Dr. Norden Bestseller Staffel 20 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Als Daniel dann vor ihr stand, schrak sie zusammen. »Es besteht keine Lebensgefahr, Viola«, sagte er beruhigend. »Er muss ein paar Tage ganz ruhig gestellt werden. Er ist entkräftet und wird Infusionen bekommen. Es scheint so, als hätte er sehr wenig gegessen und noch weniger geschlafen. Willst du mit zu uns kommen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss doch nach Hause«, sagte sie schleppend.
»Ich möchte nicht, dass du jetzt noch fährst. Du kannst bei uns schlafen und morgen früh fahren.«
»Ihr meint es sehr gut mit mir.«
»Das ist doch selbstverständlich. Du kannst von uns aus anrufen, dass du erst morgen kommst.«
»Kann ich Thomas noch sehen?«, fragte sie bebend.
»Jetzt nicht.« Er wusste, dass sie maßlos erschrecken würde, wenn sie ihn jetzt mit all den Schläuchen und Kanülen sehen würde, durch die seinem geschwächten Körper stärkere Medikamente zugeführt wurden. Er verschwieg ihr auch, dass Thomas die Nacht wohl nicht überlebt hätte, wenn ihm nicht so rasch Hilfe zuteil geworden wäre.
Fee war natürlich nicht zu Bett gegangen, aber das hatte Daniel schon geahnt. Als er mit Viola kam, atmete sie auf.
»Das ist eine gute Idee, Viola. Natürlich bleibst du hier. Glatteis ist angesagt.«
»Ich möchte gleich zu Hause anrufen«, sagte Viola leise.
»Da ist das Telefon, ich habe schon Teewasser aufgesetzt.«
Hilde und Joana hatten sich die Zeit des Wartens mit Handarbeiten vertrieben, aber so ganz waren sie an diesem Abend nicht bei der Sache. Gesprochen hatten sie auch nicht viel. Als das Telefon läutete, sprangen sie beide gleichzeitig auf.
»Gehen Sie lieber, Hilde«, sagte Joana leise.
Hilde wäre es wiederum lieber gewesen, Joana hätte sich gemeldet, aber sie zögerte dann doch nicht.
Viel sagte sie dann auch nicht, als das Gespräch beendet war.
»Frau Anderten bleibt über Nacht bei Dr. Norden. Herr Anderten ist krank zurückgekommen und liegt jetzt in der Klinik.«
»Hoffentlich wird alles gut«, sagte Joana leise.
»Bei Dr. Norden ist man gut aufgehoben, das wissen wir zwei ja auch, Joana.«
*
Benny und Sandra hatten ziemlich lange geschlafen, und als sie unten erschienen, war Joana schon in der Werkstatt.
»Ist Mami auch schon drüben?«, fragte Benny.
»Ohne mit uns zu frühstücken?«, wunderte sich Sandra.
»Die Mami ist in der Stadt geblieben bei Dr. Norden, weil es so eisig geworden ist«, erklärte Hilde.
»Wir sollten die Nordens mal besuchen«, meinte Benny. »Mit den Kindern können wir schön spielen.«
»Anneka ist jetzt nämlich meine Freundin, Hilde«, sagte Sandra.
»Die Mami nimmt euch sicher mit, wenn sie wieder hinfährt.« Von Thomas wollte sie lieber nichts sagen, denn in letzter Zeit erwähnte sogar Benny seinen Vater nicht mehr.
Viola hatte einigermaßen ruhig geschlafen, wenn man den Umständen Rechnung trug. Sie war voller Unruhe, aber auch das war verständlich.
»Ich bringe dich dann zur Klinik, Viola«, sagte Fee, als Viola sich erinnerte, dass ihr Wagen noch dort stand, da sie in der Nacht mit Daniel hergekommen war.
»Muss Daniel immer so früh weg?«, fragte Viola, da sie ihn gar nicht mehr gesehen hatte.
»Nicht immer, aber heute muss er noch bei zwei Schwerkranken Hausbesuche machen, bevor er in die Praxis fährt.«
»Viel Privatleben habt ihr auch nicht«, stellte Viola nachdenklich fest.
