Die zwölf Sinne des Menschen. Karl König

Die zwölf Sinne des Menschen - Karl König


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ist der Ursprung der Bewegung in der Flüssigkeit.» Und hier ist es das Blut in seiner eigenen Wärme, an das König den Wärme- wie den Gleichgewichtssinn ankoppelt. Dabei wird zudem darauf verwiesen, dass nach Rudolf Steiner im Gegensatz zur traditionellen Auffassung der (damaligen) konventionellen Medizin – nicht das Herz das Blut bewegt, sondern das Herz durch die Eigenbewegung des Blutes in Bewegung versetzt wird, wofür König den Sachverhalt ins Spiel bringt, dass im Verlauf der Embryonalentwicklung eine Blutzirkulation zu beobachten ist, lange bevor diese mit den Anlagen von Herz- und Blutgefäßen verbunden ist. Im Übrigen zeigen neuere kardiologische Forschungsergebnisse, dass sich hier inzwischen stillschweigend ein Paradigmenwechsel vollzogen hat. Denn die Kompensationsbreite der Kreislaufperipherie und deren wirkungsvolle Manipulation durch β-Blocker und ACE-Hemmer bei systolischer Herzinsuffizienz stellt eine mechanisch gedachte Funktion des Herzens als eine Pumpenvorrichtung infrage. Hinzu kommt das systematische Versagen positiv inotroper (die Herzschlagkraft erhöhender) pharmakologischer Ansätze der Herzinsuffizienztherapie, was indirekt auf die Bedeutung der Mikrozirkulation auf Organebene hinweist und die postulierte Bedeutung des Herzens als alleinige Ursache der Blutbewegung infrage stellt. Diese und weitere Detailerkenntnisse haben dazu geführt, dass inzwischen bei der Behandlung der chronischen Herzinsuffizienz die ehemals angewendeten, positiv inotrop wirkenden Pharmaka kontraindiziert sind und die zuvor ausdrücklich kontraindizieren Arzneimittel wie β-Blocker, ACE-Hemmer und Sartane zu den Mitteln der Wahl wurden. Erst die Verabschiedung des Paradigmas vom Herzen als einer Pumpe und deren Versagen bei der Herzinsuffizienz hat es ermöglicht, dass sich die β-Blocker als negativ inotrope Substanz durchgesetzt haben. Bei der diastolischen Herzinsuffizienz ist nicht primär die systolische Kontraktion betroffen, sondern die Relaxation, das «Lösen» des Herzens eingeschränkt. Hier zeigen neuere Forschungsergebnisse, dass selbst die vorgenannte Arzneitherapie zu keiner Verbesserung führt, also unwirksam ist. Was anthroposophisch orientierte Kardiologen an Erfahrungen berichten, ist, dass gerade die chronische Herzinsuffizienz eine Herausforderung an die Therapieprinzipien der anthroposophischen Kardiologie ist und sich die Heileurythmie sowie die anthroposophisch ausgerichtete Psychokardiologie als wichtige und wirksame Pfeiler der Therapie erweisen. Jedenfalls scheint es, als ob die paradigmatische Ausrichtung der Herzfunktion im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte eine Richtungsänderung erfahren hat, nämlich weg von der tradierten Vorstellung der Pumpenfunktion des Herzorgans in eine Richtung, die sich zunehmend derjenigen des Herzens als eines Wahrnehmungsorgans auf unterschiedlichen Ebenen annähert.34

      Angeregt durch geisteswissenschaftliche Forschungsergebnisse Rudolf Steiners stellt Karl König eine Verbindung zwischen Wärmesinn, Gleichgewichtssinn und dem Ich des Menschen her. «Innerhalb des zirkulierenden Blutes lebt der Wärmesinn, und innerhalb des Wärmesinns lebt das Ich des Menschen, welches Gleichgewicht und Wärme durchdringt.» Und weiter: «Das Herz ist nicht nur ein Wahrnehmungsorgan für den Wärmesinn, sondern auch für den Mut – oder auch die Feigheit. Eine der wichtigsten menschlichen Emotionen, der Zorn, lebt im Wärmesinn.» König verweist hier auf Ausführungen Rudolf Steiners, wonach «der Zorn der Erzieher des Ich» ist. Und König führt weiter aus: «Der Zorn kann nur wirken, weil der Wärmesinn sein Milieu ist, und so können wir verstehen, warum wir uns erhitzen, wenn wir zornig werden – oder kalt werden, wenn wir einen Wutanfall bekommen. Zorn ist immer mit Wärme, Wut mit Kälte verbunden. Das Ich entwickelt sich im Verlauf der menschlichen Evolution und wächst in der Kraft seiner Liebe. Für einen Menschen, der nie zornig war, wird es äußerst schwer werden, wirkliche Liebe zu entwickeln. Dies ist eng verbunden mit dem Wärmesinn und auch dem Gleichgewichtssinn. […] Das ist die Bedeutung des Wärmesinns. Mut und Feigheit sind ein Teil von ihm, und innerhalb der Gleichgewichtsverhältnisse unserer Wärme entsteht allmählich der Zorn, verwandelt sich in die Kraft der Liebe und gibt unserem Ich die Möglichkeit, sich mit dem Geist-Wesen zu verbinden, das durch den Wärmesinn diese höchste Verbindung vorbereitet.»

      Mit diesem Bild des Wärmesinns können wir das Tor zu den vier höchsten Sinnen öffnen, denn dieses Bild entfaltet bestimmte Qualitäten innerhalb des niederen Ich des Menschen und hilft diesem Ich, durch die Liebe, zu seinem eigenen höheren Wesen aufzuschauen. Von diesem aus strömen Hörsinn, Wortsinn, Gedankensinn und Ichsinn in uns. Aber dass dies so sein kann, verdanken wir ganz dem Wärmesinn.

