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      Wolfgang Pohrt

      Honoré de Balzac

      Der Geheimagent der Unzufriedenheit

      FUEGO

      - Über dieses Buch -

      »Für immer vorbei ist der Moment, wo es möglich war, den betörenden Zauber des Geldes so darzustellen, wie Balzac es tat, oder wie Marx und Engels das Kapitalverhältnis als von einem automatischen Subjekt vorangepeitschtes Ausbeutungsverhältnis zu dechiffrieren. Und eben deshalb, weil Balzacs Werk den vergänglichen und unwiederbringlichen Augenblick bannt, darf es als zeitlos gelten, solange die bestehende Gesellschaft eine Verfallsform der bürgerlichen ist.« Wolfgang Pohrt

      Sechs Essays, die unter dem Titel »Der Geheimagent der Unzufriedenheit. Balzac« 1984 als Buch erschienen und ursprünglich Radiobeiträge für den WDR waren, die 1981 unter dem Titel: »Rückblick auf die Moderne« gesendet wurden.

      »Es gibt ein großartiges Buch von Wolfgang Pohrt über Liebe und Geld bei Balzac, daraus habe ich natürlich auch nichts gelernt, aber es begeistert mich immer wieder aufs Neue.«

      Sophie Rois, KulturSPIEGEL

      »Kluger Essay.«

      Claudius Seidl, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

      »Die Literatur ist nur noch

      ein Spekulationsobjekt!«

      Unterhaltungskünstler und Geheimagent

      Wer heute Neuerscheinungen rezensiert hat große Mühe einen langweiligeren und schlechteren Text zu schreiben als das besprochene Buch. Nichts Inferioreres als hohlköpfige Zeilenschinder unter der Berufsbezeichnung Schriftsteller habe die Menschheit in ihrer langen Geschichte hervorgebracht, muss er denken, und so stellt sich mit der Zeit eine gewisse Überheblichkeit bei ihm ein. Er sollte, wenn er sie kurieren oder dämpfen will, sich Balzac zuwenden, denn die Aufgabe, über Balzac zu schreiben, gibt ihm die verlorene Achtung vor der Literatur zurück. Am eigenen Leibe erfährt man ihre Kraft als Fähigkeit zur Rache am Literaturwissenschaftler, am Journalisten und am Rezensenten. Für die Erbsünde, zur Zunft verhinderter Romanciers oder Dramatiker zu gehören, wird der Schreiber bestraft durch die quälende Pflicht, nun seinerseits sowohl Balzac als auch dessen Bewunderer und Interpreten lesen zu müssen. Gegen die Sekundärliteratur aber, die man mit dem eigenen Text noch verlängert, ist der Geschmack gerade durch Balzac selbst vorzüglich immunisiert.

      Von Balzacs Romanen verwöhnt, ist man unfähig, sich durch seine von André Maurois geschriebene Biografie hindurchzubeißen, einen Wälzer, der durch seinen Umfang wie durch seine blumige Sprache ebenso offenkundig wie vergeblich versucht, Balzacs Gestus zu imitieren. Man liest Hugo von Hofmannsthals Hymne an Balzacs überströmende und unerschöpfliche Fantasie und Schaffenskraft und wird den Nebengedanken nicht los, dass Balzac selbst diesem Lobredner in der »Menschlichen Komödie« nach spätestens einer halben Seite das Wort entzogen hätte. Man leidet schließlich unter Stefan Zweigs aufdringlichen Bemühungen um Poesie und Tiefsinn, man stellt sich dabei unwillkürlich einen Provinzdichter und frischgebackenen Journalisten vor, wie er gerade seine Kollegen langweilt, und man wartet ungeduldig darauf, dass ihn endlich Balzacs Emile Blondet mit der Bemerkung unterbricht: »Mein Lieber, du vergeudest für zwölf Sous Feuilleton.«

      Der Titel, unter dem Stefan Zweigs Essay über Dickens, Dostojewski und Balzac erschienen ist, lautet: »Drei Meister«, und mit dem programmatischen Missverständnis, welches in dieser Auszeichnung steckt, ist das Misslingen von Zweigs Aufsatz über Balzac bereits vorgezeichnet. Die Verleihung des Meistertitels nämlich setzt den Schriftsteller als Handwerker und Hoflieferanten voraus, sie unterstellt das Gelten einer Art Zunftordnung in der Literatur, welche das Verhältnis von Lehrlingen, Meistern und Gesellen regelt, ferner die Einhaltung tradierter Qualitätsnormen und Fertigungsverfahren überwacht und schließlich die Etablierten vor ruinöser Konkurrenz schützt, indem sie die Gründung neuer Betriebe verhindert.

