DIE MAGISCHE TIERWARTE. Anika Hasse
„Finni-Fee, ich habe großartige Neuigkeiten“, ruft Ulla mit trällernder Stimme, während sie mit einem Prospekt in der Hand in den Garten gelaufen kommt. Finni, die gerade schaukelnd in der Hängematte liegt und verträumt auf einem Gänseblümchen kaut, erschrickt sich so doll, dass sie es mit einem Ruck verschluckt. Hustend und nach Luft schnappend setzt sie sich auf. „Bekommen wir jetzt etwa doch Hühner?“
Ulla lacht und schüttelt den Kopf. „Nein, nein. Viel besser. Ich habe gerade einen Anruf von diesem Ferienlager am Chiemsee erhalten!“, sagt Tante Ulla aufgeregt und drückt Finni den Prospekt in die Hand. „Ich darf in den Sommerferien die Kräuterwanderung für die Kinder organisieren. Ein Feriencamp mitten in der Natur, mit Blick auf den Chiemsee, ganz in unserer Nähe.“
Finni, die noch vertieft in ihren Tagtraum ist, starrt auf das Papier in ihrer Hand und murmelt: „Toll! Das freut mich für dich.“
Ulla lässt sich neben Finni in die Hängematte plumpsen und legt liebevoll einen Arm um sie. „Aufwachen, Finni-Fee! Ich fahre da doch nicht alleine hin. Du kommst natürlich mit. Das wird toll. Wir werden deine Sommerferien gemeinsam im Ferienlager verbringen. Kräuterwanderungen machen, am Lagerfeuer sitzen und sogar in Holzhütten übernachten. Du wirst sehen, das wird ein richtiges Abenteuer. Na, was sagst du?“
Finni dreht nervös eine rote lange Haarlocke um ihren Zeigefinger. „Ein Ferienlager mit lauter anderen Kindern?“, murmelt sie. „Können wir nicht einfach hier zu Hause schlafen und nur tagsüber hinfahren? Es ist doch nicht so weit.“
Ulla Knudsen lacht laut auf und drückt ihre kleine Finni an sich heran. „Keine Angst, du musst nicht die ganze Zeit mit mir verbringen und auch nicht mit mir in einer Hütte schlafen! Nur wenn du mich brauchst, bin ich ganz in deiner Nähe! Das werden aufregende Ferien.“
Finni rümpft ihre mit Sommersprossen übersäte Nase. „Na, wenn du das sagst!“, seufzt sie und lächelt ihre Tante zaghaft an.
Ulla Knudsen springt freudestrahlend auf. „Ich muss sofort mit der Planung beginnen. Ich habe so viele Ideen für die Kräuterwanderungen!“
„Tim, hast du auch alle T-Shirts, die ich dir auf das Bett gelegt habe, eingepackt? Ich möchte nicht, dass du nach zwei Wochen nichts mehr zum Anziehen hast!“, ruft Erika Pfefferkorn, während sie in Windeseile die Hosen ihrer Jungs bügelt.
Tim, der gerade gemütlich auf seinem Bett liegt, bemerkt in diesem Moment, dass er genau auf den besagten zusammengelegten T-Shirts liegt.
„Ja, Mama, ich packe sie gleich ein!“, ruft er. In diesem Moment hört er schon die energischen Schritte seiner Mutter. Tim springt auf und wirft die zerknüllten T-Shirts zügig in den aufgeklappten Koffer auf dem Fußboden. „Pfefferkörnchen, wie oft habe ich dich jetzt schon gebeten, deinen Koffer fertig zu packen?“, seufzt Frau Pfefferkorn. „Morgen früh um 6 Uhr klingelt der Wecker. Wir müssen deine Brüder pünktlich an den Flughafen bringen. Und für dich, Glückspilz, geht es danach gleich an den Chiemsee. Also hopp, hopp!“
Tim lächelt seine Mama verschmitzt an. „Entschuldige, Mama, meine Erfindung der Koffer-Einpack-Maschine dauert leider länger als erwartet! Papa holt gerade noch den passenden Schraubenzieher.“
Im gleichen Moment biegt Herr Pfefferkorn, mit einem großen Schraubenzieher in der Hand, in Tims Zimmer ein. „Hiermit müsste es funktionieren!“, sagt er und zieht die letzten Schrauben an der Maschine fest.
Erika lächelt und streichelt über den braunen Lockenkopf ihres jüngsten Sohnes. „Wie der Pfeffer, so das Körnchen!“
Ein paar Minuten später läuft die Koffer-Einpack-Maschine auf Hochtouren. Tim und sein Vater sitzen zufrieden und begeistert auf dem Fußboden und beobachten, wie der Koffer mithilfe eines Greifarmes, der an einem Spielzeug-Baukran befestigt ist, wild durcheinander und nicht besonders gut, eingeräumt wird.
