Einstürzende Gedankengänge. Ulrich Land
dass Ihnen der Fall entzogen wurde und ...«
»Wie bitte was?«
»... und dass Sie beurlaubt sind. Fürs Erste. Erst mal nur fürs Erste.«
»Aha, nur fürs Erste erst mal.«
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13
Du drückst die Klinke runter, schiebst mir nichts, dir nichts die Tür auf und setzt schwungvoll an hineinzumarschieren ... Du hast dir nicht die geringsten Gedanken darüber gemacht, was du womöglich vorfinden würdest, – sowieso alles egal –, aber der Anblick, der sich dir jetzt bietet, lässt dich, zumindest für einen Augenblick, dann doch zur Salzsäule gefrieren. Sie liegt fakirgleich auf dieser knorpelharten Couch, unbequem ist, wie gesagt, gar kein Ausdruck, hat den offenbar grade aus den Traumtiefen eines wohligen Nickerchens gerissenen Schädel vom schräggestellten Kopfteil gehoben und starrt mit schreckgeweitetem Blick zur Tür, auf deren Schwelle du immer noch rumstehst wie eine unentschiedene Mischung aus Falschgeld und Django.
»Herr Dollinger?«
»Ich, das muss sofort ... also ...«
»Auch ich hab irgendwann mal Mittagspause«, mault sie mit einer Kälte in der Stimme, die du ihr nie zugetraut hättest. Ausgesprochen untherapeutisch. Aber davon kannst du dich jetzt beim besten Willen nicht beeindrucken lassen.
»Sie müssen mir helfen, sofort«, stammelst du, »ich kann jetzt beim besten Willen nicht mehr auf irgendwelche Mittagspausen oder Analysen oder was warten. Sie müssen mich wieder grade rücken!« Und zwar sofort, schiebst du in Gedanken nach, ohne es freilich auszusprechen. Besser, sagst du dir, besser, du erklärst dich wenigstens einigermaßen nachvollziehbar. »Die haben mich abgezogen von dem Fall, und ich garantiere Ihnen, die wollen mich über kurz oder lang vom Dienst suspendieren. Und vorher muss ich mich selbst wegen Mordverdacht in U-Haft stecken. Sobald die die letzten Spuren ausgewertet haben. Scheiße, ich bin mir überhaupt keiner Schuld bewusst.«
»Aber«, sagt sie mit allmählich wieder therapeutischweichgespülter Stimme, rappelt sich auf und setzt sich mit einer unbeholfenen Körperdrehung auf die Kante ihrer Knochenfolter-Couch, »aber Sie können es auch nicht ausschließen, dass Sie’s nicht vielleicht doch getan haben könnten.«
Du glaubst, du spinnst! »Was? Ich glaub, ich spinne! Was reden Sie denn da!« Aber schließlich geht dein aufmüpfiger Tonfall doch baden und du murmelst kleinlaut: »Sie glauben also auch, könnte sein, dass ich ... Verfluchte Scheiße, das müsste ich doch wissen! Ich bin doch nicht völlig panne. Frau Wernigge, Sie müssen mir ganz schnell wieder die Möbel grade setzen im Kopf. Ich will jetzt hier gleich rausgehn und zum Chef stratzen und ihm sagen: Hier bin ich, bei mir ist alles klar im Dachstübchen, und der Fall ist wieder meiner. Okay? Also machen Sie, tun Sie was!«
Die Wernigge zupft sich die Bluse zurecht, drückt die Beine durch, setzt die Füße mit Schwung auf den Boden und lässt die Couchkante weit hinter sich.
Generalstabsmäßigen Schritts geht sie rüber zu ihrem ebenfalls kargen, aber wenigstens gepolsterten Therapeutenstuhl und setzt sich. »Vielleicht, Herr Dollinger, vielleicht waren’s ja tatsächlich nicht Sie ...«
Das schlägt dem Fass den Boden aus. »Vielleicht?!«, donnerst du sie an.
Aber sie fährt völlig unbeirrt in ihrem Programm fort: »... sondern Ihre zweite Person.«
»Meine zweite was? Sagen Sie, bin ich hier bekloppt oder wer?«
Kaum richtig Platz genommen, erhebt sie sich wieder und schreitet in ausladenden Kreisen durch den Raum. Offenbar ist, was jetzt kommt, zu gewichtig, als dass sie es im Sitzen würde zum Vortrag bringen wollen. »Ich hab jetzt nicht viel Zeit, gleich nach der Mittagspause hab ich die nächste Sitzung. Also nur so viel: Die Symptomatik der dissoziativen Identitätsstörung nimmt sich in der Regel so aus, dass ...«
Ist wahrlich nicht ganz ohne, einen psychotherapeutischen Fachvortrag über sich ergehen zu lassen, während man dermaßen auf heißen Kohlen hockt, dass einem ... immerhin geht’s ja um keinen andern als um dich! Aber du zwingst dich, Aufmerksamkeit zu heucheln. Schließlich hast du den Kopf so richtig in der Schlinge, und diese Frau, die ist die einzige, die den wieder ... Vielleicht.