      Balzac aber war kein Nutznießer der Zunftordnung, sondern der Gewerbefreiheit, er hatte keine Lehre absolviert, sondern er war Autodidakt, er gehörte nicht zur Gilde, sondern er war Außenseiter und Parvenü, er lieferte nicht auf Bestellung und persönlichen Wunsch, sondern er belieferte den Markt, er respektierte weder tradierte Techniken noch Qualitätsmaßstäbe, und er war als Schriftsteller weder Geselle noch Meister, sondern er war eine kleine Romanfabrik. Die Absichten, die Zweig ihm unterstellt – »die ganze Weltfülle gierig zu erstreben« oder »das geheimnisvolle Räderwerk der Urtriebe zu erlauschen« – hätte er einem unbedarften Provinzdichter in den Mund gelegt, einem dilettierenden Schwarmgeist vom Lande, der ein überaus dankbares ortsansässiges Lesepublikum mit dem Vortrag seiner wenigen und darum umso kostbarer erscheinenden Verse beglückt, und der in seiner Borniertheit nicht die mindeste Ahnung davon hat, dass schriftstellerischer Heroismus im 19. Jahrhundert heißt: die Tageszeitungen mit Feuilletonromanen zu beliefern und sich in Paris gegen die Konkurrenz tausender anderer Schriftsteller zu behaupten. So steht Balzac einschließlich seiner Affären und seiner Schulden dem Drehbuchautor näher, der für »Dallas« oder »Denver« schreibt, als irgendeinem alten, großen, langweiligen Meister namens Eckehart. Viel genauer als der um Klassizität – seine eigene und die Balzacs – ringende und dabei ins Raunen verfallende Stefan Zweig trifft deshalb Gottfried Benn mit ein paar respektlosen Zeilen die Großartigkeit von Balzac:

      Balzac, der trug kein Amulett und sehnte sich nicht nach Abrahams Schoß, trank dafür fünfzig Tassen Kaffee an seinem Arbeitstag, denn er mußte liefern, Vorschuß abdecken, drei Romane im Jahr waren das Mittel, der Redaktionsbote stand neben ihm am Schreibtisch wegen der Fortsetzung für das Abendblatt. Von da auf jeder Seite das fast planmäßige Gemisch von Kolportage und Genie, von geradezu systematisch vorgebrachtem Feuilletonismus und hinreißender Caprice. Gleicherweise Zeilenschinderei wie sprachlich wachsende Visionen, Geschwätz und Unwiderstehlichkeit, Kino und Erkenntnis.

      Also kein fröhlicher Schaffensdrang oder unbezähmbarer künstlerischer Ausdrucks- und Gestaltungswille trieben Balzac voran, sondern toxische Mengen von Kaffee mussten ihn beim Schreiben unterstützen. Den gewaltigen Strom von fünfzigtausend Tassen hat nach Schätzung irgendwelcher Statistiker seine »Menschliche Komödie« verschluckt. Sein Tagwerk begann er, dabei stets in dieselbe Kutte gekleidet, um ein Uhr nachts, die Füße bisweilen im Senfbad und den Kopf in Ausnahmefällen, wenn ihm trotz drückender Verpflichtungen gar nichts einfallen wollte, von der Opiumpfeife umnebelt. Er arbeitete abwechselnd in luxuriösen, mit kostspieligem Ramsch vollgestopften Wohnungen oder in irgendeiner Absteige, wo er sich unter falschem Namen vor seinen Gläubigern und Gerichtsvollziehern verbarg. Fürs Schuldenmachen hat er die Formel »seinen Kredit vergrößern« gefunden, er verkaufte skrupellos Bücher, von denen noch keine Zeile existierte, und wenn er sich vom Verleger einen Vorschuss erschwindelt hatte, dann reiste er vielleicht wegen einer Frau, die er noch nie gesehen, in deren Briefe er sich aber verliebt hatte, erst einmal nach Italien. Unter diesen Bedingungen schrieb Balzac in 20 Jahren 80 Romane. Dann starb er, völlig erschöpft und krank, im August 1850 im Alter von einundfünfzig Jahren.

      Mag diese kräftezehrende Turbulenz auch in Balzacs Naturell oder in Zufälligkeiten des Alltags begründet sein, so besteht ihre Bedeutung jedenfalls darin, die Verfassung der Literatur in einer für ihre weitere Entwicklung wichtigen Epoche zu spiegeln. Während der Juli-Monarchie in Frankreich von 1830 bis 1848 nämlich, welche mit der Arbeit Balzacs an der »Menschlichen Komödie« fast genau zusammenfällt, unter der Herrschaft des Bürgerkönigtums also, welches die Restauration ablöst, erobern Literatur und Presse erstmals in der Geschichte gemeinsam einen Markt, und es deutet sich an, dass beide Branchen zur Unterhaltungsindustrie fusionieren werden. Walter Benjamin schreibt in seiner Studie »Das Paris des Second Empire bei Baudelaire« über diesen epochalen Einschnitt, über dieses historische Novum:

      Der literarische Tagesbetrieb hatte sich hundertundfünfzig Jahre lang um Zeitschriften bewegt. Gegen Ende des ersten Jahrhundertdrittels begann das sich zu ändern. Die schöne Literatur bekam durch das Feuilleton einen Absatzmarkt in der Tageszeitung. In der Einführung des Feuilletons resümieren sich die Veränderungen, die die Julirevolution der Presse gebracht hatte. ... 1824 gab es in Paris 47.000 Bezieher von Zeitungen, 1836 waren es 70 und 1846 200 Tausend. Eine entscheidende Rolle hatte bei diesem Aufstieg Girardins Zeitung »La Presse« gespielt. Sie hatte drei wichtige Neuerungen gebracht: die Herabsetzung des Abonnementpreises auf 40 Francs (d.h. seine


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