„Das hätte deinem Großvater sicher gefallen!“, sagt Franz Pfefferkorn zufrieden.
„Oh ja, das hätte ihm sogar sehr gefallen“, antwortet Tim und lacht.
„Vergiss bloß nicht dein Hightech-Taschenmesser, das du von Opa bekommen hast. Wer weiß, wofür du es gebrauchen kannst. Aber verstecke es gut vor der Ferienlager-Leitung… und deiner Mutter natürlich,“ flüstert Franz Pfefferkorn und stupst Tim in die Seite.
EIN KOMISCHER VOGEL
„Willkommen in unserem Ferienlager am wunderschönen Chiemsee!“, ruft Frau Müllerstein den Kindern zu, die sich draußen auf dem Hauptplatz, in einem großen Halbkreis vor ihr versammelt haben. „Dieses Jahr haben wir über 18 Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Ich lese jetzt je drei Namen und eine dazugehörige Nummer laut vor, die sich zusammen eine Holzhütte teilen werden! Diejenigen, die ihren Namen gehört haben, bringen bitte ihre Taschen und Koffer in ihr neues Zuhause und kommen anschließend in den Speisesaal dort drüben.“ Marly, die ganz am Rand steht, verdreht genervt ihre Augen und grummelt leise: „Na super! Jetzt muss ich mir auch noch eine Hütte teilen.“
Die etwas pummelige Frau Müllerstein holt einen roten Schnellhefter hinter ihrem Rücken hervor und beginnt eifrig darin zu blättern. Ihre kleine runde Brille rutscht dabei immer tiefer die Nasenspitze herunter. „Pelle Pellmann, Jonas Schmid und Karim Aslan ihr schlaft in Hütte Nummer vier!“ Während Frau Müllerstein weiter die Namen vorliest, beobachtet Finni einen Schmetterling, der vor ihr auf der Wiese im Klee sitzt.
„Finja Knudsen?“ Frau Müllerstein blickt mit ernster Miene über ihre Brille. „Finja Knudsen?“, wiederholt sie noch einmal.
„Hier!“, antwortet Finni schüchtern.
„So, so, da haben wir wohl eine kleine Träumerin unter uns!“, sagt Frau Müllerstein mit schriller Stimme. „Du schläfst in Hütte Nummer 2.“
Zwei Mädchen in auffallenden Kleidern fangen leise an zu kichern und mustern Finni neugierig. Plötzlich tippt ihr jemand von hinten an die Schulter. Erschrocken dreht sie sich um und blickt in ein freundliches Gesicht eines Jungen mit braunen Locken.
„Hi Finja! Ich bin Tim“, sagt er und lächelt. „Komm, wir müssen hier entlang. Ist das deine Tasche?“ Finni nickt verlegen. Tim hebt die Tasche auf, wirft sie sich über die Schulter und geht zielstrebig los. Finni folgt ihm.
Die Holzhütte erinnert an ein kleines Gartenhaus. Sie hat zwei Etagen, zwei Eingangstüren und eine kleine Terrasse, auf der eine Holzbank steht. Als Finni und Tim ankommen, sitzt bereits ein Mädchen mit einer dunkelblauen bunt bestickten Jeansjacke auf der Bank und lässt ihre Beine baumeln.
„Hi, ich bin Marly“, sagt sie und mustert Finni und Tim. „Hier unten ist ein Stockbett für uns Mädchen und oben im Dach ein Einzelbett für dich …“ Fragend sieht sie Tim an.
„… Tim! Super!“, sagt er und klettert mit seinem kleinen Koffer geschickt die von außen angebrachte Holztreppe hinauf.
Finni wirft Marly einen schüchternen Blick zu. „Ich bin Finja. Aber alle nennen mich Finni.“
Marly springt von der Bank. „Na dann, bringen wir mal unsere Sachen rein, Finni!“
„Braucht ihr Hilfe?“, fragt Tim, der gut gelaunt aus seiner Luke zu den zwei Mädchen herunter blickt.
„Nee, bloß nicht!“, knurrt Marly ihn an. „Ich kann das alleine.“
„Ist ja gut“, sagt er und verdreht seine Augen. „Wollte nur nett sein!“
Marly nimmt ihre Tasche und verschwindet durch die Tür. Finni lächelt Tim unsicher zu und folgt Marly in die Holzhütte.
Der Speisesaal befindet sich in einer kleinen Scheune am Rande des Hauptplatzes. Runde, weiße Tische stehen