Die Faxen Dicke. Reiner Hänsch
hält einfach mal die Klappe. Was ihm von den restlichen Mitgliedern der Redaktion zutiefst gedankt wird. Ich drehe mich nachdenklich zum Fenster um, aber das bringt auch nichts. Rein gar nichts. Draußen regnet es schon wieder den ganzen schrecklichen Tag lang. Eine graue, dichte Suppe aus kaltem Nass klatscht bösartig an die Fenster unserer kleinen Redaktion. Ich kann kaum die Leuchttafeln der Raiffeisen-Tankstelle gegenüber sehen und weiß also auch nicht, ob der Spritpreis mal wieder gestiegen ist und ob ich daraus mal wieder eine heiße Titelstory machen könnte. Ist mir auch egal jetzt.
So einen schlimmen Oktober hatten wir doch noch nie. Was ist denn jetzt auch noch mit dem Wetter los?
Heute ist ein ganz normaler Drecksmontag und ich kehre erschöpft von meiner sinnlosen Schreibertätigkeit nach Hause zurück. Immer noch regnet es aus Eimern. Ich hinterlasse eine große Pfütze im Flur und stelle meine nassen Schuhe gedemütigt an der Garderobe ab.
Scheißlaune. Das Leben ist nicht schön.
Doch Steffi empfängt mich mit einem seltsamen Glänzen in den Augen. Sie ist nicht beim Friseur gewesen und schwanger scheint sie auch nicht zu sein. Es muss etwas Größeres, etwas Bedeutenderes sein, das sie mir zu eröffnen hat.
„Koshamui“, stößt sie dann atemlos hervor und wiederholt es gleich noch mal. „Koshamui!“ Dann ist sie auch schon am Ende ihrer Kräfte und sinkt erschöpft aufs Sofa.
Asiatisch, denke ich. Ein neues Gericht beim Schnellchinesen? Ein Kampfkunstausruf?
„Die Gantenbrink hat angerufen“, stößt sie mit allerletzter Kraft hervor. „Sie hat was für uns. Setz dich! Los, setz dich, Alex!“
Also, Frau Gantenbrink hat tatsächlich angerufen und ihr mitgeteilt, dass sich da in allerallerletzter Minute etwas ergeben hätte. Kunden hätten storniert. Schlimmer Verkehrsunfall. Die fünfundachtzigjährige Großmutter der Familie wäre leider dabei draufgegangen. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben, aber die wollte auch sowieso nicht mit. Ts, ts, ts. Dennoch: Tragisch, tragisch. Die Eltern hätten komplizierte Arm- und Beinbrüche, Knochensplitterungen, Entstellungen. Das Kind bloß Schürfwunden und Blutergüsse am ganzen Körper … na, und die Omma eben tot.
Super! Was für ein verdammtes Glück! Vier Flüge frei. Und wir brauchen nur drei!
Einen Tag vor Weihnachten könnten wir also nun an Stelle dieser gebeutelten und leicht dezimierten Familie in ein Flugzeug steigen und hätten für zwei Wochen Sonne, Strand, Palmen auf der Trauminsel Ko Samui in Thailand. Steffi hat es nur falsch ausgesprochen.
Sie musste sich dann auch auf die Schnelle für ein Hotel entscheiden, was sie auch spontan gemacht hat. Na, sie wird sicherlich das richtige ausgesucht haben.
Jetzt haben wir es also tatsächlich geschafft. Nur noch ein paar Wochen in stiller Vorfreude die Schnauze halten und ab und zu mal einen bunten Reiseführer durchblättern.
Und wenn ich dann die Augen schließe und mich ganz doll konzentriere, was ich in der letzten Zeit öfter mal tue, dann höre auch ich die sanft heranrauschenden Wellen mit dem warmen Wasser des Mittelmeeres, des Pazifiks, der Südsee … ich weiß gar nicht genau. Ein paar giftige Tiere lauern auch auf mich, aber naja … kann man vernachlässigen.
Und den Strand sehe ich ganz deutlich vor mir. Ja. Endlos weit und weiß, Palmen, Hütten, freundliche Eingeborene, die uns leckere Früchte und Kokosnüsse anbieten, ohne allzu viel Geld dafür haben zu wollen. Fröhliche Fischer, die ihren bunt schillernden Fang frisch und zappelnd an die Strandrestaurants verkaufen. Gleich werden wir in einem dieser Restaurants sitzen und eine dieser herrlichen Kostbarkeiten verspeisen, während unser Junge friedlich im Sand spielt und Muscheln nach Größe und Farbe sortiert.
