Abendmaschine. Er fühlte sich wie befreit, als er in der Kabine saß und den Sicherheitsgurt anlegen konnte. Dann hob der silberne Luftriese ab.
*
»Hier ist die Post, Herr Generaldirektor«, sagte die Haushälterin, die sich ihr Erstaunen über die unerwartete Rückkehr des Hausherrn nicht hatte anmerken lassen. Das Haus war in Ordnung. Sie hatte ihre Pflichten tadellos wahrgenommen. Henry hatte gerade im Garten umgegraben und stramm gegrüßt, als das Taxi gekommen war und er seinen Chef erkannt hatte.
»Ja, danke«, sagte Kurt Schlüter zu seiner Wirtschafterin. »Bringen Sie mir einen starken Kaffee, dann lese ich die Briefe. Ins Werk gehe ich erst morgen oder übermorgen. Man erwartet mich ja dort nicht. Ist irgendetwas Besonderes vorgefallen?«
Die Wirtschafterin schluckte einmal. »Doch, Herr Generaldirektor. Aus dem Kinderheim Sophienlust wurde angerufen. Bastian ist sehr krank geworden. Er hat Kinderlähmung.«
Entsetzt sprang Kurt Schlüter aus seinem Schreibtischsessel auf. »Mein Gott, er war nicht geimpft. Wie geht es ihm? Wissen Sie Näheres? Wann war das?«
Nun kam auch Henry nach kurzem Anklopfen herein. Er hatte sich zuerst die von der Gartenarbeit schmutzig gewordenen Hände gewaschen. Er und die Haushälterin berichteten dem Generaldirektor alles, was sie über den Hergang von Bastians Krankheit wussten.
»So, Sie haben also meine Frau zu Bastian gebracht. Das war gut. Aber wie es ihm jetzt geht, kann mir keiner sagen?«
»Die gnädige Frau hat letzte Woche eine Karte geschrieben«, erwiderte Henry. »Die Gefahr ist vorüber. Der Junge muss nicht mehr beatmet werden. Einige Lähmungserscheinungen scheinen zurückgeblieben zu sein.«
Kurt Schlüter fuhr sich mit der Hand über die Stirn, auf der kalter Schweiß perlte. »Ich war immer dagegen, dass er geimpft wurde. Wenn er jetzt für sein Leben gelähmt bleibt, ist es meine Schuld. Dass ich keine Ahnung hatte!« Er stöhnte leise.
Danach blätterte Kurt Schlüter ohne Interesse den Stoß privater Post auf seinem Schreibtisch durch. Da entdeckte er den Brief von Rechtsanwalt Dr. Immerling, Heidelberg. Es war ihm sofort klar, dass dies eine Nachricht von Angela sein musste. Ungeduldig und mit zitternden Fingern riss er den Umschlag auf. Nein, Angela widersetzte sich der Scheidung nicht mehr! Und gerade jetzt hätte er viel darum gegeben, wenn dieser Brief anders gelautet hätte.
Die Wirtschafterin kam mit dem Kaffee.
»Danke«, sagte er abwesend. »Ich werde gleich nach Sophienlust fahren. Henry soll mir einen Koffer für drei bis vier Tage herrichten. In einer halben Stunde.«
»Jawohl, Herr Generaldirektor.« Fragen wurden in