»Die Ausbildung multipler Persönlichkeiten«, doziert sie und verschränkt die Hände überm Steiß, während du dich auf dem asketischen Liegemöbel der Selbsterkenntnis niederlässt, »ist ein äußerst effektives Abwehrsystem für Menschen, die im Kindesalter eine grausame, anhaltend traumatisierende Erfahrung machen mussten. In Ihrem Fall ist das primäre, das im Alltag dominante System die Person des korrekten, perfekten und erfolgreichen Ordnungshüters.«
»Und die andere Person?«, versuchst du mehr schlecht als recht mitzudenken.
»In Ihrem Fall der Loser, der ständig vom Damoklesschwert seiner früher erlittenen physischen und psychischen Schmerzen eingeholt wird. In ihrer ungezügelten Aggressivität erfüllt diese Persönlichkeit sich ihre Bestimmung, indem sie schwere Straftaten begeht, nicht nur aus brutaler Rache, sondern auch, um die Strafe, die der Tat auf dem Fuße folgt, als gerechte Selbststrafe zu erleben.«
Wenn dir bislang noch nicht heiß und kalt war, dann jetzt. »Von was reden Sie da, von was für früheren Schmerzen?«
»Tja«, die Wernigge ist stehen geblieben und stützt die Hände in die Hüften, »das, Herr Dollinger, wird unsre nächste Aufgabe sein, das rauszukriegen. Ihre zweite Persönlichkeit lebt jedenfalls genau die Potenziale aus, die sie in ihrem Primärsystem als Kommissar täglich bekämpfen. Und deshalb müssen Sie Ihre brutale Seite verdrängen und tabuisieren.«
Verdrängen und tabuisieren … Heh, Moment mal, wenn du jetzt eins und eins zusammenzählst, dann ...
dann dürfte das ja wohl heißen. dass du deinen Zweitdollinger vor dir selbst totschweigst, dass du glaubst, überhaupt nichts davon zu wissen, dass du all das komplett wegklickst … dass das alles bloß ein Rettungsmanöver ist, um deinen Alltag heil über die Bühne zu bringen. Oder wie?
»Dabei muss uns keineswegs irritieren, dass Ihr mit krimineller Energie aufgeladenes sekundäres Persönlichkeitssystem jetzt zum Ausbruch kommt, dass es in den letzten Jahren vielleicht sogar völlig verstummt war. Immerhin waren Sie ja während Ihrer Polizeiausbildung und auch in Ihrer bisherigen Berufspraxis höchst erfolgsverwöhnt.« Die Wernigge ist voll in ihrem Element, stürzt sich mit krakenhaftem Elan in dein Kauderwelsch im Schädel. Ihre Mittagspause hat sie, wie’s aussieht, völlig vergessen, so gut gefällt ihr augenscheinlich dein Krankheitsbild. »Jetzt aber, den aufzuklärenden Kindesmisshandlungsfall vor der Brust, könnte das im Untergrund nach wie vor rumorende abgespaltene Persönlichkeitssystem wieder ›scharf‹ geworden sein. Und da, Herr Kommissar, sind Sie alles andre als ein Einzelfall. Das alles entspricht gradezu bilderbuchmäßig dem bekannten Symptomkomplex. Wir gehen da von bestimmten Auslösungsreizen aus, so genannten ›Triggers‹, die den Wechsel von einer Persönlichkeit zur anderen hervorrufen und die abgespaltenen Systeme abwechselnd auf den Plan rufen.«
Mr. Jekyll und Dr. Hyde, schießt’s dir durch den Kopf. Oder hieß der Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Das hast du dir noch nie merken können.
»Und jetzt«, murrt die Wernigge, die inzwischen bedrohlich nah an deiner Couch Stellung bezogen hat, »jetzt gönnen Sie mir den winzigen Rest meiner Mittagspause! Wir sehn uns morgen.«
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14
Wie du stocksteif auf der Rückbank hocktest, in diesem Käfer, der, je mehr die Zeit sich auseinanderdehnte, immer enger wurde. Klein und kleiner. Wie die Wände irgendwie auf dich zukamen; wie du das Gefühl nicht loswurdest, sie müssten jeden Augenblick deine Wangen berühren, dein Gesicht in den Schraubstock legen. Wie du’s nicht gewagt hast, den Kopf auch nur um einen Millimeter zu bewegen, um die Wände nicht zu provozieren.
Der Motor tat keinen Mucks mehr. Aber auch draußen die Eulen schwiegen und die Unken, oder was für Nachtgetier auch immer dich Winzling da in deinem Blechkokon belauern mochte.
Und