Im Sparadies der Friseure. Wiglaf Droste

Im Sparadies der Friseure - Wiglaf Droste


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      Darf sich Europa, darf sich Deutschland, dürfen WIR uns von Russland erpressen lassen? – So fragen Leitartikler, und man weiß wieder, warum und wofür Kriege geführt werden und weshalb deutsche Soldaten in Afghanistan schon mal üben. Menschenrechte sind ein gut klingender Vorwand für wirtschaftliche Interessen, und in mancher Schreibtisch- und Laptop-Existenz liegt viel kriegerisches Potential verborgen. Zwar ist niemand bedroht in Deutschland, doch genügt es, sich das vorzustellen und sich in die Rolle eines Großstrategen hineinzuphantasieren.

      Mir aber gefiel es, den rhetorischen Katastrophismus auszublenden und einfach den Winter einen Winter sein zu lassen. Durch knackende Kälte zu stapfen und sich anschließend am Feuer zu wärmen, ist eine archaische Lust. In der Sauna zu schwitzen und sich im frischen Schnee zu wälzen, beschert animalische Freude und bärenhaftes, großes Glück. Man ahnt, wie frei Bruno sich gefühlt haben muss, bevor er genau deshalb abgeknallt wurde – nicht zu vergessen, wo: im sogenannten Freistaat Bayern.

      Versprecher und Versprechen

      Armer Papst. Beinahe vier Jahre lang wurde Benedikt XVI. bejubelt und als offizielles Maskottchen der Christenheit gefeiert. Seitdem Joseph Ratzinger am 19. April 2005 zum Papst gewählt worden war, herrschte Fußballstimmung, wo immer der Mann aufkreuzte. Die katholische Folklore erlebte eine gewaltige Renaissance. Schlau ergriff der als Kongregationsscharfmacher berüchtigte Ratzinger die Gelegenheit, auf dufte zu machen, herumzumenscheln und potentielle neue Kundschaft anzuschnacken. Vom Papamobil aus grüßte er alle Welt und inszenierte Andachten vor 250.000 Leuten; in Lourdes entließ er sich und sein Publikum beiderseits als geheilt. In ochsenblutrotem Schuhwerk sang er die lateinisch-liturgische Variante von »I did it my Way« – und kam mit all dem durch. Zwar empörten sich ein paar Tierschützer über den Hermelinbesatz seines Umhangs und seines Mützchens, doch das schlug nicht weiter ins Kontor. Zumal die deutsche Heimatpresse sich längst Bild angeschlossen hatte und unisono orgelte: »Wir sind Papst.«

      Doch auf einmal war die Show vorbei, und die Journalisten wurden ganz, ganz mutig. »Holocaust-Gegner haben in der Kirche nichts zu suchen«, verkündete Caren Miosga am 2. Februar 2009 in einem Trailer für die von ihr moderierten ARD-Tagesthemen. Zwar handelte es sich um einen Versprecher, sie meinte offenbar Holocaust-Leugner, aber solche Unterschiede spielen in deutschen Medien keine große Rolle, hier spricht man auch von »polnischen Konzentrationslagern«, wenn man deutsche KZ in Polen meint. Frau Miosga zeigte, wie Fernsehen funktioniert: Hauptsache Schaum. Wenn man den als Haltung verkaufen kann, umso besser.

      Was war los, was war passiert? Der Papst hatte solitär beschlossen, die Exkommunikation von vier Bischöfen aufzuheben, die einer Pius-Bruderschaft angehören, von deren Existenz kein aufgeklärter Mensch Kenntnis haben müsste. Irrsinn gibt es, in Kirchen wird er organisiert. Das ist nichts Neues. Teil des Glaubensabtrünnigen-Quartetts ist auch ein Richard Williamson, der den Holocaust für erfunden hält und die minimalzivilisatorischen Einlenkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils ablehnt. Williamson ist ein Lefebvre’scher Traditionskatholik alter Schule, angetrieben vom Neid auf das Leid der Juden und vom Hass auf die Moderne. Im Leben Joseph Ratzingers gab es Zeiten, in denen er Williamson nicht sehr fern war. Doch während Williamson – wie auch der peinlich eitle Gegenpapst Hans Küng – auf dem Dissidententicket zu reüssieren suchen, war sich Ratzinger immer darüber im klaren, dass Macht nur im Mainstream zu haben ist und man also Kreide fressen muss.

      Honoré de Balzac hatte eine treffende Vokabel für Journalisten; er nannte sie »Halbkameraden«. Das Wort gilt auch für die PR-Truppen des Papstes. Journalistische Jubelperser, die sich jahrelang trittbrettfahrend an den Medienpapst anflanschten, rangen auf einmal die Hände. »Sind wir noch Papst?«, fragte Maybritt Illner, als ob sie jemals Papst gewesen wäre. War sie noch bei Trost? Die taz erging sich in evangelischer Selbstbezichtigung und titelte: »Wir sind peinlich«. Wer wollte dem Blatt da widersprechen?

      Die katholische Kirche ist, was sie war: ein Zeughaus der Heuchelei. Nahezu vier Jahre lang haben die sogenannten Leitmedien mitgeheuchelt und den Papst ikonisiert – um sich dann, bei Ahnung eines Skandals, eilig zu distanzieren. Das ist Heuchelei hoch zwei.

