Augmentationschirurgie. Hendrik Terheyden
im vorderen Bereich intersinusoidal setzen. Dann muss allerdings die Prothese tegumental gelagert werden (Deckprothese) oder die Prothese muss zur Vermeidung eines Bruches sehr massiv gearbeitet werden. Bei großem Unterstützungspolygon nach Augmentation unter Verwendung von 6 bis 8 Implantaten kann eine abnehmbare Arbeit viel zierlicher gestaltet werden, weil die Bruchgefahr gering ist.
Abb. 1-5 Oberkieferversorgung ohne Augmentation. a. Tegumental gelagerte Deckprothese für den Oberkiefer bei intersinusoidal gesetzten Implantaten unter Augmentationsvermeidung. b. Durch mangelnde Unterspülbarkeit der Deckprothese kommt es zu Rötung des Gaumens (Prothesenstomatitis, Candidiasis) und Gingivahyperplasie an den Implantaten mit Pseudotaschenbildung. Die kaufunktionelle Belastbarkeit ist durch die mangelnde Pfeilerspreizung relativ gering.
Abb. 1-6 Oberkieferversorgung mit Augmentation. a. Durch Sinusbodenaugmentation konnte eine Pfeilerergänzung vorgenommen werden. b. Panoramaschichtaufnahme nach Sinusbodenaugmentation beidseits. c. Prothetische Versorgung durch zierlich gearbeitete abnehmbare und unterspülbare Prothese (Prof. M. Kern, Kiel). d. Galvanoteleskope. e. Interdentale Reinigungsmöglichkeit und Unterspülbarkeit. f. Lippenbild mit natürlicher Ästhetik.
1.2Ziele der Knochenaugmentation: Funktion – Ästhetik – Prognose
Mit den genannten Vorgaben ergeben sich folgende Ziele der Knochenaugmentation:
Funktion
Ästhetik
Prognose
Die Implantologie hat als oberstes medizinisches Ziel die kaufunktionelle Rehabilitation. Bei einer guten Funktion ergibt sich häufig die Ästhetik automatisch. Zudem rückt die Ästhetik als Therapieziel mehr in den Vordergrund. Die Lage der Knochenschulter bestimmt die Lage der darüber liegenden Weichgewebe und damit die gingivale (rosa) Ästhetik. Diese Zusammenhänge werden in dem englischen Merkspruch zusammengefasst:
The tissue is the issue,
but the bone sets the tone,
and the clue is the screw. (D. Garber, Atlanta)
Der Alveolarfortsatz in Ober- und Unterkiefer ist im Gegensatz zur Kieferbasis embryologisch nicht chondral präformiert. Der Alveolarfortsatzknochen wird als desmaler Knochen von den Zähnen im Rahmen ihrer Anlage gebildet und entlang ihres Durchbruchs zur Okklusionsebene mitgenommen. Entsprechend schwindet dieser Knochen nach Verlust der Zähne auch wieder. Die Alveolarkammatrophie ist physiologisch und keine Krankheit, allerdings können die Folgen, der Verlust des Kauorgans und die Prothesenunfähigkeit, eine Krankheit bedeuten, zumal die Atrophie bei einigen Patienten sehr schnell verläuft. Die Resorption des Alveolarknochens beginnt an der bukkalen Knochenlamelle und erfasst später auch die orale Knochenlamelle. Die Resorption der oberen Alveolarfortsatzanteile wird auch durch das Prinzip des Bündelknochens erklärt (Abb. 1-7). Dieser Knochentyp des Körpers besteht aus den verkalkten Insertionen von Ligamenten. Am Alveolarfortsatz sind dies die Insertionen der Sharpey-Fasern (nach William Sharpey, Anatom in London). Nach Zahnextraktion schwindet das Parodontalligament und zwangsläufig auch der Bündelknochen, der die gesamte faziale Lamelle der Zahnfächer ausmachen kann. Der Verlust des Alveolarfortsatzes wird unter anderem beschleunigt durch die marginale Parodontitis, durch traumatische Zahnextraktion, durch instabile tegumental getragene Prothesen und durch eine generalisierte Osteoporose. Besonders starke Atrophien mit Schlotterkamm- und Lappenfibrombildung werden beim Kombinationssyndrom (Abb. 1-8) im anterioren Oberkiefer gesehen, wenn ein hartes unteres Restgebiss oder untere Zahnimplantate gegen eine nur tegumental gelagerte obere Vollprothese beißen. Im Zuge der Atrophie kommt es auch zu einer verminderten Durchblutung der Kiefer, die einen reversen Strom in der Arteria mentalis auslösen kann. Die Frakturgefahr steigt durch die Querschnittsminderung des Unterkiefers.
