Das Weltkapital. Robert Kurz

Das Weltkapital - Robert Kurz


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oft infantile »Botschaft«, eine Lifestyleimagination, die Suggestion eines Lebensgefühls etc. die Nützlichkeit und den realen Genuss. Zunehmender »Gebrauchswertschrott«, an sich peinlich, ungenießbar, bloß noch zum schnellen Wegwerfen bestimmt, wird mit Gefühlen aufgeladen, wie sie die Leere des kapitalistischen Daseins überspielen sollen (»Erlebniseinkauf« etc.; inzwischen gibt es sogar schon »Erlebnisbäckereien«). Diese Entwicklung geht weit über die traditionellen Reklametechniken hinaus, auch wenn sie ursprünglich darin wurzelt.

      dass der Gebrauchswert in gewisser Weise »verschwindet« bzw. völlig verzerrt und sekundär besetzt wird, diese Einsicht tauchte in der Reflexion des »westlichen Marxismus« außer bei den Situationisten in verschiedener Weise auf, konnte jedoch nicht zu einer grundsätzlichen Kritik der Warenform und ihrer globalen Entfaltung zugespitzt werden. Naomi Klein ist dieser Gedankenweg erst recht völlig fremd; ihre Reflexion verbleibt ganz selbstverständlich im Rahmen des warenproduzierenden Systems. Was sie beklagt, ist »die Übermacht des Marketings gegenüber der Produktion« (a.a.O., 43). Die Wirtschaft soll wieder »vor dem Altar des Gebrauchsgütermarktes das Haupt beugen«, der dann eben ein Markt für die Warenprodukte der »abstrakten Arbeit« bleibt.

      Das gilt im weiteren auch für die Produktionsbedingungen selbst: Klein sieht die Erscheinungen des Billiglohns, der miserablen Arbeitsbedingungen, der Privatisierung, der Zwangsmigration usw., wie sie sich im Zuge des Globalisierungsprozesses ständig verschärfen, ebenfalls nur im Kontext der auf »Markenmanie« geeichten, weltweit operierenden Konzerne, die sich hinter den Imaginations- und Identifikationsmustern ihrer »Logos« moralisch verstecken. So richtig die Kritik an der negativen praktischen Erfahrung ist und die Phänomene benennt – sie dringt nicht bis zum Wesen und damit zur immanenten Logik des Gesellschaftsverhältnisses vor, das jene Erscheinungen erst hervorgebracht hat.

      Wie Bové stellt auch Klein eine idealisierte »Produktion« (von Gebrauchsgütern, deren Warenform ausgeblendet bleibt) dem Marketing und der Politik der »Logos« entgegen; und wie dieser erkennt sie nicht, dass die beklagte negative Entwicklung aus dieser Produktion selbst hervorgegangen ist. Und abermals wie Bové kritisiert sie so nicht die globalisierte Warenform als solche, sondern bloß die Tatsache, dass

      »heute so viel Macht im Virtuellen konzentriert ist – in Devisenhandel, Aktienkursen, geistigem Eigentum, Marken und geheimen Handelsabkommen. Indem sich die Protestaktionen auf Symbole konzentrierten, von der berühmten Marke wie Nike bis zum internationalen Gipfeltreffen führender Politiker, wurde das Ungreifbare zeitweise konkretisiert, der riesenhafte Weltmarkt auf ein menschlicheres Maß zurechtgestutzt« (Klein, a.a.O., 507).

      Der Reduktion der Kritik auf die sekundäre Ebene der kapitalistischen Geldbeziehungen entspricht die Fokussierung auf die »Konzerne« statt auf die Produktionsweise selbst, und die krude Personalisierung auf »fiese« Manager und Politiker. Klein versteigt sich zwar nicht zur kaum verhüllten, antisemitisch konnotierten Spekulantenhetze wie Bové, aber ihre Argumentation liegt auf derselben Linie. Nicht um eine »Konkretisierung« des Ungreifbaren handelt es sich dabei, nicht um ein Zurückbringen des riesenhaften Weltmarkts auf das vermeintlich »menschliche Maß« von subjektiven, persönlichen Verursachern, sondern um eine ideologische Mystifikation. Das »Ungreifbare« könnte nur dadurch konkretisiert werden, dass der gesellschaftliche Formzusammenhang, der die handelnden Subjekte übersteigt, in seiner Entwicklung analysiert wird.

      Auch Naomi Klein möchte stattdessen nur eine »gute«, »reelle« Warenproduktion zurückbringen (die es in Wahrheit so nie gegeben hat), eine Warenproduktion mit handfesten Gebrauchswerten, mit anerkannten Gewerkschaften, annehmbaren Löhnen und Arbeitsbedingungen usw., kurz: eine sozial und sinnlich konkret gemachte »abstrakte Arbeit«, ein Widerspruch in sich, und im Grunde genommen bloß eine Idealisierung des Kapitalismus vor der dritten industriellen Revolution und der Globalisierung, aus dem doch gerade die »Gesellschaft des Spektakels« und die heutige Weltkrise hervorgegangen sind.

