Dicke Luft in der Küche. Frank Winter
möchte den Rest des Tages nutzen, um meine neue TV-Sendung für die BBC vorzubereiten.«
»Worum geht es denn?«, fragte Coia verlegen.
»Um das Kochen mit Hafer.«
»Im Ernst?«
»Ja, im Ernst!«
»Aber den essen doch nur die Pferde.«
»Haha, sehr komisch. Sie müssen mir keine Pseudo-Weisheiten von diesem Johnson zitieren. Thank you very much!« MacDonald nickte den beiden düster zu und ging nach draußen. Selbst vor der Tür hörte er die zwei Italiener aufgeregt reden. Zehn Minuten später gesellte Alberto sich zu ihm. »Worüber habt ihr denn so lange palavert?«
»Nichts Besonderes. Er hat sich übrigens für die Hafer-Bemerkung entschuldigt.«
»Das war alles?«, fragte MacDonald skeptisch.
»Si, mein Freund.«
»Hm … ihr habt doch keine Geheimnisse vor mir?«
»Nie im Leben! Aber wenn wir gerade dabei sind, was hat dir denn Mrs Lockhart vorhin zugeflüstert?«
»Sie hat mir erzählt, dass Ann bereits Veganerin und Fruktarierin war und mir deshalb sehr ähnlich sei.«
»Perque?«
»Weil ich, äh, ich meine Prinz Philip seit Jahrzehnten die Atkins-Methode praktiziert.
»Ist das ein Sozialist?«
»Nein, der Erfinder der gleichnamigen Diät.«
»Ich erinnere mich, die Abmagerungskur, die Karen dir aufgebrummt hat. Santa Maria, wieso können die Menschen nicht einfach einen Teller Spaghetti zu sich nehmen! Das hat noch niemandem geschadet.«
Alberto hatte wieder einmal geschickt vom Thema abgelenkt. Noch immer hatte MacDonald den Eindruck, dass die beiden Italiener weiter über den Fall gesprochen hatten. Ob man Coia in der Vergangenheit bereits bedroht hatte? Es wäre nicht das erste Mal, dass Erpresser sich die Polizei verböten.
»Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, gehe ich jetzt nach Hause, Doktor Miller. Ich möchte noch ein wenig an den Strümpfen für meinen Neffen stricken.«
Karen Miller sah zerstreut von ihrem Schreibtisch auf. »Sie haben einen Neffen?«
»Schon seit 34 Jahren. Ich hatte Ihnen doch von ihm erzählt.«
»Und ihm stricken Sie Strümpfe?«
»Ja, mit großen Karos.«
»Wie originell.«
»Er heißt wie ich.«
»Grace?«
»Nein, das wäre aber schlimm. Obwohl es ja immer noch ein schöner Name ist. Denken Sie nur an Grace Kelly. Ich meinte meinen Nachnamen, Abercromby. Geht es Ihnen nicht gut, Frau Doktor? Sie sehen etwas blass aus.«
»Es ist nichts, was sich nicht mit einem heißen Bad und einer Kanne Tee beheben ließe. Sie können wirklich gehen. Ich komme alleine zurecht.«
Ihre Gehilfin zog ihren beigefarbenen Allwettermantel an, nahm Mütze und Stockregenschirm vom Kleiderhaken und ging zur Tür. Wohl war ihr nicht dabei, die Frau Doktor ihrem Schicksal zu überlassen. Doch als sie ihre gehäkelten Handschuhe aus den Manteltaschen zog und über die Finger streifte, gewann die Idee eines wohligen Strickabends schnell die Oberhand. »Also dann, ich gehe jetzt.« Sie stolperte die Treppe hinunter und wie zufällig erlitt sie vor der Anwaltspraxis im Erdgeschoss einen Niesanfall. Karen Miller trank den letzten Rest Tee und brachte ihren Becher zur Spüle in der kleinen Küche. Sie schmunzelte. Angus hatte ihr bei seinem letzten Besuch eine Becher-Kollektion geschenkt. »Mir ist aufgefallen, dass man in die Kultur Ihrer Heißgetränk-Gefäße etwas mehr Einheitlichkeit bringen könnte.