Dr. Norden Bestseller Staffel 20 – Arztroman. Patricia Vandenberg
»Um Frau Hilde Weber. Ich möchte gern wissen, was man dieser Frau vorwirft.«
»Es ist kein Geheimnis, dass ihr Sohn eine Bank überfallen hat. Es stand in der Zeitung, Frau Doktor. Der Überfall war am Freitag. Der junge Mann hat immerhin vierzigtausend Euro erbeutet, und das Geld ist verschwunden.«
Fee sah ihn fassungslos an. »Sie glauben doch nicht, dass Frau Weber es hat, dass sie ihren Pflegesohn decken will. Ja, es ist ihr Pflegesohn. Ich wusste bis heute überhaupt nicht, dass sie einen hat. Ich habe es gerade erst von meinem Mann erfahren.«
»Frau Weber hüllt sich in Schweigen. Mehr kann ich Ihnen augenblicklich nicht sagen.«
»Kann ich mit ihr sprechen?«
»Derzeit nicht.«
»Hat sie einen Anwalt?«
»Sie hat keinen verlangt.«
»Sie hat damit nichts zu tun. Sie ist eine anständige Frau.«
Inspektor Heller gab sich jetzt ganz amtlich. Woher Fee Norden Frau Weber kenne, wollte er wissen. Sie erklärte es ihm. »Außerdem war sie Patientin von meinem Mann, und weil ich sie in dem Geschäft vermisste, dachte ich, sie wäre krank und wollte mich nach ihr erkundigen.«
Fee ging zur Tür. »Ich werde einen Anwalt schicken«, sagte sie ruhig.
Inspektor Heller war sichtlich nervös. »Ich habe keinen Einfluss auf diese Sache, Frau Doktor«, sagte er hastig. »Aber Frau Weber ist suizidverdächtig und wurde in die psychiatrische Klinik gebracht.«
Fee starrte ihn an. »Sie wollte Selbstmord begehen? Mein Gott, und das hat sie verdächtig gemacht?«
»Das will ich nicht sagen. Und ich kann Ihnen überhaupt nichts sagen. Der junge Weber hat eine Menge auf dem Kerbholz.«
Fee fühlte sich augenblicklich ziemlich hilflos. »Mein Mann wird sich darum kümmern«, sagte sie leise. »Und ich werde mich mit unserem Anwalt in Verbindung setzen. Ich glaube nicht, dass sich diese Frau etwas zuschulden kommen ließ.«
»Dann wird sie auch nicht angeklagt werden. Aber sie war zurzeit des Überfalls in der Bank, und sie hatte dort auch ihr Gehaltskonto. Aber mehr kann ich Ihnen wirklich nicht sagen.«
Fee ging. Sie konnte es jetzt kaum erwarten, mit ihrem Mann zu sprechen. Zu ihrer Erleichterung kam er mittags ziemlich pünktlich nach Hause. Doch in Gegenwart der Kinder konnte sie mit ihm über Frau Weber nicht sprechen.
Anneka erzählte von den hübschen Kleidern und sagte tröstend zu ihren Brüdern, dass die Mami ein andermal etwas für sie kaufen würde.
»Weil nämlich die liebe Frau Weber nicht da war«, erklärte sie.
Die Buben waren da recht desinteressiert. Sie zogen lieber ihre alten Klamotten an.
Da sich die Nebel gelichtet hatten und die Sonne wieder vom Himmel strahlte, waren sie auch gern bereit, gleich nach dem Essen im Garten zu spielen. Fee konnte mit ihrem Mann ungestört reden.
»Ein Teufelskreis«, sagte er gedankenvoll. »Sie wollte das Beste für das Kind und muss nun dafür büßen.«
»Was weißt du? Du hast darüber nie gesprochen, Daniel.«
»Sie hat sich mir anvertraut, Fee. Sie bat mich ausdrücklich, dir davon nichts zu erzählen. Sie kannte dich als Kundin, und sie lebte in der ständigen Angst, ihre Stellung zu verlieren, wenn etwas über Pauls Untaten bekannt wird. Er wohnte ja schon lange nicht mehr bei ihr.«
»Aber jetzt erzählst du mir alles«, drängte Fee.
»Ich weiß ja gar nicht viel. Ich weiß nur, dass Paul das unehelich geborene Kind ihrer Schwester war, die bei der Geburt starb. Frau Weber hat ihren Mann dann überredet, es aufzunehmen, obgleich er dagegen war. Aber da sie selbst keine Kinder bekommen konnte, war er schließlich damit einverstanden. Und da er sich dann auch recht nett entwickelte, haben sie ihn adoptiert. Die Sorgen kamen erst später, vor allem dann, als Herr Weber so plötzlich starb und sie sich eine Stellung suchen musste. Aber ich muss jetzt erst mal schauen, ob ich etwas für sie tun kann, Fee. Wir reden am Abend weiter.«
Fee fragte nichts mehr. Ihr war es auch wichtiger, dass Daniel etwas unternahm, um Frau Weber zu helfen. Sie wurde dann durch Anneka abgelenkt, die ihr den Prospekt brachte, den sie im Geschäft bekommen hatte. »Da schau, Mami, da sind auch Bubensachen drin, und die gefallen Danny und Felix sogar.«
Nun beschäftigte sich Fee damit, erst mehr, um sich abzulenken, doch plötzlich wurde ihr bewusst, woher ihr der Name Anderten bekannt war, vor allem in Verbindung mit dem Vornamen Viola, und als sie gelesen hatte, dass diese ihr Atelier im Ammerland hatte.