      Naomi Klein sieht inzwischen selber, dass eine Gegenbewegung, die nur auf der »Entwertung mächtiger kapitalistischer Symbole« (a.a.O., 507) beruht, etwa durch moralische Diskreditierung von »Logos« wie Shell, Nike usw., indem deren üble Praktiken aufgedeckt werden, zu kurz greift: Sie wird von der Semiotik des Marketings wieder eingeholt; sogar dadurch, dass die »Logos« selber paradox mit der Thematisierung des Elends operieren, als würden sie dieses nicht mit erzeugen. Das geht überhaupt nur, weil bei solchen imaginativen Markenkampagnen die Lücke in der kritischen Reflexion ausgenutzt werden kann, die genau in der mangelnden konkreten Kritik von Warenform und »abstrakter Arbeit« besteht.

      Naomi Klein aber propagiert als Alternative (und darin drückt sie nur das gegenwärtige allgemeine Bewegungsbewusstsein aus) nichts als die »Unmittelbarkeit« einer eher gefühlsmäßig bestimmten Gegengesellschaft: »Aktionen, die auf die Erfüllung unmittelbarer Bedürfnisse abzielen« (a.a.O., 513), und ein unmittelbar anders gelebtes Leben und Produzieren im Nahbereich. Wie bei Bové ist es die klassische Illusion vom »kleinen Warenproduzenten«, die hier durchbricht; an der ehrlichen Arbeit und der ehrlichen Ware samt ehrlichem (Klein-)Handel soll die Welt genesen. Werden wir alle echte Kleinbürger, dann wird alles gut.

      Es ist offenkundig, dass die Reflexion in den neuen und weltweiten sozialen Bewegungen, wie sie von Bové und Klein repräsentiert wird, viel zu kurz greift und deshalb der Ideologiebildung verfällt. Die Reichweite der Begriffe ist nicht groß genug und die Kritik geht nicht tief genug, weil die Aufgabe der theoretischen Neubestimmung verfehlt wird. Ein neues Paradigma oder ein neuer Interpretationsrahmen der Kritik kann aber nicht »unmittelbar« aus der bloßen Anschauung der Phänomene entstehen, sondern nur aus der Erarbeitung einer neuen Theorie, die den bisherigen theoretischen Rahmen kritisch überwindet und das alte Paradigma bewußt »historisiert«, statt es bloß zu entsorgen und zu ignorieren. Genau diese Ignoranz, die in krude Theoriefeindlichkeit umschlägt, ist aber hinsichtlich der kritischen Reflexion in den Bewegungen heute noch vorherrschend, ganz bewusst und explizit bei Bové:

      »Nichts wurde vorweg theoretisiert – glücklicherweise. Die Zeit theoretischer Konstruktionen, die gewisse Leute dem Protest der Bevölkerung überstülpten, ist endgültig vorbei. Anders herum wird ein Schuh daraus: Die Menschen haben sich in Seattle zusammengetan, ohne vorher eine fix und fertige Theorie im Kopf zu haben. Sie haben ihre Standpunkte ausgetauscht und dabei festgestellt, dass sie vielfach ähnliche Ansichten vertreten, egal von welchem Kontinent sie kamen. Die Gemeinsamkeit entwickelte sich aus der konkreten Erfahrung der anwesenden Gruppen und nicht aus irgendwelchen abgehobenen Theorien. Viel zu lange schon, hundert Jahre vielleicht, treibt man die Menschen von einer Analyse in die nächste Theorie, Misserfolge und Selbstaufgabe waren das Resultat. Aber heute lassen sich die Menschen in puncto Veränderungstheorien nichts mehr vormachen« (Bové/Dufour, a.a.O., 232 f.).

      Es ist in Wahrheit eine alte Geschichte, die Bové hier reproduziert: nämlich das Ressentiment des bornierten Praktikers gegen die »abgehobene« Theorie, der gegenüber die »Unmittelbarkeit« der Erfahrungen geltend gemacht wird. Aber damit lügen sich die Pragmatiker des Protests eine Bewältigungskompetenz in die Tasche, die sie gar nicht haben. Die Erfahrungen sind ebenso wie die Bedürfnisse nichts unmittelbar und selbstverständlich Gegebenes, sondern sie sind selber gesellschaftlich vermittelt. Weil diese Vermittlung nicht direkt einsichtig ist, muss sie erst sichtbar gemacht werden – und genau darin besteht die Theorie. Sie ist nichts den Erfahrungen Entgegengesetztes, sondern die Reflexion der Erfahrungen auf einer höheren Abstraktionsebene. Aber die Erfahrungen in ihrer Unmittelbarkeit sind selber nicht »konkret«, sondern durch gesellschaftliche Abstraktionen (in der Moderne durch die totalitäre Warenform und deren Widersprüche) vermittelt. Die theoretische Abstraktion versucht dies einsehbar zu machen und zu analysieren – erst dadurch können die Erfahrungen im eigentlichen Sinne »konkret« werden.

      Zu dieser Konkretisierung mit Hilfe der Theorie gehört auch, dass der historische Prozess erhellt wird, in dessen Kontext überhaupt die Erfahrungen stehen. Die Erfahrungen im hier und heute können erst etwas aussagen, indem sie zu den Erfahrungen der Vergangenheit und zur Geschichtlichkeit der Gesellschaft in Beziehung gesetzt werden. Theorie übersteigt auch in dem Sinne die Unmittelbarkeit der Erfahrung, als sie die Reflexion vergangener Erfahrung mit enthält und daher eine eigene Geschichte hat. Wer glaubt, sich darüber hinwegsetzen zu können, wird seine eigenen Erfahrungen


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