Beim Zwiebeln des Häuters. Gerhard Henschel
Hubbard in einem putzigen, Wissenschaftlichkeit suggerierenden Fachchinesisch: »Der reaktive Mind zwingt dem analytischen Mind und dem Organismus seine Engramme jedesmal auf, wenn sie nach ihrem Key-in restimuliert werden.« Aber was sind Engramme? »Dem Baby prägt sich ein Engramm ein. Dieses wird irgendwann im Laufe des Lebens eingekeyt. Und dann ist der Dämonenschaltkreis am Werk.« Und was geschieht dann? »Für jedes Engramm eines Menschen mögen, falls er eingekeyt worden ist, Hunderte von Locks vorhanden sein.« Woraus folgt: »Wenn der reaktive Mind des Preclears das Basik-Basik abblockt, dann sollte der Auditor mehr reaktive Emotionen entladen ...« Basik-Basik? »Der Basik-Basik ist der tiefste Punkt auf dem Time-Track.«
Das Scientology-Glossar umfasst auch »Plus-Emotionen«, »Withholds«, »ARC-Breaks«, und »Mock-Ups« (»Ein Mock-Up ist nicht so sehr ein mentales Bild, sondern eine zusätzliche Beingness«). Auf einer Tonskala werden dazu verschiedene Werte angeordnet: »Die ständige Position auf der Tonskala wird von drei Faktoren bestimmt. Der erste das bei einer Person angesammelte Entheta, d. h. der Anteil ihres Thetas, der in Engrammen und analytischen Locks enturbuliert ist ...«
Dem neutralen Leser zeigt sich: Hubbard babbelt. Und die Übersetzung macht es nicht besser: »Dies sind wertvolle Informationen. Verschaffen Sie sich Realität dazu.« Zu den Informationen zählen von Hubbard persönlich entwickelte Rezepte für Babykost, aber auch luzide ökonomische Analysen: »Heute ist der Wirtschaftstopf fast am Überkochen. Zu viele Spekulanten, zu viele unehrliche Menschen, die zuviel Hass erzeugen, zu viel Steuermissbrauch, zu viele Propagandisten, die ›Nieder mit dem Geld!‹ schreien, zu viele Dummköpfe – all das summiert sich zu einer explosiven Wirtschaftsatmosphäre.« Ob das die Führungskräfte überzeugt?
Es wird selten argumentiert und um so öfter gepoltert in Hubbards Werken – giftig, rigide und autoritär. Homosexuelle, erklärt er, seien pervers und krank, und eine Gesellschaft, die sie dulde, »verdiente selbst nicht zu überleben«. Kriminalität sei auf »unterdrückerische Personen (SPs)« zurückzuführen: »Die Gesellschaft weiß nicht, dass sie lediglich ihre wenigen SPs einsammeln müsste, um Verbrechen auszumerzen.« Nützlich seien auch Berufsverbote: »Jeder Richter oder Arzt, der eine Abtreibung empfiehlt, sollte sofort seiner Stellung enthoben werden, gleichgültig, welchen ›Grund‹ er hatte.« So sind L. Ron Hubbards gesellschaftspolitische Visionen beschaffen. Auf die Demokratie ist er nicht gut zu sprechen – »die Demokratie hat uns Inflation und die Einkommenssteuer beschert«, doch darüber hinaus habe sie dem Menschen nichts eingebracht, »außer ihn weiter in den Schlamm zu stoßen«.
Und wer es wagt, Scientology zu kritisieren, der gehört zu den Querulanten, die eines Tages eingesammelt werden, wenn es soweit ist: »Sie sind Unterdrücker. Ich weiß das. Ich habe sie ganz und gar durchschaut, bis hinunter zu der kleinen Schlacke, die sie ihre Seele nennen.« Freundlich, hilfsbereit und bestrickend charmant treten die Ehrenamtlichen Geistlichen in den Fotoromanen auf, aber wenn es ans Eingemachte geht, packt den Chef der Jähzorn. Die Botschaft ist deutlich: Wir können auch anders!
Zwischen Küchenrezepten, Dämonenschaltkreisen und überkochenden Wirtschaftstöpfen versteigt sich Hubbard schließlich zu Verschwörungstheorien, die einem die Haare zu Berge stehen lassen: »Zum Beispiel öffnete die Schule der Psychologie und Psychiatrie an der Leipziger Universität das Tor für die Konzentrationslager im Hitler-Deutschland. Unter Zuhilfenahme von Drogen benutzten diese Leute offenbar Hitler als ihre Marionette.« Offenbar? Die Wahrheit über die Konzentrationslager der Nazis muss sich Hubbard jedenfalls durch Offenbarung erschlossen haben, denn er bleibt jeden Beweis schuldig. Und er holt er noch weiter aus. Jene Psychologen und Psychiater, die Hitler »offenbar« als Marionette benutzten, hätten Völkermord an den Deutschen verübt: »Sie folterten, verkrüppelten und schlachteten über 12 000 000 Deutsche in Konzentrationslagern.« Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten diese Schlächter sich in der ganzen Welt ausgebreitet. Sie »schüchterten Nachrichtenmedien ein und zerstörten jede neue Technologie«, und zu guter Letzt hätten sie auch die Herrschaft erlangt über »diejenige Stelle, die alle Gesundheitsminister in der ganzen zivilisierten Welt ernennt«. Das alles sei »durch Dokumente belegbar«. Wo die Dokumente schmoren, die seine Räuberpistole belegen, hat Hubbard – so wie immer, wenn man es etwas genauer wissen möchte – tunlichst verschwiegen.
