Das Weltkapital. Robert Kurz
zurechtkommen, und nur unter dieser Bedingung kann die Landwirtschaft eine große Anzahl von Arbeitskräften beschäftigen. Eine in dieser Form effiziente Produktion ist Voraussetzung für die Produktion von Qualität« (Bové/Dufour 2001, 282).
Hier finden wir die zentralen Kategorien und Kriterien des warenproduzierenden Systems ganz positivistisch und unkritisch wieder: abstrakte »Effizienz«, »Wertschöpfung«, »Beschäftigung« von »Arbeitskräften«. Der inhaltsleere Produktivismus, den Bové und seine Mitstreiter auf der praktisch-sinnlichen Ebene so beredt kritisieren, kehrt begriffslos in ihr Räsonnement zurück, sobald es um die Abstraktionsebene der gesellschaftlichen Form geht, die diese destruktiven Inhalte überhaupt hervorgebracht hat, wie sie sich in den Krisenerscheinungen von dritter industrieller Revolution und Globalisierung verschärft manifestieren. Es geht also auch den Bewegungsaktivisten darum, den Pelz zu waschen, ohne ihn naß zu machen. Sie kritisieren gewissermaßen nur die Oberflächenebene, während das »Betriebssystem« des gesellschaftlichen Formzusammenhangs ausgeblendet bleibt. Insofern denken sie selber in den Kategorien der Ware und wollen sich gar keine Vorstellung über eine Welt jenseits davon machen.
Damit bleiben sie aber auf der basalen Ebene der gesellschaftlichen Form kompatibel mit dem vielgehassten Neoliberalismus. Was dann als vermeintliche Kritik einer Welt der Waren übrig bleibt, ist nichts als eine verkürzte und nebelhafte Denunziation von (subjektiver) »Profitgier« und »Geldgeilheit«, wie sie gerade von reaktionären Demagogen und Kultur-konservativen schon seit gut 200 Jahren bemüht wird. Dufour etwa prangert völlig platt diejenigen an, »die aus allem Profit schlagen wollen, dem Diktat von König Geld folgen« (a.a.O., 210). Das Geld ist aber nur die Erscheinungsform der universellen Warenproduktion, nicht deren Wesen, das in »abstrakter Arbeit« und Wertform gründet. Die Weltkrise der dritten industriellen Revolution geht vom System der »abstrakten Arbeit« selbst aus, nicht bloß von der Oberfläche der Geldbeziehungen. Die Konsequenzen aus dieser verkürzten Kritik macht unmissverständlich Bové deutlich:
»Wozu das führt, sieht man daran, dass die Zirkulation von Geld mehr abwirft als die traditionellen Produktions- und Handelsaktivitäten. Heute bearbeitet das Geld sich selbst: Bei jeder Weltumrundung macht es Gewinn. Wo ist da die Schaffung von Gütern, von Reichtum für andere? Das Geld, die Macht der Aktionäre, die Pensionsfonds, Spekulanten aller Art zwingen den Unternehmen eine solche hohe Profitrate auf, dass ihnen nichts anderes übrig bleibt, als Beschäftigte zu entlassen, obwohl sie Gewinn machen ... Eine neue Art von Parasiten (!), von gelddürstigen Vampiren macht uns das Leben schwer. Geldjunkies sind das« (a.a.O., 211).
Hier wird überdeutlich, dass Bové nicht nur ebenso wie der traditionelle Marxismus die eine Seite der Warenform, nämlich die Produktion oder »abstrakte Arbeit«, gegen die andere Seite derselben Form, nämlich die Zirkulation oder das Geld, auszuspielen sucht. Vielmehr fällt er noch hinter den Marxismus zurück, indem er wie die Utopisten oder der ur-anarchistische Ökonom Proudhon nur das spekulative Geld oder implizit das zinstragende Geldkapital für die Übel des modernen warenproduzierenden Systems verantwortlich machen will, während »traditionelle« Warenproduktion und »Handelsaktivitäten« als solche sogar positiv als Gegenbild beschworen werden. Nicht umsonst bezieht sich Bové gelegentlich auf den alten, in vieler Hinsicht an Proudhon anschließenden Syndikalismus, den historischen Zwillingsbruder des Arbeiterbewegungsmarxismus, der in Wahrheit ebenso obsolet ist. Bové stellt dabei wie seine historischen Gewährsleute das Verhältnis von zinstragendem Kapital bzw. Spekulation einerseits und »Produktionsaktivitäten« andererseits auf den Kopf; denn die Spekulation und das damit zusammenhängende »fiktive Kapital« (Marx), wie sie sich im Zuge der Globalisierung als weltumspannender finanzkapitalistischer Zusammenhang neuen Typs herausgebildet haben, ersticken nicht etwa qua Boshaftigkeit von »gelddürstigen Vampiren« die »gute« und »reelle« Warenproduktion, sondern sie wachsen im Gegenteil schon immer aus den inneren Widersprüchen und Krisen dieser Produktion selbst hervor; und heute eben in neuer Qualität.