      Privat kann jeder glauben, was er möchte. Wer sich mit seiner Religion in die Öffentlichkeit begibt, muss allerdings damit rechnen, auf Befremdnis zu stoßen, auf Widerspruch, auf Kritik und auf Spott – allein schon deshalb, weil es jede Menge Konkurrenzvereine gibt, von denen jeder seinen Glauben für den schönsten und besten hält. Der deutsche Papst Joseph Benedikt Ratzinger liebt es, Glaubenswidersacher niedrig zu machen und kleinzuholzen. Dass der Papst Gläubische schurigelt, könnte einem ja recht sein, wenn er nur nicht immerzu den eigenen Laden verherrlichte. Als notorischer Bessergläubischer zeigt der Papst der Religionskonkurrenz Geringschätzung und brüskiert regelmäßig Protestanten, Juden und Muslime, um sein eigenes Karnevalsunternehmen aufzuwerten. Das wirkt eher plump und stumpf als raffiniert und will nicht so recht zu dem durchtriebenen Theologen Ratzinger passen.

      Wieso der Gnadenakt für den Antisemiten Williamson? Wollte der Papst damit nicht nur die Christenheit, sondern gleich auch die chronisch beleidigten Muslime mit versöhnen? Also eine deutsch-arabische, katholisch-muslimische Allianz schmieden, die ihren gemeinsamen Nenner in der Ablehnung des Judentums findet?

      Das würde auch den Versprecher der ARD-Journalistin Caren Miosga nachträglich ins Recht setzen: »Holocaust-Gegner haben in der Kirche nichts zu suchen.« Falls Frau Miosga damit hätte sagen wollen, dass aufgeklärte Humanisten einen großen Bogen um die Kirche machen, sie hätte es nicht besser auf den Punkt bringen können.

      Warum ich kein Hypochonder geworden bin

      Hypochonder? Ich weiß nicht, was das sein soll – das Wort klingt in meinen Ohren wie eine Mischung aus HypoVereinsbank und Expander; von beidem verstehe ich nichts. Der Kluge, das etymologische Wörterbuch der deutschen Sprache, klärt mich auf: »Person mit unbegründeten Krankheitsvorstellungen. Rückbildung zu hypochondrisch‚ schwermütig (zunächst nur über Männer gesagt, im Gegensatz zu [weiblich] hysterisch). Es geht zurück auf griechisch hypochóndrios‚ unterhalb des Brustknorpels liegend. (…) Nach antiker Auffassung saßen die Gemütskrankheiten im Unterleib.« Ich will nicht klüger als der Kluge sein, sondern den Sachverhalt vielmehr in meinen eigenen Worten bestätigen: Sitz der Seele ist die Möse / Ohne Liebe wird sie böse.

      Schon allein deshalb möchte man doch kein Hypochonder sein, kein männlicher Hysteriker, der in zwanghafter Selbstbeobachtung Krankheiten an sich entdeckt, egal, ob er sie hat oder nicht oder ob er sie von all der Einbildung erst bekommt. Hans Christian Andersen litt an solchen Krankheitsphantastereien; Eckhard Henscheid konstatierte an sich, als er vor Jahren das Rauchen aufgab, die Stoffwechselumstellungsfolgekrankheiten gleich en gros. Was die unterdessen erfolgte Generaleinführung des Rauchverbots aus sogenannten volksgesundheitlichen Gründen in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt: Was ist gewonnen, wenn aus Millionen von schmaddrigen Teerabhustern Millionen von Nervenbündeln werden, die 147 oder 159 neue Krankheiten an sich diagnostizieren, und die ihre Entdeckungen ja auch nicht für sich behalten, sondern sie ohne jede Rücksicht auf Kamerad Mitmensch ausjallern?

      Über Krankheiten reden ist etwas für Kranke oder für Leute, die sonst nichts oder nichts mehr haben, mit dem sie sich spreizen und wichtig machen können. Mit bedeutungsgesättigter Miene und Stimme sitzen sie da und reißen Gespräche an sich, um die vom Arzt erstellte Diagnose langatmig, dabei jedes einzelne Wort zäh malmend und auskostend wiederzukäuen und die Zeit eben nicht gnädig ruckzuck totzuschlagen, sondern streckfolternd zu zerquälen. Der Arzt, selbstverständlich eine Kapazität auf seinem Gebiet, findet gerade ihren Fall ganz besonders speziell und hochinteressant, und dann muss man stundenlange Amateurmedizinermonologe und Selbstdiagnoseexpertisen über sich ergehen lassen. Selbstverständlich gibt es eingebildete Kranke; es kommt aber eben auch häufig vor, dass einer durch Krankheit erst eingebildet wird.

      Nach einem unfreiwillig durchlittenen Vortrag über Heimtücke und Gefahr von Zeckenbiss, vulgo Borreliose, stand ich auf, beugte mich über den Siechtum simulierenden Sprecher, brachte meinen Mund an sein rechtes Ohr und flüsterte nach Art Marlon Brandos im ersten Teil von Francis Ford Coppolas »Paten«, also gedehnt und wie mit tamponierten Backentaschen: »Es ist mir eine Ehre, für Sie zu arbeiten, Don


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