« Übersetzt bedeutete die drollig-freundliche Formulierung: Ich fürchte, in Ihrem Küchenschrank herrscht das Prinzip Kraut und Rüben. Und so war sie nun die stolze Besitzerin von einem halben Dutzend Bechern in den unterschiedlichsten Clan-Mustern. Am liebsten trank sie aus dem MacDonald-Becher. Sie räumte ihn in die Geschirrspülmaschine und verließ die Praxis. Heute war sie froh, dass ihr Wagen direkt vor der Tür stand. Der Anruf ihres Vaters bedrückte sie. Hätte sie seine Hilfe annehmen sollen? Tannahill wollte sie um jeden Preis sehen. Das war ihr klar. Als sie seinerzeit merkte, dass er nicht über das Ereignis hinwegkam, zog sie die Konsequenz. Sie stieg in den Wagen und fuhr los. Zu Hause in Musselburgh fiel ihr ein fremdes Auto auf. Wer in einer ruhigen Nachbarschaft wohnte, bemerkte solche Dinge. Sie griff nach ihrer Tasche, eilte ins Haus und sperrte die Tür ab. Schön wäre es gewesen, abends von einem Haustier begrüßt zu werden. Doch fehlte ihr leider die Zeit. Angus hatte einen schönen Kater. Aber er wohnte in einer katzenfreundlichen Gegend. Dean Village war, wie der Name schon sagte, ein kleines Dorf. Sir Robert konnte das Haus durch eine kleine Luke auf der Hinterseite des Hauses nach Belieben verlassen, ohne dass man Angst haben musste, dass ein wildgewordener Autofahrer ihn überfuhr. Sie widerstand dem Wunsch, Angus anzurufen, denn er würde bemerken, dass etwas nicht stimmte. Und was sollte er denken, wenn sie von einem Mann aus ihrer Vergangenheit verfolgt wurde! Nein, lieber ließ sie sich ein beruhigendes Bad ein. Als Kind schon hatte ihr das Wasser nie heiß genug sein können. Ihre Mutter war das genaue Gegenteil. Karen ging ins Wohnzimmer zurück, um die Gardinen zu schließen. Jetzt saß jemand in dem Wagen! Ohne zu überlegen wählte sie MacDonalds Nummer.
»Hier spricht Angus Thinnson MacDonald.«
»Ich bin es, Angus. Entschuldigen Sie bitte die Störung.«
»Sie stören niemals, Karen.«
»Vielen Dank. Nett, dass Sie das sagen.«
»Wie geht es Ihnen?«
»Im Prinzip gut, ich hatte nur einen schweren Tag. Und Sie?«
»Mich nehmen die Vorbereitungen für die neue Sendung in Anspruch.«
»Alles, was Sie mit Hafer kochen können. Das war es doch, oder?«
»Exakt. Eine vielseitige Zutat, die in unserer kosmopolitischen Zeit mitunter vernachlässigt wird.«
»Schade. Dann haben Sie vermutlich keine Zeit, ein Glas Wein trinken zu gehen?«
»Darf ich mir das denn gestatten?«
»Ich verstehe nicht …?«
»Sie wünschen sich doch, dass ich tüchtig abspecke.«
»Stimmt, aber wir können ja eine Ausnahme machen.«
MacDonald zögerte einen langen Moment. »So leid es mir tut, aber ich fürchte, heute muss ich passen.«
»Kein Problem.«
»Sind Sie sicher?«
»Aber ja. Arbeiten Sie schön weiter.«
»Darf ich Sie die Tage einmal anrufen? Ich hätte noch einige Fragen zu Mister Atkins.«
»Was immer Sie wissen möchten.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, stellte sie das Telefon auf stumm und ging wieder zum Fenster. Als sie den Vorhang zurückzog, war der Wagen weg. Doch besser fühlte sie sich deshalb nicht. In der Küche machte sie sich ein Käseomelette und trank ein Glas gut gekühlten neuseeländischen Sauvignon Blanc dazu. Nach dem Abwasch schaltete sie den Fernseher ein und sah die Nachrichten. Immer wieder stand sie auf und blickte nach draußen. Irgendwann gewann die Vernunft die Oberhand. Sie gab sich einen Ruck und legte sich die DVD »Whatever works« ein. Diesen Film von Woody Allen kannte sie noch nicht. Entspannung sollte er ihr bringen, machte sie aber nur noch nervöser. Es ging um Menschen, die sich nicht mehr verstanden und andere, die sich fanden. Als der Abspann lief, kamen ihr die Tränen. Hatte sie damals richtig entschieden? Fast hätte sie Angus noch einmal angerufen. Doch wie sollte sie ihm erklären, was alles durch ihren Kopf raste? Ein traditioneller Mensch wie er würde nicht nachvollziehen können, was damals geschehen war.
»Selten wurde eine Pflanze so stark mit einem Volk und dessen Lebensweise assoziiert. Hunderte von Jahren war der Hafer