»Das war mir klar, als ich einem Arzt das Jawort gab.«
»Und du hast dann gar nicht mehr praktiziert?«
»In der ersten Zeit habe ich Daniel schon noch geholfen, aber als dann die Kinder kamen, blieb keine Zeit mehr dafür. Damals hatten wir ja Lenni noch nicht, sondern unser gutes Lenchen, und sie war zu alt, um drei lebhafte Kinder zu betreuen. Das heißt, sie wäre zu alt gewesen, denn alle drei hat sie ja nicht mehr erlebt.«
»Und ihr hattet Glück und habt dafür gleich Lenni bekommen.«
»Nicht gleich. Das hat der Himmel gefügt, Viola. Ihr eigentlicher Name ist Gerda Kraft, sie hatte ihren Mann und ihre Mutter bei einem sehr tragischen Unfall verloren, den ein anderer verschuldet hatte. Sie war restlos verzweifelt und nahe daran, ihrem Leben ein Ende zu machen. Davor konnten wir sie bewahren. Psst, sie kommt.«
An jene schreckliche Zeit, die nun schon Jahre zurücklag, sollte Lenni nicht erinnert werden, und für sie selbst hatte das Leben so viel Inhalt bekommen, dass der Schmerz verklungen war, dass das Leben sie wieder freute.
Davon sprach Fee dann auch, als sie Viola zur Behnisch-Klinik brachte. »Du siehst, dass man selbst Zeiten tiefster Verzweiflung überwinden kann«, bemerkte sie. »Die Zeit heilt viele Wunden.«
»Es bleiben Narben«, sagte Viola sinnend.
»Die man eines Tages auch nicht mehr sieht, weil man daran gewohnt ist, Viola. Man darf sie nur nicht mit der Lupe suchen.«
»Stehst du schon über den Dingen?«
»Ich bemühe mich, zu verstehen und Erklärungen zu suchen, Viola. Ich habe das Glück, einen Mann zu haben, mit dem ich über alles sprechen kann, aber so etwas ist nicht selbstverständlich. So frage ich mich immer wieder, wie Konflikte zwischen Menschen entstehen können, die sich doch lieben oder geliebt haben.«
»Wenn dich dein Mann betrügen würde, Fee, was würdest du dann tun?«
»Ja, das frage ich mich auch, seit ich von deinen Problemen weiß, und ich kann nur hoffen, dass es nie eintritt. Es würde sicher viel in mir zerstören, aber ich würde mich auch fragen, ob es sich nicht doch lohnt, wieder zueinander zu finden, wenn auf beiden Seiten die Bereitschaft dazu vorhanden ist.«
»Daniel würde dich niemals betrügen.«
»Man muss es ja nicht gleich als Betrug einordnen, Viola. Wir haben diesbezüglich schon so manche Ehekrise miterlebt, die aus Missverständnissen entstanden.«
»Thomas sagte, dass es ja noch nicht einmal erwiesen ist, dass er der Vater von Sonjas Kind ist, falls sie überhaupt eins bekommen sollte.«
»Nun, dann traut er ihr schon Übles zu, und das beweist doch auch, dass Gefühle da kaum mitspielen.«
»Ich will, dass er gesund wird und wir dann einen Weg aus dieser Misere miteinander suchen«, sagte Viola leise.
»Das ist gut«, erwiderte Fee erleichtert. »Vergiss deinen Stolz, diese Kränkung. Zeig dich so, wie du wirklich bist, Viola.«
»Wie bin ich denn?«
»Großmütig und hilfsbereit. Du hast es doch bewiesen, als du Hilde und Joana sofort aufgenommen hast.«
»Sie werden mich nicht enttäuschen, das weiß ich jetzt schon.«
»Sie sind dir dankbar, Viola, aber denke bitte, dass auch diese beiden Menschen Veränderungen unterworfen sind, dass ihnen eines Tages etwas doch wichtiger sein könnte, als mit dir und für dich zu arbeiten. Joana ist jung, und es könnte ein Mann kommen, der sie auch vor eine Entscheidung stellt. Würdest du dann sagen, dass sie dich enttäuscht oder gar betrogen hat?«
»Aber nein.«
»Und nehmen wir mal an, dir würde ein Mann begegnen, dem du Liebe schenken könntest …«
»Nein, nein«, fiel ihr Viola ins Wort, »ich werde nie einen anderen Mann lieben als Thomas. Deshalb tut doch alles so weh.«
»Herrgott, dann beweis es doch, beweis es dir auch selbst und überlass ihn nicht kampflos