Der Mann der sich verbarg. Frederik Hetmann
es waren die ›Bildreporter Moctezumas‹.«
Sehr leicht ist es den nach Amerika kommenden Spaniern gefallen, die Religion der Azteken und der mit ihnen in einem kulturellen Zusammenhang stehenden Nachbarvölker als unmenschlich und grausam in Verruf zu bringen und daraus eine Berechtigung für die Unterwerfung und Kolonialisierung dieser Gebiete abzuleiten. Betrachtet man die Religion der Azteken unvoreingenommen, so kommt man zu einem wesentlich anderen Bild. Bei allem, was man über diese Religion hört, und was einem zunächst vielleicht befremdlich erscheint, sollte man sich des Satzes von George C. Vaillant erinnern:
»Die aztekische Religion erwuchs aus der Begegnung mit den Naturkräften, aus der Furcht vor ihnen und aus dem Versuch, sie in Grenzen zu halten.«
Unser immer nur von der Sichtweite des Christentums und Europas als Mittelpunkt der Welt ausgehendes Denken macht in der Beurteilung dessen, was grausam und barbarisch sei, merkwürdige Unterschiede.
Die Menschenopfer der Azteken werden ohne weiteres als primitiv und barbarisch eingestuft. Wenn aber im Alten Testament in frühester Zeit ebenfalls von Menschenopfern die Rede ist (Abraham/Isaak), wird dies als besonders intensive Form der Gottesliebe interpretiert.
Eine besondere Bedeutung in den religiösen Vorstellungen der Azteken spielte der Mythos von der mehrmaligen Zerstörung und Neuschaffung der Welt, was bestimmt mit den in der Umwelt beobachteten Naturgewalten (Vulkane, Wirbelstürme etc.) zusammenhängt.
Dieser Mythos wiederum, der beispielsweise auch auf dem im Haupttempel Tenochtitlans gefundenen Kalenderstein angedeutet wird, führte zu einer besonderen Entwicklung der Astronomie und des Zahlenwesens.
Die Entstehung der Welt erklärten die Azteken mit einem »allgegenwärtigen Gott, der alle Gedanken kennt«. Er war aber so groß, so gewaltig, so allmächtig und wunderbar, dass er vom Menschengeist nicht gedacht werden konnte. Wohl auch, um den verschiedenen Naturerscheinungen gerecht zu werden, erfand man sich dreizehn Hauptgötter und mehr als zweihundert Götter niederen Ranges. Der Wichtigste unter allen war zweifellos Huitzilopochtli, ein Kriegsgott, der sich den Menschen als Kolibri zeigte und mit der Stimme eines Kolibris zu ihnen sprach. Von seiner Vogelgestalt her meinte man darauf schließen zu können, dass es sich ursprünglich um einen mächtigen Häuptling mit einem Tanzmantel oder einem Kopfschmuck aus dem Federkleid dieses Vogels handelte, der schließlich zum Gott erhoben wurde. Als Kriegsgott ist Huitzilopochtli der Sohn der Sonne, der Morgenstern, der seine feindliche Schwester, den Mond, besiegt und das Heer der Sterne vor sich hertreibt. Die Seelen der gefallenen Krieger und der Geopferten aber werden zu Kriegern im Heer der Sterne. Der Mond hingegen ist Urbild der weiblichen Seele und Ort ihrer Rückkehr nach dem Tod des Menschen.
Neben Huitzilopochtli steht Tezcatlipoca oder »der rauchende Spiegel«.
Man könnte sagen, er sei das Böse, auch als ein Doppelgänger Huitzilopochtlis, als Verkörperung des Nachthimmels, des Winters und der Himmelsrichtung Norden. Jedenfalls befürchtete man immer, dass er Verbrechen begehe, die die kosmologische Ordnung entscheidend störe. Deswegen wurde ihm einmal im Jahr der schönste gefangene Krieger geopfert. Angeblich waren seit Anfang der Welt die Götter darum besorgt, den Durst der Sonne mit Blut zu stillen, weil sie sonst das Land verbrennen würde.
Wichtig ist, dass die Azteken Tezcatlipoca und auch ihren anderen Göttern ursprünglich nur Tieropfer, vor allem Hunde und Wachteln darbrachten. Die Menschenopfer – vom Opfer selbst angeblich nicht als Grausamkeit empfunden – kamen erst zweihundert Jahre vor dem Einfall der Spanier auf. Ihre Einführung scheint im ursächlichen Zusammenhang mit der Ausweitung des Reiches gestanden zu haben.
Je größer die Macht der Menschen auf Erden war, desto machtvoller im magischen Sinn mussten auch die Opfer werden. Zuerst waren es jeweils immer nur einzelne Menschenopfer. Die Chronisten berichten später von 20.000 Menschenopfern in einem Jahr, und 1486 sollen bei der Einweihung eines Tempels zu Ehren Huitzilopochtlis sogar 70.000 Menschen ihr Leben gelassen haben.
Man könnte sagen, dass die eigenen Taten und das Verlangen nach Macht Angst vor dem Zorn der Götter hervorriefen. Dies sollte dadurch wiedergutgemacht werden, indem man etwas sehr Wichtiges und Wertvolles an die Götter hingab.
