Honoré de Balzac. Wolfgang Pohrt

Honoré de Balzac - Wolfgang Pohrt


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an bis 1847 schrieb Balzac für dieses Blatt pro Jahr einen Roman. Zwischen dem in täglichen Fortsetzungen erscheinenden Feuilletonroman einerseits, andererseits den Inseraten, die einen längst üblich gewesenen Brauch legalisierten, den man damals »réclame« nannte und den man heute Schleichwerbung nennen würde, und schließlich der Halbierung des Bezugspreises bestand ein zwingender Zusammenhang. Der konkurrenzlos billige Preis war ökonomisch nur möglich unter der Voraussetzung, dass sich die Zeitung zum großen Teil über das Anzeigengeschäft finanzierte. Weil der Erlös aus dem Anzeigengeschäft aber unmittelbar von der Auflagenhöhe abhing, brauchte die Tageszeitung eine von den Zufällen der Nachrichtenbörse unabhängige Publikumsattraktion, welche für hohen und regelmäßigen Absatz dergestalt sorgte, dass sie die Leser dauerhaft an ein bestimmtes Blatt zu binden verstand.

      Diese Publikumsattraktion, welche die Verkaufsauflage einer Tageszeitung unabhängig von den sensationellen oder langweiligen Nachrichten des Tages und damit kalkulierbar machte, war der Feuilletonroman. Auch wenn sich auf der Welt absolut nichts Berichtenswertes ereignen wollte, war man gezwungen, die Tageszeitung zu kaufen, um nicht die tägliche Fortsetzung zu verpassen.

      Die Neugier auf die tägliche Fortsetzung aber stieg oder fiel mit der Ausstrahlung, mit der Prominenz, mit dem Ruhm des Verfassers. Der Autor, dem es gelang, sich beim Publikum einen Namen zu machen, wurde zum Star, zum lebendigen Markenzeichen, zur Absatz- und Erfolgsgarantie in einem Geschäft, worin bedeutende Summen auf dem Spiel standen, seit die Zeitung ein Massenartikel geworden war. Entsprechend teuer wurde sein Name gehandelt.

      In seiner Studie über Charles Baudelaire beschreibt Benjamin die damals üblichen Honorare und Usancen im Geschäftsverkehr zwischen Literatur und Presse:

      1845 schloss Dumas mit dem »Constitutionnel« und der »Presse« einen Vertrag, in dem ihm für fünf Jahre ein jährliches Mindesthonorar von 63000 Francs bei einer jährlichen Mindestproduktion von achtzehn Bänden ausgesetzt wurde. Eugène Sue erhielt für die »Mystères de Paris« eine Anzahlung von 100000 Francs. Die Honorare von Lamartine hat man für den Zeitraum von 1838 bis 1851 auf fünf Millionen Francs berechnet ... Die üppige Honorierung von literarischer Tagesware führte notwendig zu Übelständen. Es kam vor, dass Verleger sich beim Erwerb von Manuskripten das Recht vorbehielten, sie von einem Verfasser ihrer Wahl zeichnen zu lassen. Das setzte voraus, dass einige erfolgreiche Romanciers mit ihrer Unterschrift nicht heikel waren. Näheres berichtet ein Pamphlet »Fabriken des Romans, Maison Alexandre Dumas et Cie.« Die »Revue des deux Mondes« schrieb damals: »Wer kennt die Titel aller Bücher, die Herr Dumas gezeichnet hat? Kennt er sie selber? Wenn er nicht ein Journal mit Soll und Haben führt, so hat er bestimmt mehr als eines der Kinder vergessen, von denen er der legitime, der natürliche oder der Adoptivvater ist.« Es ging die Sage, Dumas beschäftige in seinen Kellern eine ganze Kompanie armer Literaten. Noch zehn Jahre nach den Feststellungen der großen Revue – 1855 – findet man in einem kleinen Organ der Bohème die folgende pittoreske Darstellung aus dem Leben eines erfolgreichen Romanciers, den der Autor de Sanctis nennt: »Zuhause angekommen, schließt Herr Sanctis sorgfältig ab ... und öffnet eine kleine hinter seiner Bibliothek verborgene Tür. – Er befindet sich damit in einem ziemlich schmutzigen, schlecht beleuchteten Kabinett. Da sitzt, einen langen Gänsekiel in der Hand, mit verwirrtem Haar ein düster, doch unterwürfig blickender Mann. In ihm erkennt man auf eine Meile den wahren Romancier von Geblüt, wenn er auch nur ein ehemaliger Ministerialangestellter ist, der die Kunst Balzacs bei der Lektüre des ›Constitutionnel‹ erlernt hat.«

      Andere Quellen wollen wissen, dass für Alexandre Dumas genau 73 Autoren geschrieben haben, und von Scribe ist bekannt, dass er für die Dialoge seiner Stücke eine Reihe anonymer Mitarbeiter, »Neger« genannt, beschäftigte. Bei Balzac taucht die Figur des »literarischen Kupplers« bereits in einem der ersten erfolgreichen Romane auf, im »Chagrinleder«, erschienen 1831.