Viola und Ammerland, das war die Assoziation, und hinzu kam der Name Jardin. Viola Jardin, ihre Schulfreundin, die dann die Meisterschule für Mode besucht hatte. Und fast zur gleichen Zeit wie sie selbst hatte sie dann einen Dr. Anderten geheiratet. Hatte der nicht was mit der Raumfahrtforschung zu tun, überlegte Fee, aber so genau konnte sie sich doch nicht erinnern, denn von Viola hatte sie nach deren Heirat nichts mehr gehört.
Und jetzt stellte Viola Kinderkleidung her. War ihre Ehe etwa gescheitert? Oder brauchte sie dazu auch eine Selbstbestätigung? Warum hatte sie sich nicht mal gemeldet? Aber es gab ja so mancherlei Gründe, dass man sich aus den Augen verlor, ohne sich wegen irgendetwas gram sein zu müssen.
Wenn mit Frau Weber alle klar ist, werde ich eben mal bei ihr anrufen, dachte Fee. Dann aber musste sie ihre Söhne ermahnen, dass sie auch mal an ihre Hausaufgaben denken müssten.
*
Hilde Weber hatte völlig apathisch eine lange Untersuchung über sich ergehen lassen müssen. Die Ärzte gaben sich freundlich, fast väterlich. Viele Fragen waren ihr gestellt worden, knappe, ausweichende Antworten hatte sie darauf gegeben.
Als Dr. Norden sich bei dem Kollegen nach Frau Weber erkundigte, hörte er von diesem, dass sie wohl kein Fall für den Psychiater sei, aber von schweren Gewissensbissen gequält würde, etwas bei dem Adoptivsohn versäumt zu haben, als sie nach dem Tode ihres Mannes wieder eine Stellung annehmen musste.
Es wurde Dr. Norden gestattet, mit Frau Weber zu sprechen. Sie schien es nicht glauben zu können, dass er bei ihr erschien.
»Woher wissen Sie, dass ich hier bin, Herr Dr. Norden?«, fragte sie. »Man war doch wohl so rücksichtsvoll, mich nicht namentlich zu erwähnen im Zusammenhang mit diesem Banküberfall.«
Jedenfalls schien sie wieder ganz klar denken zu können, und mit Dr. Norden konnte sie auch über manches reden, was sie sonst nicht hatte sagen wollen.
Dr. Norden hatte ihr erklärt, dass seine Frau alles ins Rollen gebracht hätte. Da waren Hilde Weber die Tränen gekommen.
»Ich wage mich ja nicht mehr ins Geschäft zurück«, flüsterte sie. »Ich werde ja sowieso entlassen werden. Aber Sie glauben doch nicht, dass ich bei dem Überfall was wusste und dass ich das Geld versteckt habe.«
»Wie konnte man überhaupt auf den Gedanken kommen, Frau Weber?«
»Ich wusste doch nicht, dass Paul so etwas vorhatte. Er kam am Donnerstag zu mir und sagte, dass er eine gute Stellung in einer Tankstelle bekommen könnte. Aber weil er schon mal vorbestraft gewesen sei, wollten sie eine Kaution von zweitausend Euro haben. Er bat mich, ihm das Geld zu leihen. Er machte einen sehr ordentlichen Eindruck und sagte mir auch, dass er bereue, mir so viel Sorgen bereitet zu haben. Ich kann ihn doch nicht vor die Hunde gehen lassen, Herr Doktor. Wenn mein Mann am Leben gewesen wäre, hätte es so weit mit ihm nicht kommen können. Da hätte ich ja nicht zu arbeiten brauchen, und er wäre nicht so viel sich selbst überlassen gewesen.«
»Es fehlt noch, dass Sie sich Vorwürfe machen, Frau Weber«, sagte Dr. Norden. »Paul war sechzehn, als Ihr Mann starb, und da fühlen sich die jungen Leute schon sehr erwachsen. Viele nehmen auch keine Rücksicht auf die Eltern, wenn es um die Verwirklichung ihrer Vorstellungen geht, wenn auch beide Eltern leben und die Mutter zu Hause ist. Erzählen Sie mir jetzt mal, was an diesem Tag geschah, damit ich Ihnen helfen kann.«