Dr. Norden Bestseller Staffel 20 – Arztroman. Patricia Vandenberg
er seufzend. »Untersteh dich, solche Ohrstecker zu tragen.«
»Ich trage doch gar keine«, erwiderte sie bestürzt.
»Wäre auch ein Jammer um diese hübschen Ohrläppchen«, sagte er mit einem leisen Lachen.
»Und dich soll man ernst nehmen«, scherzte sie.
»Ich bitte darum, Frau Norden. Es würde mich ernsthaft kränken, wenn du mich nicht ernst nehmen würdest.«
*
Für den Rest dieses Tages war auch Viola von trüben Gedanken abgelenkt. Die Kinder waren recht aufgedreht, beteuerten aber auch immer wieder, wie schön es gewesen sei, und auch Hilde bekam öfter gesagt, wie gut das Essen schmecken würde.
Am Abend hatte sie ihnen dann noch eine ganz köstliche Quarkspeise mit Früchten vorgesetzt, da dieser in Mengen vorhanden und Hilde als sparsame Hausfrau wusste, dass er nicht ewig halten würde.
Das sagte sie dann auch Viola. »Ich habe mich wenig darum gekümmert, Hilde«, gestand Viola ein, »und Marianne hatte wohl nicht den richtigen Überblick. Die Küche überlasse ich Ihnen gern ganz und auch das Einkaufen.«
»Wir sollten dann aber doch einen Essensplan machen«, schlug Hilde vor. »Ich weiß ja noch nicht, was Sie gern mögen.«
»So, wie Sie kochen, mögen wir bestimmt alles. Fragen Sie die Kinder.« Sie blickte auf. »Ich bin sehr froh, dass Sie zu uns gekommen sind.«
»Und ich bin glücklich, dass Sie mich genommen haben. Hoffentlich erfährt hier niemand etwas von Paul. Es ist so deprimierend.«
»Sie trifft doch keine Schuld, Hilde.«
»Die Psychologen sagen aber, dass nicht die Erbmasse, sondern die Umwelt den Charakter formt.«
»Ich meine, dass man damit sehr vorsichtig sein sollte. Wie kommt es dann, dass Geschwister, die unter den gleichen Bedingungen aufwachsen, sich so verschieden entwickeln können. Ich habe früher schon öfter solche Beobachtungen gemacht.«
»Paul hat sich ja erst so negativ entwickelt, seit er in diese schlechte Gesellschaft geraten ist. Und ich konnte mich nach dem Tod meines Mannes nicht mehr so viel um ihn kümmern. Ich überlege immerzu, wieso er so tief in diesen Dreck geraten konnte.« Ihre Stimme bebte. »dass er nicht ein bisschen daran dachte, was er mir antut.«
Ob Thomas auch nicht daran dachte, was er mir antut, fragte sich Viola.
»Man fragt sich manchmal, was einen Menschen verändert, Hilde«, sagte sie leise. »Man kann nicht alles verstehen, das wäre ja übermenschlich. Ich hoffe sehr, dass Sie bald wieder lachen können. Mit den Kindern brauchen Sie nicht zu nachsichtig zu sein. Sie sollen beizeiten lernen, dass sie nicht alles bekommen, was sie sich gerade mal wünschen. Und ich hoffe, dass Sie sich mit Joana gut verstehen werden. Sie hat viel durchgemacht und ist ein sehr liebes Mädchen.«
»Vielleicht wäre es besser gewesen, meine Schwester hätte ein Mädchen zur Welt gebracht«, sagte Hilde nachdenklich. »Mädchen lassen sich leichter erziehen.«
»Davon bin ich nicht überzeugt. Schauen Sie mal in die Zeitung, Hilde, wie viel Frauen kriminell werden. Denken Sie jetzt nicht mehr so viel nach. Nun schlafen Sie gut in der ersten Nacht im fremden Bett. Und merken Sie sich, was Sie träumen. Man sagt, es geht in Erfüllung.«
»Wenn ich träume, sind es nur schlechte Sachen«, erwiderte Hilde.
Aber in dieser Nacht träumte sie gar nicht, oder sie konnte sich am Morgen nicht mehr daran erinnern, weil sie so tief und gut geschlafen hatte, wie schon lange nicht mehr.
*
Joana hatte in dieser letzten Nacht in ihrem bescheiden möblierten Zimmer einen ganz seltsamen Traum gehabt, an den sie sich aber erst später erinnern sollte. Sie war jetzt viel zu aufgeregt, um sich erinnern zu wollen, was in dem Traum geschehen war.