      Raphael de Valentin, selber in jungen Jahren Schriftsteller aus Leidenschaft, klatscht über Finot, den Namenspatron zahlloser von ihm nie geschriebener Texte. Der Ort ist das Café de Paris, bekannt für besonders frische Austern, Finot sitzt außer Hörweite am Nebentisch:

      *Honoré de Balzac, »Die Menschliche Komödie«, Gesamtausgabe in 12 Bänden, übersetzt, eingeleitet und herausgegeben von Prof. Dr. Ernst Sander. München 1971. Alle Zitate Balzacs sind im folgenden dieser Ausgabe entnommen. Die in Klammern gesetzten Ziffern beziehen sich auf Bandnummer und Seitenzahl.

      »Dieser Bursche«, flüsterte Rastignac mir zu, »hat die Ehrenlegion bekommen, weil er Werke veröffentlicht hat, die er nicht versteht; er ist Chemiker, Historiker, Romanautor und Publizist, ist mit einem Viertel, einem Drittel, der Hälfte an wer weiß wie vielen Theaterstücken beteiligt und dabei dumm wie Don Miguels Maulesel. Er ist kein Mensch, sondern ein Name, ein dem Publikum vertrautes Warenschild. Daher wird er sich sorglich hüten, eines jener Kabinette zu betreten, die die Inschrift tragen: ›Hier kann man selber schreiben.‹« (XI., S. 134)*

      Im Maße also, wie die Literatur eine Sparte der Unterhaltungsindustrie wurde, verwandelte das Namenszeichen des arrivierten Autors sich in ein wertvolles und vielseitig verwendbares Gütesiegel, zumal nach der Ausweitung des Marktes auch die Zeit vorüber war für das Lesepublikum im antiquierten Sinne, für die begrenzte, überschaubare Gruppe von Kennern. Adressat auch der Literatur wird nun die anonyme Masse der Käufer und Wähler, jenes unberechenbare und bisweilen schwer kontrollierbare Gebilde, um dessen Gunst seit der Großen Revolution sich bemühen muss, wer ökonomischen, literarischen oder politischen Erfolg haben möchte. Mit seinem Einfluss auf die Masse, die er dem vertrauenerweckenden Klang seines Namens verdankt, befindet sich der erfolgreiche Romancier also im Besitz einer schwer zu erwerbenden und daher gesuchten Fähigkeit. Als potenzieller Demagoge und Propagandist wird er nicht einem separaten Bereich der arbeitsteiligen Gesamtproduktion zugerechnet, sondern er rückt ins Zentrum des öffentlichen Interesses und des gesellschaftlichen Lebens. Umso größer ist nun die Versuchung für ihn, sich als Werbeträger engagieren zu lassen oder zum Typus des Unterschriftstellers zu mutieren, als jeder öffentliche Auftritt im Dienst der guten Sache zugleich Reklame für den eigenen Namen bedeutet, auf dessen Lancierung ein moderner Schriftsteller sich verstehen muss.

      Aus objektiven Gründen, eben weil auf dem Unterhaltungsmarkt zahllose Anbieter zahllosen zunächst orientierungslosen Nachfragern gegenüberstehen, ist sein literarischer Erfolg an seinem Ruhm als Person der Zeitgeschichte geknüpft, denn ohne den zugkräftigen Namen auf dem Umschlag fänden seine Bücher keine Verbreitung. Die Eroberung des Marktes und der Masse wird daher zur dominierenden Publikationsstrategie, und eine draufgängerische Haltung, wie sie in Deutschland gern guten Journalisten von unbegabten Literaten vorgeworfen wird, prägt die Literatur selber. Als literarischen Ausdruck des Verschmelzens von Reklame, Literatur, Unterhaltung und Politik könnte man stilistische Eigentümlichkeiten Balzacs interpretieren, die Hugo Friedrich in ganz anderem Zusammenhang erwähnt:

      Balzac liebte es, sich die Wirkung seiner Feder vorzustellen wie einen Feldzug Napoleons: unwiderstehlich. Sein Künstlertum ist propagandistisch. Er erzwingt sich die Aufmerksamkeit seiner Leser mit der Wucht seiner tragischen Akzente, er wühlt elementare Gefühle auf: Schreck, Angst, Spannung, Sorge, Mitleid, Erschauern vor dämonischen Untergründen, vor dem Halbdunkel krimineller oder geisterhafter Geschehnisse.

      Der Wille, im Handstreich die Massen und die große Welt zu erobern, wird gerade bei Balzac von der in Briefen oft geäußerten Hoffnung genährt, nach Veröffentlichung seines nächsten Romans werde ihm die ganze Welt, aller Reichtum und alle schönen Frauen zu Füßen liegen, ihn »hüten wie ihren Augapfel«, wie er einmal schreibt. Sein liebenswerter und unerfüllbarer, weil maßloser Kinderwunsch ist trotz aller fantastischen Überspitzung nicht einfach wirklichkeitsfremd, insofern schon damals ein politisches Amt die Karriere eines Unterhaltungsschriftstellers krönen konnte. Benjamin beschreibt die Verflechtung von Politik und Feuilleton:

      Die hohe Dotierung des Feuilletons verbunden mit seinem großen Absatz verhalf den Schriftstellern, die es belieferten, zu einem großen Namen im Publikum. Es lag für den Einzelnen nicht fern, seinen Ruf und seine Mittel kombiniert einzusetzen: Die politische Karriere erschloß sich ihm fast von selbst. Damit ergaben sich neue Formen der Korruption, und sie waren folgenreicher als der Mißbrauch bekannter Autorennamen. War der politische Ehrgeiz des Literaten einmal erwacht, so lag es für


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