Beim Zwiebeln des Häuters. Gerhard Henschel

Beim Zwiebeln des Häuters - Gerhard Henschel


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das war sehr nett. Die taz les ich immer gerne ...

      Wer hat denn das veranlasst?

      Mein Freundeskreis. Aber ich hab auch gute Kontakte zu den jungen Leuten von der Presse.

      Aha.

      Ja, und wollten Sie auch was wissen? Haben Sie Krankheiten?

      Ich?

      Krankheiten? Oder Kriegsverletzungen?

      Kriegsverletzungen?

      Kriegsverletzungen haben Sie auch nicht? Sie sind weißer Jahrgang?

      Wie nennen Sie das?

      Sie haben nicht gedient?

      Nicht gedient, nein.

      Ja, dann tut’s mir leid – ich hab hier noch Kameraden zu sprechen. Aber ich wünsche Ihnen noch ein schönes Leben. Sie könnten’s ja mal in der Fremdenlegion versuchen. Haha! Das war jetzt ein Scherz von mir. Auf Wiederhören!

      Wiederhören.

      Jünger. Hallo?

      Ja, also, äh, ich möchte nur gern wissen, wer hinter dieser Anzeige eigentlich steht.

      Ja, das bin ich. Zum Geburtstag.

      Nein, also, das ist nicht Ernst Jünger! Also bitte: Wer steht hinter dieser Anzeige?

      Ja, man ist nicht mehr derselbe mit hundert, aber, äh, das Leben ist schön ...

      Also hören Sie, was Sie mir da erzählen, will ich gar nicht hören. Ich möchte gern wissen, wer hinter der Anzeige steht!

      Ja, das sind unter anderem meine Gratulanten und Freunde ...

      Ach was! Also, Sie sind nicht Ernst Jünger! Sie sind derjenige, der hier das in Auftrag gegeben hat!

      Ja, aber Sie wollen mich ja nur schmähen. Entschuldigung, ich hab so viele Feinde, mit denen möchte ich nicht so gerne sprechen ...

      Ach, Unsinn, das ist alles Unsinn, was Sie sagen!

      Auf Wiederhören.

      Ja, Jünger. Hallo?

      Ja, hier ist Günter Gerhard, Bad König, ich hab da ’ne Frage. Wer ist am Telefon?

      Ich bin’s, das Geburtstagskind, und beantworte gerne Fragen zum Lebenslauf oder auch so andere Sachen, was Sie wissen möchten.

      Was ich wissen möchte – wie Sie, Herr Jünger, den aufkommenden Nationalismus beurteilen, etwa in Österreich den Haider oder Le Pen oder bei uns die Nationalsozialisten, die ja stark im Kommen sind. In Russland, im ehemaligen, gibt’s ähnliche Tendenzen ...

      Ja, ich bin da nicht dafür. Ich bin mehr ein konservativ denkender Mensch, und das ist nicht gut.

      Ja, das ist nicht gut, aber was können wir dagegen tun?

      Lichterketten, demonstrieren, Unterschriftenlisten, und ich spreche aber auch persönlich mit dem Präsidenten darüber.

      Ja, das war schon mein Anliegen! Ich meine, ich hab gestern die ZDF-Sendung gesehen und hab auch »Marmorklippen« gelesen, und solche Fragen sind so aktuell, dass Sie als prominenter Philosoph und Schriftsteller da sich ’ne Meinung zu haben.

      Das ist richtig.

      Ich bedanke mich.

      Ja, ich auch, und ich spreche mit dem Präsidenten Hindenburg darüber. Wiederhören!

      Titanic 5/1995

      Lieber Harry Rowohlt!

      In Willi Winklers Nachruf auf Thomas Strittmatter in der taz haben wir gelesen: »Anfang vergangenen Jahres traf ich ihn wieder, bei der Silberhochzeit von Harry Rowohlt.« Da dachten wir ungefähr folgendes: »Silberhochzeit? Mit wem ist Harry Rowohlt denn verheiratet? Mit Ernst Maria? Ach nee, der ist ja ledig.«

      Wir finden das lustig.

      Titanic

      Titanic 10/1995

      Von Abraham bis Zwerenz

      Was ist das: Es ist dick, es ist schwer, es hat 2.230 Seiten, es gehört den deutschen Lehrerbildnern, und wir alle haben es bezahlt?

      Es ist die Anthologie »Von Abraham bis Zwerenz«, herausgegeben vom Bundesbildungsministerium und vom rheinland-pfälzischen Bildungsministerium als »Beitrag zur geistig-kulturellen Einheit in Deutschland«, vertrieben vom Cornelsen-Verlag – ein deutsches Dokument exorbitanter Dummheit.