Abb. 1-7 Der Bündelknochen ist die Verankerung von Sehnen und Ligamenten in das Skelett. Der Alveolarfortsatz besteht vor allem im oberen Teil fast durchgehend aus Bündelknochen. Dieser wird von den zur Okklusionsebene durchbrechenden Zähnen mitgenommen. Wenn die Zähne verloren gehen, schwindet auch der Bündelknochen wieder, zunächst bukkal, später lingual beziehungsweise palatinal. Dieser Effekt erklärt den schnellen Volumenverlust von Extraktionsalveolen und die Alveolarkammatrophie als physiologisches und nicht aufzuhaltendes Phänomen, es sei denn, man kann durch Zahnimplantate den Knochen wieder physiologisch belasten (knochenprotektiver Effekt der Zahnimplantate).
Abb. 1-8 Patient mit Kombinationssyndrom. a. Die Panoramaschichtaufnahme zeigt die isolierte Alveolarkammatrophie im anterioren Oberkiefer. Der harte Aufbiss der unteren Restbezahnung trifft auf die tegumental gelagerte obere Prothese, die insbesondere unter Protrusionskontakten immer wieder nach vorne abkippt und so die physiologische Alveolarkammatrophie lokalisiert beschleunigt. b. Lappenfibrome durch schlecht sitzende obere Vollprothesen im anterioren Oberkiefer. Diese pathologischen Reizzustände der Vestibulumschleimhaut ergeben sich insbesondere, wenn Vollprothesen anterior weit über den Kamm vorgebaut sind. Wenn sie durch ein Kombinationssyndrom anterior überlastet werden und die Okklusion nicht balanciert ist, können die Prothesen bei Vorschub vermehrt nach vorn abkippen. Parallel zeigt hier der Mundwinkel eine Perlèche (Candidiasis).
Da die Zähne und der Alveolarfortsatz im Oberkiefer physiologisch nach bukkal geneigt stehen und eine enge apikale Basis vorliegt, ergibt sich bei Höhenreduktion des Knochens eine Verlagerung der Kieferkammmitte nach innen – die zentripetale Atrophie des Oberkiefers (Abb. 1-9). Bei breiter apikaler Basis im Unterkiefer und nach innen geneigten Zähnen tritt im Unterkiefer das Gegenteil ein. Die Kammmitte wandert mit der Höhenreduktion des Alveolarfortsatzes nach außen – die zentrifugale Atrophie des Unterkiefers. Dieser Effekt kann zu einer Veränderung der Kieferrelation führen und eine Pseudoprogenie und Kreuzbisse im Seitenzahnbereich bedingen. Die Pseudoprogenie wird noch verstärkt, weil der Biss im Laufe des Lebens unter anderem durch Zahnattrition, Abrasion, Zahnextraktionen und durch parodontale Zahnwanderung in der Regel immer weiter absinkt. Dadurch rotiert das Kinn im Kiefergelenk nach vorne.
Abb. 1-9 Effekte der Augmentation bei Alveolarkammatrophie. a. Die Alveolarkammatrophie hat aufgrund der Schrägstellung des oberen Alveolarfortsatzes und der engen apikalen Basis des Oberkiefers