Die Koffer waren gepackt, ihre Miete hatte sie bezahlt. Wie denn ihre neue Adresse sei, hatte die Vermieterin neugierig gefragt.
»Ich weiß es noch nicht«, redete sich Joana heraus. »Post bekomme ich ja sowieso nicht.«
»Na, dann viel Glück auf dem weiteren Weg«, sagte die Frau. Joana bedankte sich und schleppte die Koffer die Treppe hinunter. Sie waren verflixt schwer, denn nicht nur Kleider befanden sich darin, sondern auch einige andere Habseligkeiten, an denen ihr Herz hing.
Sie hatte Glück. Ein Taxi kam gerade vorbei und hielt an.
Sie ließ sich zum Bahnhof bringen. Dort bot ihr ein junger Mann seine Hilfe an, aber er schien Joana nicht vertrauenswürdig. Sie nahm lieber einen Kofferkuli und war dann heilfroh, als sie die beiden Koffer in den Waggon gehievt hatte.
Als sie am Ziel angelangt war, sah sie Viola und die Kinder am Bahnsteig stehen. Heiße Freude durchflutete sie. Damit hatte sie nicht gerechnet.
»Herzlich willkommen«, sagte Viola.
»Sie wussten doch gar nicht, mit welchem Zug ich komme«, stammelte Joana verlegen.
»Viel Auswahl gibt es ja nicht«, lächelte Viola, und als sie die beiden Koffer anhob, rief sie aus: »Liebe Güte, wie hätten Sie da weiterkommen wollen, Joana. Mit ist es heute Morgen in den Sinn gekommen, dass ich Sie auch in München hätte abholen können.«
»Sie sind zu liebenswürdig«, flüsterte Joana.
»Sie hätten natürlich auch ein Taxi auf Geschäftskosten nehmen können«, meinte Viola.
»Aber das wird doch entsetzlich teuer. Bis zum Bahnhof hat es schon mehr als zehn Euro gekostet.«
»Zehn Euro sind viel«, warf Benny ein. »Hier gibt es Taxis nur auf Bestellung.«
»Ja, am Sonntag möchte man meinen, wir wären am Ende der Welt«, sagte Viola lächelnd. »Haben Sie den Führerschein, Viola?«
»Nein, ein Auto hätte ich mir ja nicht leisten können.«
»Den Führerschein werden Sie bald machen. Hier werden Sie ihn brauchen. Nun, wir besprechen noch alles.«
»Gestern haben wir Hilde bekommen und heute Joana«, wisperte Sandra. »Hast du auch schon einen Freund, mit dem du abends ausgehst, Joana?«
»O nein«, erwiderte Joana errötend.
»Seid nicht so neugierig«, sagte Viola.
»Wir wollten ja bloß mal fragen. Aber so einer wie der von Marianne würde Joana nicht gefallen«, stellte Benny fest.
Was er sich schon alles denkt, ging es Viola durch den Sinn, und instinktiv hatte zumindest Benny es schon erfasst, dass Joana mit Marianne nicht auf eine Stufe zu stellen war.
Ein Zweifel konnte auch nicht mehr aufkommen, dass Hilde und Joana sich verstehen würden, als die beiden sich begrüßten. Ein mütterliches Lächeln legte sich um Hildes Mund.
Dann saßen sie gemeinsam am Tisch. Lecker hatte Hilde wieder gekocht. Mit den Zutaten brauchte sie hier ja nicht zu sparen, und da machte ihr das Kochen doppelten Spaß. Kuchen hatte sie auch gebacken. Der Duft zog durch das ganze Haus. Die Kinder schleckten sich schon die Mäulchen, obgleich sie wahrhaftig genug gegessen hatten.
Aber nun wurden erst Joanas Koffer hinaufgebracht in ihr Zimmer.
»Ist das hübsch«, sagte sie atemlos. »Und dieser herrliche Blick auf den Wald. Nicht mehr auf Mauern und Hinterhöfe«, fügte sie gedankenverloren hinzu.
»Ja, man kann sich wohlfühlen, und man gewöhnt sich schnell ein«, sagte Hilde.
»Jetzt packen Sie Ihre Koffer aus«, sagte Viola, »und nachher trinken wir dann gemütlich Kaffee.«
»Ich habe den Kindern etwas mitgebracht«, sagte Joana. »Hoffentlich gefällt es.«
Bezaubernde Wollmützen waren es, in einer ganz ungewohnten Strickart.
»Sagen Sie nur, dass Sie die selbst gemacht haben!«, rief Viola aus. »So was bekommt man doch nicht