Das Weltkapital. Robert Kurz
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Robert Kurz
Das Weltkapital
Globalisierung und innere Schranken des modernen warenproduzierenden Systems
FUEGO
- Über dieses Buch -
Unbeeindruckt von der Debatte um die Globalisierung geht die Herausbildung eines transnationalen Weltkapitals jenseits der alten Nationalökonomien weiter. Dabei zeigt sich, daß die Erklärungsversuche der 90er Jahre zu kurz gegriffen haben. Die Deutungs- und Bewältigungsmuster blieben pragmatisch und moralisch; die Orientierung war rückwärts gewandte und ging über den Begriffshorizont der traditionellen politischen Ökonomie nicht hinaus. Robert Kurz verläßt diesen Rahmen, um die neue Qualität der kapitalistischen Entwicklung jenseits der veralteten Interpretationsmuster zu untersuchen. Es erweist sich, daß mit der 3. industriellen Revolution der im modernen warenproduzierenden System strukturell angelegte Widerspruch von Nationalismus und Universalismus reif geworden ist. Dabei handelt es sich nicht um die Wiederkehr des Immergleichen, sondern um einen historischen Entwicklungsprozeß. Im Unterschied zur bisherigen Geschichte bildet sich heute eine durch globale Rationalisierungsketten organisierte Betriebswirtschaft heraus, gesteuert von entsubstantialisierten Finanzblasen. Da bedarf es nicht weniger als einer Umwälzung der Gesellschaft über die warenproduzierende Moderne hinaus.
Pressestimmen
»Kurz hebt sich in seiner Kritik vom Mainstream der Globalisierungsgegner insofern ab, als er auf der Ebene des kapitalistischen ›Betriebssystems‹ selbst ansetzt. Er betrachtet sich als radikalen Kritiker der weltweiten wirtschaftlichen Verhältnisse. Die Entwicklung einer neuen radikalen Systemkritik, ›die über den zu Ende gegangenen traditionellen Marxismus hinausgehen muss‹, sei jedoch Bedingung. Kurz zeigt keine Scheu, auf´s Ganze zu gehen – in der Sache gibt er sich unerbittlich.« (der Freitag)
»›Das Weltkapital‹ legt mit großer ökonomischer Sachkompetenz und sorgfältig recherchiertem Faktenwissen den Finger in die richtige Wunde.« (Süddeutsche Zeitung)
»Dieses Buch sollte im gut sortierten Bücherregal zur Globalisierung nicht fehlen.« (UTOPIE kreativ)
Vorwort
Dieses Buch sollte eigentlich schon 1998 fertig gestellt werden, aber der Plan wurde immer wieder aufgeschoben. Es erforderte ein weites Ausholen, um nach meiner Untersuchung über den Zusammenbruch des Staatssozialismus und das Ende der traditionellen marxistischen Weltinterpretation (»Der Kollaps der Modernisierung«, 1991) auch den Prozess der kapitalistischen Globalisierung jenseits des Kalten Krieges gegen den Mainstream eines öden »Chancen-und-Risiken«-Diskurses aufzuarbeiten. Dazu war es zunächst einmal erforderlich, die kapitalistische Geschichte der drei industriellen Revolutionen in einer integrierten Darstellung von wesentlichen Schüben der Produktivkräfte, ökonomischen Entwicklungsstufen, politischer »Formatierung«, philosophischer Reflexion und Ideologiegeschichte neu aufzurollen (»Schwarzbuch Kapitalismus«, 1999).
Die sozialökonomische Analyse der Globalisierung vor dem Hintergrund der gewonnenen Einsichten mußte dann jedoch erneut vertagt werden, weil nach den Terrorangriffen des 11. September das politisch-militärische Moment der krisenhaften planetarischen Vergesellschaftung als zwingende Ereignisgeschichte in der Vordergrund trat. Hatte sich bereits mit dem zweiten Golfkrieg 1991 eine neue Qualität der Kriegführung und des imperialen Zugriffs abgezeichnet, so machten die Interventionen in Afghanistan und im Irak vollends den Charakter eines post-nationalen Sicherheitsimperialismus deutlich. Die Analyse der Globalisierung musste sich deshalb zuerst den Wandel des Imperialismus unter den Bedingungen der dritten industriellen Revolution zum Gegenstand machen und die liegen gebliebene traditionelle Imperialismusdebatte aufarbeiten, um den Übergang von der nationalimperialen Expansion in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts über den Systemkonflikt der Supermächte nach 1945 zum widersprüchlichen »ideellen Gesamtimperialismus« und Krisenkolonialismus heute begreiflich zu machen (»Weltordnungskrieg«, 2003).