      Mitwelt-bezogene Sinne

      Den Hörsinn behandelt König in enger Gemeinsamkeit mit dem menschlichen Ohr. Dabei bezieht er sich auf geisteswissenschaftliche Forschungsergebnisse Rudolf Steiners, denen zu Folge die erste Anlage des Ohres als eiförmiges Wärmegebilde bereits auf dem alten Saturn erfolgt ist. König: «Das Ohr ist unsere Mutter; wir kommen aus dem Ohr, und das Ohr, das wir jetzt haben, ist geschrumpft und klein geworden. Dennoch war das Ohr vom Anfang der Welt an mit uns und ist es noch – und es offenbart, was wir in unserem innersten Wesen erreichen werden: das Reich der höchsten Sinne, der Sinne für das Wort, den Gedanken und das Ich, die uns unsere Geistigkeit offenbaren. Das Ohr ist das Tor zu den höchsten Sinnen.»

      Während es sich bei den unteren Sinnen um «subjektive» Empfindungen handelt, bei den höheren Sinnen um Individuum-abhängige Erfahrungen, so handelt es sich bei dem, was die höchsten Sinne vermitteln, um Vorstellungen: «Jeder Mensch sieht seine eigene Welt des Lichtes und der Farben, seinen eigenen Raum, aber der Raum offenbart uns die Dinge und Wesen, die jeder von uns sieht […] Wir können ein Ding beschreiben und darüber sprechen, weil es sich um dasselbe handelt. Dennoch gehen wir mit unserer eigenen Wahrnehmung des Raumes so um, als würde jeder von uns sein eigenes ‹Haus› mit sich tragen, so wie die Schnecke ihr eigenes Haus auf dem Rücken trägt. Wir können uns einigen, weil wir dasselbe ähnlich sehen. Mit dem Hören ist es anders. Und dann, wenn Sie mich sprechen hören, haben Sie nicht Ihr eigenes ‹Haus› des Hörens, weil wir alle gemeinsam hören. Wenn wir einem Lied, einer Stimme oder einem Ton zuhören, hören wir genau dasselbe; nur eine Stimme wird von vielen verschiedenen Ohren gehört. Dies ist ein fundamentaler Unterschied, weil nur in den höchsten Sinnen alle Menschen gleich sind; nur in den höchsten Sinnen können wir Brüder sein. Es ist von größter Bedeutung, dass jeder in der Welt der Empfindung und der Welt der Wahrnehmung für sich allein ist, dass wir aber in der Welt der Vorstellungen, die mit dem Hören beginnt, sozusagen alle im selben Boot sind.» Innerhalb des Hörens ordnet König das Geräusch der physischen, den Klang der ätherischen Organisationsebene zu, die Stimme der Seele und den Ton dem Geist. Alle diese vier Qualitäten werden von König unterschiedlichen morphologischen Elementen des Ohres zugeordnet, nämlich Geräusche dem äußeren Ohr, Klänge dem Mittelohr samt Gehörknöchelchen, die menschliche Stimme der Gemeinsamkeit von Innenohr und Kehlkopf. Das «Empfangsorgan für den Ton» ist das Innenohr samt zugehörigem Nervensystem.

      «Nach dem Wärmesinn kamen wir an das Tor zu den vier höchsten Sinnen und lernten, wie der Hörsinn ein völlig neues Gebiet eröffnet – vielleicht nicht ein spirituelles, aber sicherlich ein übersinnliches Gebiet, an dem jedes menschliche Wesen Anteil hat. Die Trennung, die Individualisierung, die in jedem der anderen Sinne, auch im Sehsinn, gegenwärtig ist, besteht nicht mehr im Hörsinn, weil wir alle dasselbe hören; es ist uns allen gemeinsam. Mit dem Hörsinn gelangen wir in die Welt der Vorstellungen. Durch die vier höchsten Sinne haben wir weder bloß Wahrnehmungen noch einfach Empfindungen, die in unserem eigenen Körper aufsteigen. In dieser neuen Sphäre, der Sphäre des Hörens, öffnet sich etwas, dessen wir uns bewusst werden müssen. Die Menschheit ist sich noch nicht darüber im Klaren, dass uns der Hörsinn ein völlig neues Gebiet eröffnet, indem das Hören von Worten, Klängen und der Stimme eine uns allen gemeinsame, übersinnliche Erfahrung darstellt. Aber es ist nicht genug, eine übersinnliche Erfahrung zu haben; es ist nötig, sich ihrer bewusst zu werden. Es war Rudolf Steiner, der als Erster in der Geschichte der Menschheit die drei höchsten Sinne beschrieben hat. Obwohl einige moderne deutsche Philosophen zu der Tatsache aufgewacht sind, dass da mehr als Hören sein muss, wenn wir das gesprochene Wort verstehen sollen, dass da mehr als nur Verstehen sein muss, wenn wir das, was wir in einem Buch lesen, wirklich begreifen sollen, dauerte es bis zum Jahre 1909, dass Rudolf Steiner erstmals den Wortsinn und den Gedankensinn beschrieb. […] Kaum ein Psychologie oder Philosoph ist sich der Tatsache bewusst, dass, wenn jemand spricht, wir nicht nur den Klang hören durch unseren Hörsinn, sondern dass innerhalb des Klangs etwas geschieht, das überhaupt nichts mit unserem Denken zu tun hat, etwas, das nicht zu irgendeiner


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