Naja, vielleicht hat er aber auch seinen Game Boy vor der Nase und sitzt irgendwo im Schatten, weil es ihm viel zu heiß ist. Egal, es ist so schön …
Wir werden also Urlaub machen!
24.12. Ko Samui - erster Tach: Pelledei Lock Lissoh
(Paradise Rock Resort)
„WÄLLKAMM TO THAILÄNN! WÄLLKAMM TO THAILÄNN!“
Da. Ich kann sie sehen! Mitten im stürmischen Meer der hilflos herumtreibenden Touristen und anderer Gestrandeter, die alle wie wir aus der Ankunftshalle des fernen Flughafens im Paradies geschwemmt werden, entdecke ich sie als Erster. Die thailändische Außendienstmitarbeiterin von Töffte Reisen. Sie ist ganz klein und man sieht sie nur, weil sie die leuchtend rote Pappe mit der typischen, markanten Aufschrift „Töffte Reisen“ ganz hochhält. Und die kleine Frau selbst kann man nur sehen, weil sie ab und zu einen lustigen Hüpfer macht, um ihrerseits auch mal über das wogende Meer der erschöpften Touris gucken zu können. Wie eine rote, auf den Wellen hüpfende Rettungsboje in ganz schwerer See.
Aber sie ist da. Nur für uns. Wir sind angekommen.
Es ist unerträglich heiß für uns arme Menschen, die direkt aus dem deutschen Winter kommen – und es regnet in Strömen. Wie zu Hause.
Nein, falsch. Völlig falsch. Es regnet nicht, sondern ein tropischer Wasserfall ergießt sich aus einer Milliarde Himmelseimern prasselnd auf das Dach des offenen, im lockeren rustikalen Urwaldstil erbauten Ankunftsgebäudes und macht die Verständigung schwierig.
„DA!“, brülle ich meinen Leuten durch das Unwetter zu.
„WAAAS?“, Steffi ist nach dem langen Flug etwas gereizt.
„ACH, EINFACH MITKOMMEN!“ Ich bin auch nicht mehr derselbe. Ja, ja, der Urlaub macht sich schon bemerkbar.
Ganz unauffällig und in der Hoffnung, dass vor allem Steffi es nicht bemerkt, ziehe ich kurz mein Handy aus der Hosentasche und schalte es an. Es dauert eine Weile, aber dann meldet sich das kleine Wunderwerk mit voller Beleuchtung und fünf Ladebalken. Oh, ich muss sparsam sein. Und als ich es direkt wieder ausschalten will, da klingelt es doch tatsächlich. „Tätäätätäätätäätätää!“ Erschrocken drehe ich mich nach Steffi um, aber sie hat in dem allgemeinen Lärm nichts gehört. Also gehe ich eben dran. Es ist Ulli. Mein lieber Kollege aus der Redaktion unserer Zeitung im fernen Sauerland.
„Ja?“
„Hömma, Don Camillo, … pchch … halt dich fest …“, quäkt das Handy mit Ulli drin schon los.
„Ich bin nicht …“
„Ja, halt ma die Klappe, Don … pchch …, ich muss dir wat … pchch … erzählen, … pchch … glaubsses nich’.“
Schlimme Störungen.
Tja, da hat der Ulli sich wohl verwählt und denkt, ich sei Don Camillo. Don Camillo, müssen Sie wissen, ist mein Partner und der Herr der Finanzen unserer kleinen Zeitung. Heinz-Josef Camillo Montebello heißt er mit ganzem Namen. Sein Vater war Italiener. Bei uns heißt er natürlich nur Don Camillo. Bietet sich ja an.
“Der Blömecke“, krächzt das Handy weiter … pchch … Großkotz Schlüter … pchch … Riesensauerei … pch … pch …“
„Ulli, ich bin’s, Alex, was ist da los?“
„Alex?“, fragt das Handy erschrocken. „Scheiße!“
Und dann ist die Verbindung tot. Was wollte er denn da so Wichtiges an Don Camillo berichten. Blömecke, Schlüter, Riesensauerei? Ich muss ihn unbedingt sofort noch mal zurückrufen.
Aber da steht Steffi schon direkt neben mir und hat diesen Blick drauf, der Telefongespräche momentan nicht duldet.
„Abschalten! Urlaub!“, sagt sie nur und das reicht dann auch schon. Ich schalte es also schnell wieder aus und lasse es mit unschuldigen Gesicht wieder in die Tasche flutschen. Später.
Jetzt nähern wir uns erst mal voller Hoffnung und völlig erschöpft dieser so sympathisch lächelnden, hübschen, kleinen Person mit all unseren Habseligkeiten, die wir mit viel Fantasie und Mühe auf zwei quietschenden Gepäckkarren untergebracht haben, und sehen sie leer