Wenn nun zwei Jahre später endlich die politisch-ökonomische Analyse der Globalisierung vorgelegt werden kann, so folgt die Darstellung verständlicherweise nicht mehr dem ursprünglichen Plan. Die Entwicklung vollzieht sich in einem derart atemberaubenden Tempo, dass der Reflexionsstand von Mitte der 90er Jahre längst überholt und ein größerer Überblick möglich geworden ist. Inzwischen hat sich der ohnehin theoretisch seichte Globalisierungsdiskurs vorläufig erschöpft und ist in einen ebenso pragmatischen wie prekären Krisenverwaltungsdiskurs umgeschlagen. Das gibt Gelegenheit, im Kontext einer Realanalyse der fortgeschrittenen Globalisierung die bisherige Debatte darüber in Grundzügen darzustellen und einer notwendig polemischen Kritik zu unterziehen. Diese Polemik zielt gerade auch auf die Bewegung der so genannten Globalisierungskritik selbst, die bis jetzt weitgehend verkürzten und obsoleten Interpretationen traditionslinken und neo-kleinbürgerlichen Zuschnitts verhaftet geblieben ist. Für Hinweise danke ich Uli Leicht, Hanns von Bosse, Petra Haarmann, Roswitha Scholz, Horst Ribbeck und Hans-Jochen Vogel.
Den aufmerksamen Leserinnen und Lesern dieses Buches wird nicht entgehen, dass eine bestimmte Dimension des Globalisierungsprozesses ausgespart bleibt: nämlich die politische Ökonomie der letzten Weltmacht USA im Zusammenhang des Weltsystems, die Rolle des Dollar, der pazifische Defizitkreislauf mit dem problematischen Aufstieg samt einprogrammiertem Absturz zuerst Japans, dann der Tigerländer und neuerdings Chinas, die damit verbundene Vorstellung eines »pazifischen Jahrhunderts« sowie das Verhältnis von USA und EU. Zunächst sollten diese Zusammenhänge in einem abschließenden Kapitel aufgenommen werden. Es stellte sich jedoch heraus, dass dies den Rahmen des Buches gesprengt hätte, weil es sich um verschiedene Ebenen der Analyse handelt. Im »Weltkapital« geht es um die Krisenstruktur des transnationalen Kapitals im allgemeinen, während die Vermittlungen auf der Oberfläche des Weltmarkts und die dabei virulenten weltregionalen Besonderheiten einer anderen Stufe der Konkretion angehören. Diese Ebene soll daher in einem Folgeprojekt mit dem Arbeitstitel »Politische Ökonomie der letzten Weltmacht« aufgerollt werden. Nach dem »Weltordnungskrieg« und dem jetzt vorliegenden »Weltkapital« wäre dies dann der dritte und abschließende Band einer theoretischen Analyse der Globalisierung als Krisenprozess des modernen warenproduzierenden Systems.
Die Welt ist doch eine Ware
Kritiklosigkeit und moralisierende Beschränktheit des Globalisierungsdiskurses
Seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten geistert ein neues Stich-, Reiz- und Drohwort durch die Medienlandschaften dieser Welt: der Begriff der Globalisierung. »Total global« heißt die modische Devise. dass es sich dabei in erster Linie um die Globalisierung des Kapitals handelt, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Denn Kapital, das sich rastlos und endlos verwerten muss, ist sowieso alles: nicht bloß Industrie, Dienstleistungen, Infrastruktur und die Giftschleuder des Agro-Business, sondern auch Kunst, Kultur, Ideen, ja sogar der menschliche Körper und Geist selber als »Humankapital«. Die Ökonomisierung aller Gegenstände und Lebensbereiche ist so weit getrieben worden, wie es überhaupt möglich ist; und sogar darüber hinaus. Es gibt keine Zone des Planeten mehr, die nicht von dieser ökonomischen Seuche befallen wäre. Von Grönland bis Feuerland ist der Kapitalismus mit sich allein; nicht einmal mehr eine Systemvariante (wie es der östliche Staatskapitalismus war) kümmert als Scheinalternative vor sich hin.
Die Flut der Literatur über die Globalisierung seit den späten 80er Jahren, die hier zu kommentieren ist, erweist sich als kritiklos hinsichtlich der kapitalistischen Produktions- und Lebensweise als solcher. Was allgegenwärtig, apriorisch und scheinbar allmächtig ist, wird nicht mehr als besonderer Gegenstand wahrgenommen, sondern sedimentiert zum stummen Hintergrund oder wird zum allumfassenden »Äther« einer Gesellschaft, die in einer Haltung völliger Distanzlosigkeit zu sich selber intellektuell erstarrt.
Damit ist im gesellschaftlichen Mainstreambewusstsein (die sogenannte Wissenschaft eingeschlossen) auch die Grundvoraussetzung jeder Theorie hinfällig geworden, nämlich die virtuelle Außen- oder Vogelperspektive – die Fähigkeit also, »neben sich« zu treten und die eigenen Verhältnisse gewissermaßen von oben oder von außen zu betrachten. Es gibt in der herrschenden Scheindebatte, die den großen Weltkonsens von »Marktwirtschaft-und-Demokratie« immer schon voraussetzt,