Für eine solche Deutung spricht übrigens auch, dass der beim Großen Opferfest Getötete ein Jahr gehätschelt, verwöhnt, geschmückt, ja regelrecht verehrt wurde.
Überhöhte Besteuerung der Vasallenprovinzen und eine sich immer mehr ins Irrsinnige steigernde Ausweitung der Menschenopfer, sowie eine zunehmende Ausweitung der Rituale gehören bestimmt mit zu den Voraussetzungen für den raschen Sturz des Aztekenreiches nach Eintreffen der Spanier.
Dabei spielte nun die Mythen um eine Gestalt eine wichtige Rolle, deren Wesen und Bedeutung noch heute viele Geheimnisse umgibt, während sie andererseits über den Zusammenbruch des Aztekenreiches hinaus Symbolgestalt indianischen Bewusstseins in Mexiko geblieben ist: Quetzalcoatl.
Bei den Azteken ist er ein Wind- und Regengott. Er verkörperte den Vegetationszyklus. Aber es lässt sich schwer ausmachen, ob da erst ein mächtiger König, ein Mensch mit besonderen Fähigkeiten war, der eben deswegen als göttlich verehrt wurde, oder ob sich ein König der Gestalt oder Maske eines Gottes zur Verstärkung der eigenen Macht und Würde bediente.
Quetzalcoatl taucht schon bei dem zeitlich früheren Volk, bei den Tolteken auf und wird dort auf mythische Weise mit der Gründung der Hauptstadt Tollan in Verbindung gebracht:
»Im Jahr 1 Rohr wurde Ce Acatl Topiltzin, der Priester (1 Rohr Federschlange) geboren, der sich Quetzalcoatl nannte. Und es heißt, dass seine Mutter eine Frau namens Chimalman war. Und so, sagt man, kam Quetzalcoatl in den Schoß seiner Mutter: indem sie einen großen, herrlichen grünen Türkis verschluckte.«
Dieser Mann wird also zum Priesterkönig und zum mythischen Begründer des Toltekenreiches. Seine Ausbildung in der Jugend erhält er in der Priesterschule von Xochicalco, wo man den damals in Mexiko noch ziemlich unbekannten Regengott verehrte.
Er ist es, der Tula oder Tollan gegen beträchtliche Widerstände zur Hauptstadt des Toltekenreiches macht, dessen fünfter Herrscher er gewesen ist.
Historisch setzt man seine Regierungszeit auf 947 bis 999 n. Chr. an, so steht es in der Chronik der Königreiche, und für die Richtigkeit dieser Angabe spricht dass auf einer bildlichen Darstellung Quetzalcoatls sich die Datierung 8 Feuerstein = 980 n. Chr. Findet. Um das Jahr 1000 scheint der heilige König der Tolteken von Feinden oder Widersachern gestürzt worden zu sein. Er konnte entkommen und gelangte auf die Halbinsel Yukatan zu den Mayas, die ihn aufnahmen und verehrten. Die Verschmelzung toltekischer Kunst- und Architekturstile mit denen der Mayas, die sich um diese Zeit vollzieht, könnte hier ihre Wurzeln haben.
Anderen Berichten zufolge wurde der tugendhafte Priesterkönig von Dämonen zur Sünde verführt. Er vernachlässigte seine religiösen Pflichten und verließ, als er seine Verfehlungen erkannte, voll Trauer mit seinem Gefolge die Königsstadt Tollan. Sahagun schildert die Flucht Quetzalcoatls folgendermaßen: »Alle Häuser aus Muschelschalen und Silber, die er besaß, ließ er zerstören, ehe er ging ... Die Tropenbäume verwandelte er in Dornenakazien, und die Tropenvögel ließ er davonfliegen ... Auf seinem Weg ruhte er auf einem Stein sitzend aus. Hände und Füße drückten sich in den Felsen ab – er nannte den Ort Temacpalco. Nach Tollan zurückblickend, musste er weinen. Auf seinem weiten Zug kam er durch die Gegend des Schneegebirges; da starben seine Diener, Bucklige und Zwerge, vor Kälte. Traurig weinte er und stimmte Trauergesänge an. Er blickte in die Ferne zum Schneegebirge Poyauhtecatl bei Tecamachalco (womit der Pico de Orizaba gemeint ist). Endlich am Ufer des Meeres angelangt, ließ er Coatlapechtli, ein ›Schlangenfloß‹, bauen. Darin sitzend wie in einem Schiff, fuhr er über das Meer; niemand weiß, wie er nach Tlapallan, dem ›Land der Morgenröte‹ kam.«
»Danach«, schreibt Hans Helfritz, »verliert sich die Gestalt Quetzalcoatls in einem unentwirrbaren Durcheinander von Mythos und Geschichte. Immer wieder taucht jedoch die Sage auf, dass Quetzalcoatl eines Tages hier als Gott zurückkehren werde.«
Mehr über das Gottwesen Quetzalcoatls erfahren wir in dem Buch von Jose Lopez Portillo. Dort heißt es:
»...