Die Geheimniskrämerei ist natürlich aus der Not geboren, denn die sensationellen Dokumente existieren nicht. Aber über Quellenangaben ist Hubbard ohnehin erhaben. Wer den altbösen Feind erkannt hat – den Dämonenschaltkreis, den Giftmischer in der Küche, die Leipziger Psychologen –, der hält sich nicht lange mit der Beweisführung auf. Der Verschwörungstheoretiker nimmt an, er müsse nur mit dem Finger auf jemanden zeigen, um ihn zu überführen. Als Fingerzeig für die nächsten endlosen Billionen Jahre ist das allerdings recht dürftig.
Wie viel Macht Scientology inzwischen besitzt und welche Gefahren daraus auch immer erwachsen mögen – von den grundlegenden Schriften Hubbards geht keine aus. Sie sind lachhaft und konfus. Das Werk eines Übergeschnappten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.9.1996
Lateralsäulen instabil
Über Michael Crichton
In Michael Crichtons Roman »Die Gedanken des Bösen« starren Wissenschaftler tief unter Wasser auf einen »Plasma-Bildschirm« und bereiten sich auf den Angriff eines Monsters vor, das irgendwie gleichzeitig aus der Zukunft, aus der Vergangenheit und aus dem Weltall gekommen ist. Dann wird es ernst:
»›Ich habe eine Wärmereaktion im Außenbereich‹, sagte Tina. Barnes nickte. ›Richtung?‹ ›Osten. Kommt näher.‹ Sie hörten ein metallisches Klunk! Dann noch eins! ›Was ist das?‹ ›Die Planquadrate. Es stößt gegen das Messgitter.‹«
Was man eben so sagt, wenn man keinen Funken Leben in sich hat, sondern nur als Spannungsbogenpfeiler in einem SF-Thriller herumsteht.
»›Schalten Sie um auf aktiv‹, befahl Barnes. Das Pang des Sonars hallte laut im Raum. ›Ziel gefunden. Hundert Meter‹, sagte Tina. ›Bilden Sie es ab.‹ ›FAS eingeschaltet, Sir.‹ Eine rasche Folge von Sonarechos ertönte: Pang! Pang! Pang! Pang! Pause. Dann wieder: Pang! Pang! Pang! Pang!«
Wie im Wilden Westen.
»Pang! Pang! Pang! Pang! ›Bild wird aufgebaut. Neunzig Meter.‹ Pang! Pang! Pang! Pang! ›Bild fertig.‹ Sie blickten auf die Bildschirme. Norman sah einen gestaltlosen streifigen Klecks. Er konnte nichts damit anfangen. ›Teufel noch mal‹, sagte Barnes. ›Sehen Sie nur, wie groß es ist!‹ Pang! Pang! Pang! Pang! ›Achtzig Meter.‹ Pang! Pang! Pang! Pang!«
Erst in seinem Roman »Vergessene Welt« ist Crichton vom Pang zum Peng gelangt: »Von unten kam lautes metallisches Knallen – Peng! Peng! Peng! –, die Windungen der Stahlspirale brachen ...« Geboren wurde Chrichton 1942, aber es liegt nahe, sich ihn als lebenslänglich Elfjährigen vorzustellen, wie er – Pang! Pang! Pang! Pang! – selbstvergessen und begeistert auf die Tasten drischt, wenn ihm wieder eine besonders schale Dialogzeile eingefallen ist.
»›Fünfzig Meter, kommt näher‹, meldete Tina. Pang! Pang! Pang! Pang! ›Dreißig Meter.‹ Pang! Pang! Pang! Pang! ›Dreißig Meter.‹ Pang! Pang! Pang! Pang! ›Bleibt auf dreißig Meter, Sir.‹ Pang! Pang! Pang! Pang! ›Behält denselben Abstand bei.‹ ›Auf passiv gehen.‹ Erneut hörten sie das Zischen des Unterwasser-Horchgeräts. Dann ein deutlich hörbares Klicken. Normans Augen brannten. Schweiß war ihm in die Augenwinkel gelaufen. Er wischte sich die Stirn mit dem Ärmel. Auch die anderen schwitzten. Die Spannung war unerträglich.«
Unerträglich ist vor allem die Langeweile, die Crichton verbreitet, jedenfalls unter denen, die von einem Werk der Literatur andere Qualitäten als die einer planen Drehbuchvorlage erwarten. Er hat ein exzellentes Gespür für populäre Themen, und er besitzt die tückische Gabe, seine Geschichten so zu erzählen, dass sie auch von anderen Elfjährigen begriffen und goutiert werden können. Avantgardist ist Crichton nur beim Erwittern von Modetrends; als Erzähler ist er jämmerlich konventionell, ein Epigone des bürgerlichen Realismus nach einem Soap-Opera-Drehbuch-Crashkurs.
Im Februar 1997 hat sich Andreas Kilb in der Zeit mit der »Kino-Prosa« auseinandergesetzt, »die zwar noch als Buch erscheint, aber in Wahrheit