      »Diese dreibändige Anthologie«, heißt es im Impressum, werde »den Lehrerfortbildungseinrichtungen der Länder, dem Volkshochschulverband und den Universitäten für Aus- und Weiterbildungszwecke kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Anthologie gelangt nicht in den Buchhandel. Sie ist unverkäuflich.«

      Aber der Reihe nach. 1992 organisierte das Bundesbildungsministerium den Schriftstellerkongress »Chancen für eine menschliche Gesellschaft« auf Rügen, 1993 das Kolloquium »Literatur und Umwelt« in Klingenthal und 1994 die Tagung »Literatur während der Wendezeit« in Katlenburg. Diese Butterfahrten für kontaktarme, vornehmlich aus den neuen Bundesländern angereiste Autoren seien »von hohem Wert als Anregung und Denkanstoß« gewesen, schrieb die Schweriner Zeitung. Der Ministerialrat Wilhelm Boeger berichtet im Vorwort der Anthologie, dass der Denkanstoß in Katlenburg direkt ins kleine Schwarze getroffen habe: »Die Lehrerbildner aus den neuen Bundesländern beschlossen spontan, eine Arbeitsgruppe zu bilden, die Kursangebote mit den Texten der Anthologie entwickelt.«

      Man sieht sie vor sich, die Lehrerbildner und die armen Poeten, wie sie am Resopaltisch hocken, mit den Fingern knacken und Kursangebote zur Verbreitung drögster Zonenprosa entwickeln. Überschrift: Die Spontaneität der Lehrerbildner. »So entstand eine einzigartige Sammlung dichterischer Zeugnisse über den schwierigen und dennoch schönen Prozess des Zusammenwachsens«, schreibt der Ministerialrat. Er möchte zum Ausdruck bringen, dass alles sich wandele, doch er kann es nicht: »Schon wird das staunende ›Wahnsinn‹! durch zweifelndes ›Wahnwitz‹? ersetzt, die Dichter sind hautnah dabei.«

      Für das zweite Vorwort hat das Ministerium den Literaturprofessor Heinrich Mohr aus Osnabrück aufgeboten. Und Heinrich Mohr hat sich einen Gedanken zu machen versucht: »Der angesprochene Leserkreis ist in der Pädagogik tätig: Lehrerfort- und -weiterbildung. Mir will einleuchten, dass gerade Menschen, die immer wieder pädagogisch stimmige und erfolgversprechende Konzepte durchdenken und realisieren müssen, Appetit auf die Wildnis haben. Hier ist die Wildnis.«

      Wer hätte gedacht, dass es jetzt ein Regierungsziel ist, Lehrerbildner wild zu machen?

      Im dritten und letzten Vorwort stellt die Literaturkritikerin Christel Berger fest: »Die Texte zusammen ergeben einen eigenartigen Teppich, seltsam miteinander verknüpft und verwoben.« Beim Verknüpfen und Verweben hat man sich im Bildungsministerium aber keine große Mühe gegeben. Die wilde Erfurter Poetin Gabriele Stötzer erscheint auf dem Schutzumschlag im Fettdruck unter dem Namen »Gebriele Stötzner«, und wenn man den ersten der drei Bände öffnet, fällt eine Errataliste heraus. Auch beim Motto hat man sich vertippt. Griechische Zitate, mit denen man prunken wollte, hauen vorne und hinten nicht hin, und gleich auf den ersten Seiten heißt es buchstäblich, es seien »geistige Schleusen geöffnet« worden, und die Texte stünden »anscheinend unverträglich, sich einander ausschließend nebeneinender« – die ganze Anthologie wimmelt von Druckfehlern und muss von Betrunkenen lektoriert worden sein.

      Alle 104 beteiligten Autorinnen und Autoren hat der Bildungsminister von Klaus Ensikat und Harald Kretzschmar porträtieren lassen. Scheußlicheres hat die Welt noch nicht gesehen. Es sind arrivierte Langweiler dabei wie Günter Grass und Christa Wolf, in der Mehrheit jedoch unbegabte Zonenzausel, die Clique der Unvermeidlichen, die immer zur Stelle ist, wenn es etwas umsonst gibt – Hallenser, Halloren, Halunken.

      Die Gelegenheit, einmal richtig Tacheles zu reden und den Lehrerbildnern Appetit auf die Wildnis zu machen, hat kaum jemand verstreichen lassen. Dieter Mucke aus Halle tut kund: »Ich bin so praktisch / Dass ich mir mit dünnen Gedichten den Mund abwische / Wenn keine Serviette zur Hand ist.«


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