Die Globalisierungskritik von Bové läuft auf viel zu kurzen Beinen, weil er bloß zurück will zu einem sowieso idealisierten »traditionellen« Zustand der Warenproduktion, der den anonymen Mächten weltkapitalistischer Vergesellschaftung gegenüber als Imagination des »kleinen« Warenproduzenten geltend gemacht wird. Das ist aber noch nicht alles. Denn die von Bové geschürte Pogromstimmung gegen »die Spekulanten« und die Rede von den »Parasiten« knüpft bewusst an die schlimmsten Ideologiebildungen der Modernisierungsgeschichte an. So naiv kann dieser Bauernführer mit durchaus intellektueller Geschichte gar nicht sein, dass er von diesen Zusammenhängen als Unschuld vom Lande nichts wüsste. Jedem Schulkind ist heute bekannt, dass eine auf Spekulation und zinstragendes Kapital verkürzte Kapitalismuskritik, die mit Begriffen wie »Parasiten« und »Geldjunkies« operiert, unvermeidlich an den antisemitischen Wahn anschließt und ihn füttert. Nach Auschwitz kann man nicht mehr ungestraft eine derart dumpfe Spekulantenhetze betreiben. Auch die Nazis stellten den Gegensatz des »schaffenden« (produktiven) und des »raffenden« (spekulativen, als »jüdisch« konnotierten) Kapitals ins Zentrum ihrer Mordideologie. Bei den Aussagen von Bové kann einem nur noch übel werden. »Die Welt ist keine Ware«, diese scheinbar griffige und weiterführende Parole, knüpft so in Wahrheit an die Naziparole an: »Der Jude (der Spekulant) macht den Menschen zur Ware«. Es ist geistiges Malbouffe, was Bové da verbreitet. Der Ausgangspunkt der Globalisierungskritik von Naomi Klein ist nicht die Landwirtschaft, sondern das Marketing. »No Logo!« bezieht sich auf eine Entwicklung innerhalb des globalen warenproduzierenden Systems hin zu »Markennamen«, bei denen der Gebrauchswert der Ware hinter dem Logo verschwindet und eine virtuelle Pseudorealität aufgebaut wird, die dann auf das wirkliche Leben abfärbt. Die Globalisierung sieht sie vor allem unter diesem Aspekt:
»Die Markenpolitiker gewannen, und ein neuer Konsens wurde geboren. Die Produkte, die in Zukunft florieren, werden nicht mehr als ›Waren‹ präsentiert, sondern als Ideen: die Marke als Erfahrung, als Lifestyle ... Die Markenmanie hat einen neuen Typ des Geschäftsmanns hervorgebracht. Er verkündet mit stolzgeschwellter Brust, die Marke X sei kein Produkt, sondern ein Lebensstil, sei eine Haltung, ein Wertesystem, ein Aussehen, eine Idee ... ›Nike‹, verkündete Phil Knight in den Achtzigerjahren, sei ein ›Sportunternehmen‹; seine Mission bestehe nicht darin, Schuhe zu verkaufen, sondern ›das Leben der Menschen durch Sport und Fitness zu verbessern‹ und ›den Zauber des Sports am Leben‹ zu erhalten. Der Präsident und Turnschuhschamane des Unternehmens Tom Clark erklärt, dass ›wir uns dank der Inspiration des Sports ständig neu gebären können‹. Berichte über solche Erleuchtungen hinsichtlich der ›Markenvision‹ wurden an allen Ecken und Enden laut. ›Das Problem von Polaroid‹, diagnostizierte John Hegarty, Chairman der Werbeagentur des Unternehmens, ›bestand darin, dass man sich immer als Kamera präsentierte, doch der Prozess der (Marken-)Vision hat uns etwas gelehrt: Polaroid ist keine Kamera, sondern ein soziales Schmiermittel‹. IBM verkauft keine Computer, sondern ›Problemlösungen‹ für Unternehmen, Bei Swatch geht es nicht um Uhren, sondern um die Idee der Zeit ... Die radikale Markenpolitik lässt sich keineswegs als bloße Spielwiese für die Vermarkter von modischen Konsumgütern wie Turnschuhen, Jeans und New-Age-Getränken abtun. Caterpillar, eigentlich ein Hersteller von Traktoren und bekannt für seine Gewerkschaftsfeindlichkeit, stürzte sich mit Feuereifer in die neue Markenpolitik und brachte die Cat-Accessoires auf den Markt: Stiefel, Rucksäcke, Hüte und alles Mögliche andere, das nach einem postindustriellen je-nesais-quoi schreit ... Seit Mitte der Neunzigerjahre sind die global operierenden Konzerne ... mit geradezu religiösem Eifer auf den Markenboom eingeschwenkt. Nie wieder wird die Wirtschaft vor dem Altar des Gebrauchsgütermarktes das Haupt beugen. Von nun an wird sie nur noch den durch die Medien geschaffenen Götzenbildern huldigen...« (Klein 2005/2000, 42-46, Hervorheb. Klein).
Ähnlich wie Bové und seine Bauerngewerkschaft trifft auch Naomi Klein mit ihrer Kritik bestimmter Erscheinungen durchaus ein qualitatives Krisenproblem des sich globalisierenden Kapitalismus. Die universelle Warenproduktion, wie sie aus der Logik der Verwertung von Kapital folgt, tendiert dazu, sich vom Gebrauchswert zu entkoppeln. Die französischen Situationisten und ihr Haupttheoretiker Guy Debord hatten schon in den 60er Jahren die scheinhafte Medialisierung und Virtualisierung kapitalistischer Reproduktion mit dem Begriff der »Gesellschaft des Spektakels« bezeichnet. Streckenweise liest sich die Analyse von Naomi Klein wie eine Reminiszenz an die Situationisten im Kontext des beginnenden